Zürich – Die Idee, das Verhalten von Menschen ohne Anwendung von Geboten, Verboten oder Zwang zu beeinflussen, beschäftigt Regierungen genauso wie Marketingfachleute. Nudging als Universallösung ist in aller Munde. Doch Forschende der Universität Zürich relativieren: Ob Nudging unsere Entscheidungen verbessert, hängt davon ab, wie wir Entscheidungen fällen.
Das sogenannte «Nudging» (englisch für sanftes Schubsen) ist ein bekanntes und populäres Prinzip der Verhaltensökonomie. Dabei wird eine Entscheidung ohne Zwang, sondern allein durch die Präsentation einer Situation in eine bestimmte, erwünschte Richtung gelenkt. Ein bekanntes Beispiel ist: die Salatbar im Eingang der Kantine zu platzieren, um gesundes Essen zu fördern. Dass man die Wahl des Mittagessens so beeinflussen kann, ist erwiesen. Doch ist ein leicht bekömmlicher Salat für den Mitarbeiter tatsächlich die beste Wahl, oder profitiert in erster Linie sein Arbeitgeber von dessen besserer Leistungsfähigkeit am Nachmittag? Und lassen sich Entscheidungen wirklich so einfach verbessern?
Qualität einer Entscheidung messen
Ob ein Nudge dazu führt, dass eine Entscheidung den Bedürfnissen einer Person besser entspricht, ist für die Bewertung der Wirksamkeit von Nudges relevant. An diesem Punkt setzt die Forschung von Nick Netzer und Jean-Michel Benkert vom Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich (UZH) an. Wie misst man, ob ein Nudge die Entscheidungen aus Sicht der angeschubsten Person auch verbessert? «Bevor wir nicht verstanden haben, wie eine Person Entscheidungen trifft, können wir nicht sagen, ob ein Nudge ihre Entscheidung verbessert», relativert Nick Netzer den Hype um Nudging. «Denn je nachdem von welchem Verhaltensmodell wir ausgehen, ist die Wirksamkeit von Nudges überhaupt messbar – oder eben nicht».
Die klassische Ökonomie nimmt an, dass sich die Bedürfnisse einer Person aus ihren Entscheidungen und ihrem Verhalten ableiten lassen. Das sogenannte Rationalverhaltensmodell geht davon aus, dass sich eine Person beispielsweise für das Menu 2 in der Kantine entscheidet, weil dieses Gericht ihren Bedürfnissen entspricht. Für die Bewertung eines Nudges ist die Annahme des Rationalverhaltensmodells allerdings problematisch. Denn genau das Verhalten, das Aufschluss über die Bedürfnisse der Person geben soll, wird beim Nudging manipuliert. Um abzuschätzen, unter welchen Annahmen eine aussagekräftige Bewertung von Nudges möglich ist, betrachteten die Forscher alternative Verhaltensmodelle.
Die erstbeste Wahl
Das «Satisficing»-Modell geht davon aus, dass eine Person immer die erstbeste Alternative wählt, die soweit ihren Bedürfnissen entspricht, dass sie zufriedenstellend ist. Diese Person wählt in der Kantine das Menu 2, weil es das erste Gericht ist, das sich mehr oder minder mit ihren Ansprüchen deckt. Vielleicht gäbe es ein Gericht, das ihr noch besser schmecken würde. Aber die weiteren Menus zieht sie gar nicht mehr in Betracht, da sie ihre Wahl bereits getroffen hat. In diesem Modell sind kaum Rückschlüsse auf die wahren Präferenzen einer Person möglich, und ihre Entscheidungen lassen sich auch nicht durch Nudging verbessern.
Beschränkte Aufmerksamkeit
Geht man von einer «beschränkten Aufmerksamkeit» aus, ändert sich die Situation: Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass eine Person aus einer Reihe von Möglichkeiten immer nur eine bestimmte Anzahl in Betracht zieht – aus fünf Menus in der Kantine beispielsweise nur die ersten drei. Diese wägt sie dann gegeneinander ab und wählt daraus das beste Gericht. Im Gegensatz zum «Satisficing» kann man unter diesen Annahmen effektive Rückschlüsse auf die tatsächlichen Bedürfnisse ziehen, wie die UZH-Forschenden zeigen. Liegt den Entscheidungen der Person ein solcher Prozess zugrunde, so lassen sie sich durch Nudging verbessern. Wenn man also weiss, dass der Salat tatsächlich das ideale Gericht ist, dann garantiert die Platzierung unter den ersten drei Menus, dass er überhaupt in Betracht gezogen und womöglich ausgewählt wird .
Erfolg von Nudges abhängig von Entscheidungsprozess
Um Nudging als Mittel zur Verbesserung von Entscheiden bewerten zu können, muss man die wahren Bedürfnisse einer Person kennen. Ohne diese Information kann man zwar sehr wohl schubsen, bloss weiss man nicht, welche Richtung im Sinne der geschubsten Person wäre. «Unsere Resultate zeigen, dass der Erfolg von Nudging sehr stark davon abhängt, wie man sich den menschlichen Entscheidungsprozess vorstellt», sagt Nick Netzer. «Solange der aktuelle Wissensstand von Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Neurowissenschaften noch keine einstimmige Bewertung von Nudging ermöglicht, kann die Frage nach dem Sinn oder Unsinn von Nudging auch nicht abschliessend beantwortet werden». (UZH/mc/pg)