Oliver Fiechter und Helmuth Fuchs werfen einmal pro Woche Fragen auf und suchen Antworten zu Themen der digitalen Transformation und Ökonomie 3.0.
Helmuth Fuchs: Die aktuelle Berichtssaison zeigt es nochmals überdeutlich: Die Wertebeurteilung hängt praktisch alleine von den finanziellen Ergebnissen ab. Eine Neuausrichtung hin zu qualitativen Aspekten der Unternehmensführung findet nicht statt.
Oliver Fiechter: Ich sehe das anders. Immer mehr Firmen sind sich der Tatsache bewusst, dass qualitative Phänomene die Treiber ihres finanziellen Erfolges sind. Viele Unternehmen investieren deshalb viel Zeit und Geld, um zu erfahren, wie es um die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden oder Kunden bestellt ist. Zudem beschäftigen immer mehr Grossunternehmen Mitarbeitende mit Sozialforschungskompetenz.
«Das Web befähigt Firmen schon heute, die Wahrnehmung ihrer Anspruchsgruppen besser zu erkennen, darzustellen und steuerbar zu machen.»
Trotzdem fokussieren sich die Unternehmen noch immer auf die Finanzkennzahlen.
Das Problem ist, die Messung und das Reporting nicht finanzieller Daten geschieht nur punktuell und nicht kontinuierlich. Dazu kommt, dass es sehr kostspielig ist, weil die aktuellen Ansätze ineffizient und nicht systematisch in die Geschäftsprozesse integriert sind. Das wird sich aber in den nächsten Jahren ändern, das Web befähigt Firmen schon heute, die Wahrnehmung ihrer Anspruchsgruppen besser zu erkennen, darzustellen und steuerbar zu machen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis diese neuen Controllingtools einen neuen Standard in der Unternehmenssteuerung darstellen werden.
Wird sich mit diesen neuen Instrumenten auch die Qualität der Rechnungslegung verändern?
Davon bin ich überzeugt. Die Bilanzpressekonferenz der nahen Zukunft stelle ich mir etwa so vor: «Sehr geehrte Damen und Herren, im Berichtsjahr haben wir auf der finanziellen Seite einen Wertzuwachs von 17 Prozent zu verzeichnen. Leider haben wir in unserer erweiterten Wertebilanz ein herbes Defizit einfahren müssen. So ist das Engagement unserer Mitarbeitenden ist um 11 Prozent gesunken, was mit hoher Wahrscheinlichkeit unsere Qualitätsprobleme in der Produktion und die stark angestiegene Mitarbeiterfluktuation erklärt. Auch die Kundennutzenwahrnehmung hat sich stark verschlechtert. Unsere Kunden sind zunehmend preissensitiv, unsere Margen sinken und unser Wachstum bei Bestandeskunden ist rückläufig. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Verschlechterung der Frühwarnindikatoren im kommenden Berichtsjahr auf unser Finanzergebnis durchschlagen wird. Wir werden mit aller Kraft Gegensteuer geben und haben bereits Massnahmen definiert, um unsere Organisation stärker auf die Bedürfnisse unserer Anspruchsgruppen auszurichten. Aufgrund dieser negativen Entwicklungen verzichtet das Management auf die Auszahlung von Boni …»
«Die Schweizer Banken haben sich in den letzten 20 Jahren immer stärker vom ursprünglichen Kernwert des Swiss Banking, der Kundenorientierung, abgewandt.»
Gerade Finanzinstitute tun sich schwer mit einer echten Ausrichtung auf Kunde. Lieber widmen sie sich neuen, noch komplexeren Produkten forcieren Trends wie Hypertrading und investieren in schnellere Transaktionsplattformen. Wann kommen Social Financing Ansätzen und Plattformen für innovative Kundeninteraktionen eine grössere Bedeutung zu?
Zwar bieten Banken immaterielle Dienstleistungprodukte an, ihre Denkweise ist jedoch immer noch sehr materiell. Die Schweizer Banken haben sich in den letzten 20 Jahren immer stärker vom ursprünglichen Kernwert des Swiss Banking, der Kundenorientierung, abgewandt. In angelsächsischer Manier haben sie sich nur noch darauf konzentriert, aus Geld Geld zu machen. In diesem Bereich waren sie sehr kreativ und innovativ, die Finanzkrise hat jedoch gezeigt, dass die Sinndimension völlig ausgeblendet wurde. Die Bank der Zukunft wird sich nicht allein als Vermehrerin von Geld positionieren können, denn weder kann sie sich damit von anderen Banken differenzieren, noch stiftet sie ihren Kunden damit unmittelbaren Nutzen. Es wird für die Schweizer Banken ein schwieriger Weg werden, kulturell an ihren Herkunftsort zurückzukehren. Im Moment schrumpfen sie sich mit ihren Industrialisierungsprogrammen eher zu Produkthäusern zurück, während neue, innovative Player am Markt auftauchen, die sich auf die unabhängige Beratung und die webbasierte Interaktion mit den Kunden konzentrieren.