Die grenzüberschreitende Arbeitstätigkeit zwischen Deutschland und der Schweiz wirft vielfältige Fragen zur Besteuerung, zu zivilrechtlichen Aufenthaltstiteln sowie zum Arbeits- und Sozialversicherungsrecht auf. Dieser Artikel zeigt die zentralen Aspekte anhand eines ausgewählten Fallbeispiels, um internationalen Wochenaufenthaltern und Grenzgängern eine Orientierungshilfe in einem komplexen rechtlichen Umfeld zu bieten.
Das nachfolgende Fallbeispiel beschreibt die Situation von EU-Bürgern für die grenzüberschreitende Arbeitstätigkeit zwischen Deutschland und der Schweiz bezüglich des internationalen Wochenaufenthalts und des Grenzgängerstatus. Abweichende Konstellationen können zu abweichenden rechtlichen Rahmenbedingungen führen.
Das Fallbeispiel
Ein verheirateter, unselbständiger Arbeitnehmer mit italienischem Pass (EU-Pass) lebt zusammen mit seiner Frau und seinen zwei schulpflichtigen Kindern in einem Einfamilienhaus in Deutschland. Wochentags übernachtet er in einer kleinen angemieteten Wohnung in der Schweiz nahe dem Arbeitsort, da die tägliche Rückkehr aufgrund der Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort (350 Kilometer) zeitlich für ihn nicht möglich ist. Der Arbeitnehmer arbeitet Vollzeit vor Ort in den Räumlichkeiten des Schweizer Unternehmens.
Voraussetzungen für den Status als Wochenaufenthalter
Um in der Schweiz als deutscher Wochenaufenthalter zu gelten, müssen grundsätzlich kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Arbeitsort in der Schweiz und unselbständige Erwerbstätigkeit
- Lebensmittelpunkt und somit Ansässigkeit (gemäss Art. 4 DBA CH-D) in Deutschland
- tägliche Rückkehr an den Lebensmittelpunkt in Deutschland kann nicht zugemutet werden
- verfügt in der Schweiz über eine Übernachtungsmöglichkeit zwecks Aufenthalts unter der Woche
- kehrt an den Wochenenden regelmässig (mindestens alle zwei Wochen) an den deutschen Wohnort zurück
Weiter stellt sich die Frage, ab wann eine tägliche Rückkehr an den Lebensmittelpunkt in Deutschland aus Sicht der beiden involvierten Steuerbehörden unzumutbar wird. Hier gelten nachfolgende Grenzwerte:
- Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort beträgt mehr als 100 Kilometer
- Arbeitsweg bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel beträgt pro Weg mehr als 1.5 Stunden
Wird mindestens eine der oben genannten Bedingungen erfüllt, gilt die tägliche Rückkehr an den Lebensmittelpunkt in Deutschland als nicht zumutbar. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass eine effektive tägliche Rückkehr trotz einer festgestellten Unzumutbarkeit aus steuerrechtlicher Sicht zu einer Einstufung als Grenzgänger führt.
Das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht richtet sich im Regelfall nach dem Arbeitsort. Bei einer Vollzeitbeschäftigung in der Schweiz gilt demnach das schweizerische Arbeits- und Sozialversicherungsrecht.
Daraus resultiert folgende Erkenntnis: Die im Fallbeispiel geschilderte Person gilt steuerrechtlich als internationaler Wochenaufenthalter und wird dem Schweizer Arbeits- und Sozialversicherungsrecht unterstellt.
Verschiedene Perspektiven, verschiedene Definitionen
Leider kommt es in der Realität oft zu Missverständnissen zwischen den verschiedenen involvierten Parteien, da die steuer-, zivil- und sozialversicherungsrechtlichen Definitionen von internationalen Wochenaufenthaltern und Grenzgängern nicht identisch sind.
In der Theorie verhält es sich so, dass Personen, die steuerrechtlich als internationale Wochenaufenthalter (oder unechte Grenzgänger) gelten und dementsprechend dem ordentlichen Quellensteuertarif unterstehen, zivilrechtlich eine Grenzgängerbewilligung (Ausweis G, EU/EFTA) beantragen oder besitzen sollten. Es ist darauf zu achten, dass im Gesuch klar deklariert wird, dass der Lebensmittelpunkt am ausländischen Wohnort verbleibt und es sich um einen internationalen Wochenaufenthalter handelt. Einige Kantone haben diesbezüglich Zusatzformulare erschaffen oder bestehende Formulare ergänzt.
Weiter können in der Praxis aber auch Konstellationen entstehen, in denen Personen zivilrechtlich im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B, EU/EFTA), einer Niederlassungsbewilligung (Ausweis C, EU/EFTA) oder gar im Besitz der Schweizer Staatsbürgerschaft sind, steuerrechtlich aber als internationale Wochenaufenthalter gelten.
Im zuvor geschilderten Fall ist ersichtlich, dass es sich nicht um einen klassischen Grenzgänger handelt, da sich der Lebensmittelpunkt der Person ausserhalb des Grenzgebiets (Deutschland – Schweiz) befindet. In der Praxis wird in solchen Fällen fälschlicherweise oft eine Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B, EU/EFTA) beantragt.
Ist ein internationaler Wochenaufenthalter im Besitz der Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B, EU/EFTA), kann er bei der zuständigen Einwohnerkontrolle in der Regel nach einer Frist von fünf Jahren einen Wechsel auf die Niederlassungsbewilligung (Ausweis C, EU/EFTA) beantragen. Dieser Umstand ist aus zivilrechtlicher Perspektive nicht gesetzeskonform, da die Person den Lebensmittelpunkt die ganze Zeit im Ausland beibehält.
Echte und unechte Grenzgänger
Im beschriebenen Fallbeispiel beträgt die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort 350 Kilometer. Somit ist eine tägliche Heimkehr nicht zumutbar. Ist jedoch keiner der Grenzwerte erreicht und somit eine tägliche Rückkehr zumutbar, muss zivilrechtlich ebenfalls eine Grenzgängerbewilligung (Ausweis G, EU/EFTA) ausgestellt werden.
Eine Bedingung für die steuerrechtliche Anerkennung als echter Grenzgänger ist das Vorhandensein einer deutschen Ansässigkeitsbescheinigung, die vom deutschen Finanzamt ausgestellt wird. Wird sie zum ersten Mal ausgestellt, wird diese Bescheinigung als «Formular Gre-1» bezeichnet. Bei Verlängerung trägt sie die Bezeichnung «Formular Gre-2». Beide Formulare haben eine Gültigkeitsdauer von einem Jahr und müssen bei einem Arbeitgeberwechsel erneut beantragt werden. Echten Grenzgängern werden maximal 4.5% des Bruttolohns als Quellensteuer in der Schweiz einbehalten.
Um in einer solchen Situation eine volle Besteuerung des Erwerbseinkommens in der Schweiz mit dem ordentlichen Quellensteuertarif zu erreichen und somit steuerrechtlich als unechter Grenzgänger zu gelten, können sich Mitarbeitende durch ihren Arbeitgeber (Formular Gre-3) bestätigen lassen, dass sie während eines Kalenderjahrs bei einer Vollzeitanstellung an mehr als 60 Tagen nicht nach Deutschland an ihren Lebensmittelpunkt zurückgekehrt sind. Das Formular muss nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahrs bis spätestens Ende März des Folgejahres eingereicht werden.
Fazit
Grenzüberschreitendes Arbeiten zwischen Deutschland und der Schweiz erfordert umfassende Kenntnisse des anwendbaren Sozialversicherungs-, Steuer- und Arbeitsrechts. Zudem ist die Auswahl des korrekten zivilrechtlichen Aufenthaltstitels anspruchsvoll. Der Artikel bietet internationalen Wochenaufenthaltern und Grenzgängern eine erste Orientierung, um die verschiedenen Aspekte ihres Arbeitsverhältnisses zu verstehen und ihre Rechte zu nutzen. Die Aufzählung ist aber keinesfalls abschliessend und bezieht sich mehrheitlich auf die steuer- und zivilrechtlichen Problemstellungen. Es ist deshalb ratsam, den Einzelfall durch ein fachkundiges Beratungsunternehmen klären zu lassen. (OBT/mc)