St. Gallen – Die Herausforderungen im HR-Management werden auch für KMU immer komplexer. Neue Regulative, zunehmende Automatisierung, sich ändernde Gesetze und der Fachkräftemangel binden viele Ressourcen – Ressourcen, die gerade kleinere und mittelgrosse Unternehmen gewinnbringender in ihr Kerngeschäft investieren sollten – und verlangen teilweise sehr spezifisches Fachwissen, dessen Aneignung Zeit und Geld kostet. Das gezielte Outsourcing bestimmter HR-Aufgaben kann ein Weg sein, damit sich Unternehmerinnen und Unternehmer auf ihr Kern- und Tagesgeschäft fokussieren können.
Immer wieder sieht sich das HR-Management mit Fragen im Zusammenhang mit eingereichten Arztzeugnissen konfrontiert. Zudem geben die Zeugnisse oft Anlass zu Diskussionen, wenn objektive Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit des Zeugnisses aufkommen lassen. Verschafft ein Gespräch mit dem krankgeschriebenen Mitarbeitenden keinen Aufschluss, kann die Arbeitgeberin eine vertrauensärztliche Untersuchung veranlassen. Im folgenden Artikel zeigen wir das Vorgehen und den Nutzen davon. Zudem erläutern wir die Rolle des Vertrauensarztes.
Der Nachweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erfolgt in der Regel durch die Einreichung eines Arztzeugnisses des Mitarbeitenden bei der Arbeitgeberin. Ein solches Zeugnis beweist eine Arbeitsunfähigkeit jedoch nicht endgültig und kann unter Umständen von der Arbeitgeberin angezweifelt werden. Es kann auch sein, dass ein Arztzeugnis aufgrund seines Inhalts für die Arbeitgeberin klärungsbedürftige Regelungen enthält, zum Beispiel die Bestätigung einer hundertprozentigen Arbeitsunfähigkeit am Arbeitsplatz, jedoch einer hundertprozentigen Arbeitsfähigkeit im Home-Office. In solchen Fällen liegt es nahe, dass die Arbeitgeberin den Mitarbeitenden auffordert, einen Vertrauensarzt zu konsultieren.
Arbeitgeberin darf Vertrauensarzt aussuchen
Die Verpflichtung des Mitarbeitenden, sich einer solchen vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ergibt sich meistens entweder aus dem Arbeitsvertrag, dem Mitarbeiterreglement oder einem Gesamtarbeitsvertrag. Falls keine vertraglichen Regelungen bestehen, kann eine Arbeitgeberin bei Vorliegen von objektiven Gründen, die den Zweifel an der Beweiskraft des Arbeitszeugnisses berechtigen, eine vertrauensärztliche Untersuchung anordnen. Der Vertrauensarzt wird von der Arbeitgeberin ausgesucht, wobei grundsätzlich jeder Arzt eine solche ärztliche Untersuchung machen kann. Dies im Gegensatz zu den Vertrauensärzten, die nach dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) zum Einsatz kommen.
Hat die Arbeitgeberin einen Arzt gefunden, der die vertrauensärztliche Untersuchung übernimmt, ist mit diesem das weitere Vorgehen abzusprechen. Die anfallenden Kosten muss die Arbeitgeberin tragen. Aus praktischer Sicht ist zu bedenken, dass vom Entscheid, einen Vertrauensarzt beizuziehen, bis zum Erhalt des Berichtes des Vertrauensarztes oft einige Zeit verstreicht und auch die Kosten nicht unerheblich sein können.
Vertrauensarzt untersteht einer Schweigepflicht
In der Folge wird der Mitarbeitende von der Arbeitgeberin aufgefordert, sich beim Vertrauensarzt zwecks Terminvereinbarung zu melden. Für die vertrauensärztliche Untersuchung muss der Mitarbeitende seinen bisherigen Arzt von der Schweigepflicht gegenüber dem Vertrauensarzt entbinden, damit dieser die Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Krankenakte und seiner eigenen Untersuchung überprüfen kann.
Nach der Untersuchung wird der Vertrauensarzt gegenüber der Arbeitgeberin die Arbeitsunfähigkeit entweder bestätigen oder verneinen. Weitere Auskünfte über die Ergebnisse der Untersuchung darf der Vertrauensarzt gegenüber der Arbeitgeberin nur dann erteilen, wenn der Mitarbeitende den Vertrauensarzt von der Schweigepflicht entbunden hat, und nur soweit es die Umstände betrifft, die für die Durchführung des Arbeitsvertrags notwendig sind. Über den Befund, die Diagnose oder den weiteren Gesundheitszustand des Arbeitnehmers darf der Vertrauensarzt nicht informieren.
Die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens darf nur dann erfolgen, wenn eine umfassende Befreiung des Vertrauensarztes vom Berufsgeheimnis erteilt wurde, was in der Regel nicht der Fall sein dürfte. Im Umkehrschluss darf der Mitarbeitende darauf vertrauen, dass die vom Vertrauensarzt erhobenen Informationen nicht ohne Weiteres an die Arbeitgeberin weitergeleitet werden. Es liegt somit in der Hand des Mitarbeitenden, in welchem Umfang ein Vertrauensarzt die Arbeitgeberin informieren darf.
Verweigerung eines Besuchs beim Vertrauensarzt
Es kommt nicht selten vor, dass ein Mitarbeitender der Aufforderung, sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen, nicht Folge leistet. Sofern der Mitarbeitende keine gewichtigen Gründe für diese Verweigerung hat, kann dies als Verletzung der Treuepflicht angesehen werden. Zudem kann sich die Arbeitgeberin auf den Standpunkt stellen, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht genügend bewiesen wurde, denn wie eingangs erwähnt, ist ein Arztzeugnis nicht ein hundertprozentiger Beweis einer Arbeitsunfähigkeit. In der Folge muss die Arbeitgeberin den Mitarbeitenden informieren und ihn auffordern, die Arbeit wieder aufzunehmen. Bleibt der Mitarbeitende weiterhin der Arbeit fern, kann die Arbeitgeberin die Lohnfortzahlung einstellen, nach dem Motto «Ohne Arbeit keinen Lohn».
Dasselbe gilt auch, wenn das vertrauensärztliche Zeugnis die Arbeitsunfähigkeit verneinen würde. In diesem Fall hat die Arbeitgeberin den Mitarbeitenden ebenfalls zur Wiederaufnahme der Arbeit aufzufordern. Kann der Mitarbeitende keine objektiven Zweifel am Zeugnis des Vertrauensarztes vorbringen, hat er die Arbeit wieder aufzunehmen. Verweigert er dies, kann die Arbeitgeberin die Lohnfortzahlung einstellen.
Fazit
Der Beizug eines Vertrauensarztes ist mit einigem Aufwand und Kosten verbunden, weshalb sich die Arbeitgeberin einen solchen Schritt gut überlegen sollte. Falls ein Vertrauensarzt die zur Diskussion stehende Arbeitsunfähigkeit nicht bestätigt und der Mitarbeitende keine überzeugenden Argumente vorbringen kann, die das Zeugnis des Vertrauensarztes infrage stellen, kann die Arbeitgeberin die Lohnfortzahlung einstellen, falls der Mitarbeitende nicht zur Arbeit erscheint. Bei einem Streit muss der Richter über die Aussagekraft der beiden Zeugnisse entscheiden.
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