Oleo mio – das Öl in aller Munde
Als Politikerin einer Minderheit bin ich es gewohnt, zu verlieren. Man arbeitet sich vertieft in Themen ein, vergräbt sich in Dossiers, stellt Anträge und reicht Motionen ein im Wissen, dass sie bachab gehen werden wie der Sand eines Mandalas, den buddhistische Mönche nach Fertigstellung in den Fluss rieseln lassen. Umso erfreuter war ich in dieser Herbstsession, als eine Motion von mir mit nur einer Stimme doch eine Mehrheit fand: sie verlangt die Deklaration von Kokosöl und Kokosprodukten, die unter Einsatz von gequälten Affen geerntet wurden.
Von Meret Schneider
Abseits der grossen Schauplätze in Bezug auf Tierschutzthemen herrscht nämlich eine grosse Problematik im Zusammenhang mit der Ernte von Kokosnüssen in Thailand, die sich im Zuge der zunehmenden Beliebtheit von Kokosöl noch verschärft.
Junge Affen werden in Thailand angekettet, gewaltsam trainiert und gezwungen, Kokosnüsse zu pflücken. Viele Affen werden ihren Familien ganz jung und überdies illegal entrissen. Man legt ihnen Metallhalsbänder an, die den Hals verletzen, und bindet oder kettet sie so lange an, wie sie für die Kokosindustrie von Nutzen sind. Dies ist jedoch nicht auf allen Kokosnussfarmen der Fall, was Anlass für meinen Vorstoss war.
Mechanische Systeme und kleinere Palmen als Alternative zu Affen
In anderen Kokosnussanbaugebieten – wie Brasilien, Kolumbien und Hawaii – nutzt man tierleidfreie Methoden zur Ernte. Die Kokosnüsse werden dort beispielsweise mit hydraulischen Aufzügen auf Traktoren, Seil- und Plattformsystemen oder Leitern geerntet; in manchen Anbaugebieten setzen die Menschen alternativ auf Zwergformen der Kokospalme. Einige Detailhändler in Deutschland haben bereits reagiert und entsprechende Produkte wie Aroy-D und Chaokoh aus dem Sortiment gestrichen. In der Schweiz werden diese noch immer angeboten, ohne dass Konsumierende über die tierquälerische Produktion Bescheid wissen. Auch mir war das lange Zeit nicht bewusst, bis ich mich im Zuge der Debatte um problematisches Palmöl und mein politisches Engagement dazu, vertieft mit den Schmiermitteln der Lebensmittelindustrie auseinandersetzte.
Es begann harmlos mit einem Konfibrot. Ohne Palmöl, stand auf der Margarine, die genau aufgrund dieser Deklaration den Weg zwischen Brot und Konfi fand und deren Zutatenliste ich während des Kauens beiläufig las, wie ich im Zug “Bitte nicht anlehnen” auf 4 Sprachen lese und mir jeweils wünsche, es hätte auch Rätoromanisch auf dem Schild Platz gefunden. Als erste Zutat lese ich “Kokosöl”. Hmmm, denke ich und mein morgendlich langsam aufstartendes Gehirn fragt sich, wie viel ökologischer denn eine Kokospalme verglichen mit der Palmölpflanze sein kann. Beides importierte Öle, meist aus Monokulturen, gewonnen unter mehr als fragwürdigen Bedingungen und ich nehme mir vor, mich mit der Kokosölproduktion vertieft zu beschäftigen. Die Lektüre erweist sich als aufschlussreich und es zeigt sich: wohl das einzig schlimmere Öl als jenes der Palmölpflanze ist tatsächlich Kokosöl. Nur, dass letzteres von der Lebensmittelindustrie paradoxerweise aus Gründen der Ökologie nun vermehrt eingesetzt und auch noch beworben wird – ein Ausflug in die Supermärkte meiner Umgebung zeigte: wo “ohne Palmöl” draufsteht, ist oft Kokosöl enthalten, sei es in Backwaren, Teigen oder Kosmetika.
Vom Regen in die Traufe
Dieser dreiste Sprung vom Regen in die Traufe der Lebensmittelindustrie brachte mich kurz auf die (ÖL-)Palme. Im Schatten des Palmöl-Bashings feiert Kokosöl stillschweigend seinen Siegeszug. Die Ironie dahinter: Sämtliche negativen Aspekte des Palmöls (Anbau in Regenwaldgebieten, Monokulturen, Enteignung, Brandrodungen) treffen auch auf Kokosöl zu – nur dass dieses wesentlich ineffizienter ist. Für die Produktion von Kokosöl wird gut die doppelte Fläche gebraucht wie für die gleiche Menge Palmöl und damit die Regenwald- Landrodungsproblematik noch wesentlich verschärft.
Tatsächlich ist die Ölpalme trotz ihres schlechten Rufes ja eigentlich eine maximal effiziente Palme, was ihren Output pro Fläche betrifft. Ausserdem ist ihr Öl leicht zu gewinnen, zu verarbeiten und zudem geruchsneutral. Verständlich also, dass die Industrie davon Gebrauch macht, wo auch immer es Sinn macht – und auch wo nicht. So wurde in Kanada kürzlich bemängelt, dass die Butter nicht mehr streichfähig sei, was offenbar darauf zurückzuführen ist, dass den Kühen palmölangereichertes Futter zugeführt wird. Kein Witz.
Der weitestgehende Verzicht auf Palmöl ist populär geworden; Grossverteiler und Markenprodukte schmücken sich mit dieser Absicht, ohne jedoch aufzuzeigen, was alternativ verwendet wird, und dies aus gutem Grund: die Lösung ist nicht einfach und kann nur ein Mix aus verschiedenen Quellen sein; Anlass zur Hoffnung gibt die Firma Wander, die beispielsweise in sämtlichen Produkten Palm- durch Rapsöl ersetzt. Auch Sojaöl wäre eine Option, zumal Soja in der Schweiz bereits angebaut wird (meist noch als Tierfutter, zunehmend auch für die Produktion von Schweizer Tofu) und der dabei entstehende Presskuchen ebenfalls Verwendung finden würde. Doch auch beim besten Mix wird es in Anbetracht der begrenzten Fläche und Effizienz schwierig, auf die Mengen an Palmöl zu kommen, die heute Verwendung finden. Letztlich gibt es nur einen Schritt vorwärts: der Schritt zurück. Weniger.
Das Privileg des «weniger«
In einer Zeit, in der es kaum jemand wagt, von “weniger” zu sprechen, ohne hastig ein “dafür besser” nachzuschieben. In einer Zeit, in der Minimalismus trendy ist und bedeutet, statt der Zweitwohnung in Pontresina nun ein “tiny house” im skandinavischen Norden mit karierten Wolldecken auszustatten – hygge eben. In dieser Zeit sage ich “weniger” und meine damit nicht “dafür exklusiver, besser, schöner”, sondern einfach weniger. Wir können uns die Mengen an Konsumgütern, die wir produzieren und oft ungenutzt entsorgen, schlicht nicht länger leisten, unser Planet gibt nicht unendlich mehr her. Das ist unattraktiv, niemand möchte Verzicht ohne das Versprechen, es werde dafür besser, Qualität statt Quantität, exklusiv, statt mainstream. Aber dieser Weg hat uns nicht einen nachhaltigeren Konsum, sondern schlicht einen massiven Rebound-Effekt gebracht. Was wir tatsächlich vorantreiben müssen, ist die bedingungslose Reduktion, weniger Produktion, weniger Abfall, weniger Konsum. Weniger Auswahl, weniger Convenience, weniger all inclusive. Früher oder später werden wir durch die Grenzen unseres Planeten zu diesem Weg gezwungen sein, doch heute haben wir die Wahl, ihn aus freien Stücken zu beschreiten. Weil wir weniger wollen. Und das fühlt sich doch bereits wieder nach einem echten Privileg an. Nutzen wir es!
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite