London / Frankfurt – Boris Johnson wurde am Dienstag mit grosser Mehrheit zum Chef der Konservativen Partei gewählt. Er soll am Mittwoch von Königin Elizabeth II. zum Premierminister ernannt werden. Johnson will das Abkommen über den EU-Austritt seines Landes mit Brüssel neu verhandeln und notfalls die EU ohne Abkommen verlassen.
Das sagen Ökonomen zu dem Wahlausgang:
Peter Dixon, Ökonom Commerzbank:
«Boris Johnson, der neue Vorsitzende der Konservativen Partei, steht vor der schwierigen Aufgabe, seine Brexit-Versprechungen mit der Realität im Umgang mit der EU in Einklang zu bringen. Obwohl die Aussicht auf einen ungeordneten Brexit im Oktober gestiegen ist, schätzen wir die Wahrscheinlichkeit dafür weiterhin deutlich unter 50 Prozent. Ein neuer Premierminister wird seine Stellung nicht gleich mit einer äusserst riskanten Politik gefährden wollen. Ohnehin ist die britische Wirtschaft auch ohne Brexit-Risiken starkem Gegenwind ausgesetzt.»
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank:
«Vermutlich wird Johnson seinen harten Kurs aufweichen müssen. Da sich die Gespräche mit Brüssel nicht einfach gestalten werden und die Zeit davon läuft, dürfte eine weitere Verschiebung der Austrittsfrist eine naheliegende Option sein. Ein weiterer Aufschub ist aber keinesfalls gleichzusetzen mit einer dann zu erwartenden Lösung. Die Situation bleibt vertrackt. Neuwahlen oder ein zweites Referendum sind wohl unausweichlich. Für das zuletzt stark gebeutelte britische Pfund ist deshalb noch nicht aller Tage Abend. Sollte sich in den kommenden Wochen herauskristallisieren, dass trotz eines Johnson ein weicher Brexit wahrscheinlich bleibt, wird die britische Valuta zulegen können.»
Achim Wambach, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung:
«Mit Johnson wird ein Vertreter der Austrittsbewegung der nächste Premierminister Grossbritanniens. Das kann eine Chance für den Brexit-Prozess sein, da Johnson, anders als Theresa May, sich nicht gegen die Opposition aus dem Brexiteer-Lager wird wehren müssen. Dadurch wird es ihm möglicherweise einfacher fallen, ein Austrittsabkommen durch das Parlament zu bekommen. Die Europäische Kommission sollte diese Chance nutzen und weiter auf Grossbritannien zugehen.»
Paul O’Connor, Head des Multi-Asset-Teams bei Janus Henderson:
«Die Reaktion des Marktes war bislang verhalten, was angesichts des erwarteten Ergebnisses nicht verwunderlich ist. Die allgegenwärtige Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Brexit hatte sich bereits negativ auf die Vermögenswerte in Grossbritannien ausgewirkt und ist mittlerweile zum Teil eingepreist. (…) Wenn man die Wettbüros als Richtschnur für die Konsenserwartungen betrachten, sehen wir, dass ein No-Deal-Brexit eine Eins-zu-Drei-Wahrscheinlichkeit hat.»
Paul Dales, Chefvolkswirt Grossbritannien bei Capital Economics:
«Trotz seiner harten Haltung im Wahlkampf ist nicht abzusehen, wie Johnson mit dem Brexit umgehen wird, wenn er Premierminister wird. Aber es wird turbulent und die Chancen für einen No-Deal-Brexit (und eine Parlamentswahl und/oder eine Labour-Regierung) sind jetzt sicherlich höher als je zuvor. Was auch immer passiert, eine Lockerung der Finanzpolitik scheint sicher zu sein.» (awp/mc/ps)