OBT: Die Aktionärsrechte – nach dem neuen Aktienrecht

OBT: Die Aktionärsrechte – nach dem neuen Aktienrecht
(zvg)

Das neue Aktienrecht ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. In diesem Teil der OBT-Beitragsserie zum neuen Aktienrecht werden die Aktionärsrechte behandelt und aufgezeigt, welche neuen Möglichkeiten für die Durchführung von Generalversammlungen und die Beschlussfassung in Zukunft das Gesetz bietet. Grundsätzlich werden im neuen Aktienrecht die Aktionärs- und Minderheitsrechte gestärkt und deren Ausübung erleichtert.

Das Aus­kunfts- und Ein­sichts­recht
Für die nicht-börsenkotierten Gesellschaften waren die bisherigen Regelungen in Bezug auf das Auskunftsrecht unbefriedigend und ungenügend. Unter geltendem Recht beschränkt sich das Auskunftsrecht der Aktionäre darauf, an der Generalversammlung vom Verwaltungsrat Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft und von der Revisionsstelle Auskunft über die Durchführung und das Ergebnis ihrer Prüfung zu verlangen. Neu können Aktionäre, die zusammen mindestens 10% des Aktienkapitals oder der Stimmen vertreten, vom Verwaltungsrat auch ausserhalb der Generalversammlung schriftlich Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen. Der Verwaltungsrat muss innert vier Monaten das Gesuch behandeln und die Auskunft erteilen. Zudem müssen die Antworten des Verwaltungsrats spätestens an der nächsten Generalversammlung zur Einsicht für die Aktionäre aufgelegt werden (Art. 697 nOR). Für die Aktionäre von börsenkotierten Gesellschaften ist eine solche Auskunftspflicht ausserhalb der Generalversammlung nicht vorgesehen, da diese der Ad-hoc-Publizitätspflicht unterstehen.

In Bezug auf das Einsichtsrecht hat die Gesellschaft unter geltendem Recht die Pflicht, Geschäfts- und Revisionsbericht am Sitz der Gesellschaft spätestens 20 Tage vor der Generalversammlung aufzulegen. Gemäss den neuen Bestimmungen muss die Gesellschaft die relevanten Dokumente den Aktionären «zugänglich» machen. Die Dokumente können elektronisch zugänglich gemacht werden, und falls das nicht möglich ist, müssen sie den Aktionären zugestellt werden.

Um Einsicht in die Geschäftsbücher und Akten der Gesellschaft zu verlangen, sind neu mindestens 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen notwendig, während unter dem geltenden Recht kein Schwellenwert vorausgesetzt war (Art. 697a nOR). Zudem wird neu nur noch der Verwaltungsrat über solche Gesuche um Einsicht in die Geschäftsbücher und Akten entscheiden. Bisher konnte auch die Generalversammlung ein Einsichtsrecht gewähren.

Das Ein­be­ru­fungs­recht
Gemäss geltendem Recht kann die Einberufung einer Generalversammlung von einem oder mehreren Aktionären verlangt werden, die zusammen mindestens 10% des Aktienkapitals vertreten. Nach dem neuen Recht wird dieser Schwellenwert auf die Anzahl der Stimmen ausgeweitet, bleibt in der Höhe jedoch bei nicht-börsenkotierten Gesellschaften bestehen. Für kotierte Gesellschaften reicht neu ein Schwellenwert von 5% (Art. 699 nOR).

Das An­trags- und Trak­tan­die­rungs­recht
Bisher konnten Aktionäre, die Aktien im Nennwert von CHF 1 Mio. vertreten, die Traktandierung eines Verhandlungsgegenstands verlangen. Nach dem neuen Recht können die Aktionäre von börsenkotierten Gesellschaften, die 0.5% des Aktienkapitals bzw. der Stimmen vertreten, eine solche verlangen, und bei allen anderen Gesellschaften gilt neu eine Schwelle von 5% des Aktienkapitals bzw. der Stimmen (statt wie bisher ein Nennwert von CHF 1 Mio.) (Art. 699b nOR).

Die Klage auf Son­der­un­ter­su­chung
Auch wurden die Schwellenwerte zur gerichtlichen Einleitung einer Sonderuntersuchung (bisher Sonderprüfung) durch Aktionäre von Publikumsgesellschaften verringert, nämlich auf neu mindestens 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen anstelle von 10% gemäss geltendem Recht (Art. 697d nOR).

Die Auf­lö­sungs­klage
Auch die Anforderungen zur Klage auf Auflösung der Gesellschaft beim Gericht wurde herabgesetzt. Neu kann ein Aktionär auch einzeln oder mehrere Aktionäre zusammen, die mindestens 10% des Aktienkapitals oder der Stimmen vertreten, die Auflösung aus wichtigen Gründen verlangen. Bisher konnten nur mehrere Aktionäre zusammen, die mindestens 10% des Aktienkapitals vertreten, vor Gericht auf Auflösung der Gesellschaft klagen.

Die neuen Durch­füh­rungs­arten der Ge­ne­ral­ver­sammlung
Das geltende Recht hat bis zur Pandemie nur die Form der physischen Abhaltung einer Generalversammlung an einem Tagungsort gekannt. Die Aktionäre mussten am Tagungsort erscheinen oder konnten sich durch eine Vollmacht vertreten lassen. Während der Pandemie wurde durch die Einführung der Covid-19-Verordnung 2 den Gesellschaften die Möglichkeit gegeben, die Generalversammlungen auf dem schriftlichen Weg, in elektronischer Form oder mit einem unabhängigen Stimmrechtsvertreter abzuhalten. Diese Bestimmung hat gemäss der revidierten Covid-19-Verordnung 3 bis zur Einführung des neuen Aktienrechts Gültigkeit.

Mit der Aktienrechtsrevision hat der Gesetzgeber ausdrückliche Bestimmungen zum Tagungsort der Generalversammlung ins Gesetz aufgenommen. Mit diesen Regelungen wurden dem Verwaltungsrat eine Vielzahl von Möglichkeiten bezüglich Auswahl des Tagungsorts gegeben, sofern in den Statuten nichts anderes vorgesehen ist. Der Verwaltungsrat ist aber verpflichtet, den Tagungsort so zu wählen, dass die Ausübung der Aktionärsrechte für keinen der Aktionäre in unsachlicher Weise erschwert werden. Die Generalversammlung kann an einem Tagungsort in der Schweiz oder an mehreren Tagungsorten gleichzeitig abgehalten werden (Art. 701a nOR). Im letzteren Fall müssen die Voten der Teilnehmenden unmittelbar in Bild und Ton an sämtliche Tagungsorte übertragen werden.

Sofern die Statuten es vorsehen, kann der Tagungsort auch im Ausland sein, wobei in diesem Fall der Verwaltungsrat in der Einberufung einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnen muss (nArt. 701b OR). Bei nicht-börsenkotierten Gesellschaften können die Aktionäre auf die Nennung eines Stimmrechtsvertreters unter Einstimmigkeit verzichten.

Zudem kann der Verwaltungsrat vorsehen, dass Aktionäre, die nicht am Ort der Generalversammlung anwesend sind, ihre Rechte auf elektronischem Weg ausüben können (hybride GV; Art. 701c nOR).

Eine weitere Möglichkeit ist die virtuelle Durchführung der Generalversammlung mit elektronischen Mitteln und ohne Tagungsort, sofern die Statuten dies vorsehen und der Verwaltungsrat in der Einberufung einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnet (nArt. 701d OR). Bei nicht-börsenkotierten Gesellschaften können die Statuten vorsehen, dass auf die Bezeichnung eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters verzichtet wird.

Bei der Verwendung von elektronischen Mitteln muss der Verwaltungsrat sicherstellen, dass die Identität der Teilnehmenden feststeht, die Voten an der Generalversammlung unmittelbar übertragen werden, jeder Teilnehmende Anträge stellen und sich an der Diskussion beteiligen und das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann. Zudem muss die Versammlung wiederholt werden, wenn technische Probleme auftreten und die Generalversammlung nicht ordnungsgemäss durchgeführt werden kann. Bereits gefasst Beschlüsse vor Auftreten der technischen Probleme bleiben jedoch gültig (Art. 701e nOR).

Der schrift­liche Ge­ne­ral­ver­samm­lungs­be­schluss
Eine weitere Neuerung ist die Möglichkeit, Generalversammlungsbeschlüsse auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form zu fassen (Art. 701 Abs. 4 nOR). Dies ist aber nur möglich, sofern kein Aktionär eine mündliche Beratung verlangt und alle Aktionäre mit der Art der Beschlussfassung einverstanden sind. In diesem Fall müssen die Vorschriften zur Einberufung der Generalversammlung nicht eingehalten werden. Eine entsprechende statutarische Grundlage ist nicht notwendig.

Die Ein­zelwahl der Ver­wal­tungs­rats­mit­glieder
Heute werden bei Publikumsgesellschaften die Verwaltungsratsmitglieder in Anwendung der Bestimmungen der Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV) einzeln gewählt. Im Rahmen der Eingliederung der VegüV ins OR soll neu die Einzelwahl auch bei nicht-börsenkotierten Gesellschaften erfolgen, wobei die Statuten auch anderslautende Bestimmungen – wie eine Gesamtwahl des Verwaltungsrats – vorsehen können. Es besteht auch die Möglichkeit, dass der Vorsitzende der Generalversammlung unter Zustimmung sämtlicher Aktionäre die Gesamtwahl anordnet (Art. 710 nOR).

Kein Er­for­dernis mehr für einen Ver­wal­tungs­rats­se­kretär
Das bisherige Aktienrecht sieht die Ernennung eines Verwaltungsratssekretärs vor. Diese Bestimmungen wurden gestrichen und künftig kann ein Protokoll vom Protokollführer anstatt vom Sekretär unterzeichnet werden. (OBT/mc)

Fazit
Das neue Aktienrecht stärkt die Aktionärsrechte und bringt eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten in Bezug auf die Durchführung von Generalversammlungen. Von diversen Neuerungen können die Aktionäre und die Gesellschaft jedoch nur profitieren, wenn die Statuten entsprechende Bestimmungen enthalten. Insbesondere im Hinblick auf die Durchführung von virtuellen oder hybriden Generalversammlungen empfehlen wir, demnächst die Statuten zu revidieren und an das neue Aktienrecht anzupassen. Gerne sind wir Ihnen dabei behilflich!

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