Nur eine Revolution gegen uns selbst kann uns retten
Kommentar von Bernhard Bauhofer, Gründer & Managing Partner Sparring Partners GmbH
Gerade mal 15 Jahre ist es her, dass Deutschland mit der im eigenen Land ausgetragenen Fussball-Weltmeisterschaft ein „Sommermärchen“ feierte, dass sich aufgrund der durch Bestechung erfolgten Vergabe im Nachhinein als ein Albtraum und als Reputationsdebakel entpuppte. Jedoch ist der entstandene Schaden nichts im Vergleich zu den Schäden, welche die „Jahrhundertflut“ in diesem Jahr in unserem Nachbarland angerichtet hat – und auch die Schweiz blieb von den historischen Fluten ja nicht verschont. So wie der verklärte Blick der Fussballfans die Korruption der Verbände nicht wahrnehmen will, so blendet der Grossteil der Menschheit – wie der im siedenden Wassertopf gefangene und zum Tode geweihte Frosch – die imminente und existentielle Bedrohung durch die Klimakatastrophe immer noch aus. Auch wegen hartnäckig sich haltender Irrtümer:
Unendliche Prosperität als Illusion
Obwohl der Club of Rome vor fünfzig Jahren schon das Versiegen unserer natürlichen Ressourcen prophezeite, hängen wir an unserem Glauben an unbegrenzten Fortschritt und Wachstums unbeirrt fest. Und dieser wird von den sozialen Medien, die nach dem Motto „wer will, der kann es schaffen“ Selbstverwirklichung und materiellen Reichtum für alle suggerieren, auf globaler Ebene zusätzlich befeuert. Es wird uns gepredigt, den Moment zu leben – zu feiern und auf Teufel komm raus und auf Pump zu konsumieren, als gäbe es kein Morgen. Eine Haltung, die im totalen Widerspruch zum Gebot der Nachhaltigkeit steht, welche den Erhalt der Erde als Lebensgrundlage für Folgegenerationen zum Ziel hat.
Leistungsgedanke fundamental hinterfragen
Im gängigen Verständnis orten wir die Leistungsträger der Gesellschaft in dem kleinen Kreis der Elite. Professionen und Menschen, meist mit akademischer Ausbildung und Titeln, die massgeblich den aktuellen Zustand unseres Planeten zu verantworten haben. (Ich schliesse mich davon nicht aus). Mit den einschneidenden Erfahrungen aus der Corona-Pandemie sollten wir unser Verständnis von Leistung grundsätzlich hinterfragen und Idole und Ideale neu definieren. Sollen permanent um den Erdball jettende Manager mehr Ansehen und ein Vielfaches an Gehalt verdienen als bis zur totalen Erschöpfung arbeitende Pflegekräfte? Zählt ein „Banker des Jahres“-Titel mehr als ein Prix Courage?
Die Mär von der Globalisierung
Über Jahrzehnte hinweg haben die Nutzniesser der Globalisierung ihre Doktrin mit dem Argument gerechtfertigt, Menschen aus der Armut herauszuführen. Aber gerade diese Menschen waren die ersten, die durch die Corona-Pandemie in teilweise noch präkerere Verhältnisse zurückgeworfen wurden – und sie leiden am meisten unter den Folgen des Klimawandels. Wir müssen uns eingestehen, dass Globalisierung in der aktuellen Ausprägung eben nicht nachhaltig sichere Lebensverhältnisse der meisten Menschen schafft.
Die Politik wird’s nicht richten
Man sollte meinen, dass anders als das dem Shareholder Value und der kurzfristigen Gewinnmaximierung unterworfene Wirtschaftssystem das politische System dank längerer Legislaturperioden und Amtszeit seiner Führungskräfte intakte Voraussetzungen hätte, das Ruder in Richtung Nachhaltigkeit rumzureissen. Die Realität zeigt jedoch, dass der kurzfristige Blick auf die Gunst der ebenfalls kurzfristig denkenden Wähler das langfristige Denken und Handeln verunmöglicht. Anders hätte beispielsweise die Ökobilanz der 16 Jahre dauernden Regierung unter Angela Merkel wohl deutlich besser ausfallen können.
Unternehmen und Konsumenten sind gefordert
Wer nun kann die Welt vor dem Untergang retten? Der Ball liegt vor allem bei den Konzernen. Sie können ein fundamental neues Verständnis des Wirtschaftens kreieren, bei dem beispielsweise bei der Ermittlung der Wertschöpfung auch die Externalitäten mit einbezogen werden. Mit Hilfe der Politik auf supranationaler Ebene müssen Nachhaltigkeitskennzahlen wie die ESG-Kriterien – auch im Sinne der Transparenz für Investoren und Konsumenten – zu einheitlichen und messbaren Standards gemacht werden. Investitionen in Nachhaltigkeit sollten von der Gesellschaft positiv – beschämende Steuervermeidung negativ sanktioniert werden. Statt auf unseren kurzfristigen Gewinn und Vorteil zu schielen, haben wir es als Konsumenten in der Hand, durch unsere Konsumausgaben und Investitionen vorbildliches Handeln der Unternehmen zu würdigen und einen Nachhaltigkeitszyklus zu nähren. Und wir müssen die Superreichen moralisch fordern, über ihre gesetzlichen Pflichten hinaus einen nachhaltigen Beitrag zu leisten. Spenden und philanthropisches Engagement sind oft nur eine Goodwillaktion, Ablenkungsmanöver, die das bestehende System zementieren. Wir sollten aufhören, Umweltaktivisten als radikale Spinner und Outlaws zu diffamieren und dadurch von unseren eigenen Unterlassungen beim Umwelt- und Klimaschutz abzulenken. Wir alle sind gefordert – und Unternehmer wie Bezos oder Branson, deren Vermögen das Bruttosozialprodukt manch eines Landes übersteigt. Angesichts der weltweiten Umweltkatastrophen hätte ihr Timing für den Startschuss zum Weltraum-Tourismus nicht unglücklicher gewählt werden können. Statt der Erde den Rücken zu kehren sollten sie, die in ausserordentlichem Masse von ihr profitiert haben, ihr vielmehr zur Hilfe eilen. Und wir alle mit ihnen mitziehen.