Panikartig wird das Autos mit Familienmitgliedern und Stau-Utensilien vollgestopft und der Weg in den Süden unter die Räder genommen. Ein Ritual, das in Erwartung an die stundenlangen Rekordstaus von einer dunklen Massen-Masochismus-Bewegung gesteuert sein muss. Wieso tun sich das Zehntausende jedes Jahr wieder an?
Von Helmuth Fuchs
Schöneres Wetter mag ja noch im Ansatz als Erklärung dienen, wäre da nicht dieselbe Völkerwanderung auch bei Schönwetterlage im Norden. Bis ich von einem meiner Gäste bei einer Podiumsdiskussion zum Thema «Nachhaltigkeit» auf eine heisse Spur geschubst wurde. Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln merkte zum Thema Stille an: «Viele machen die erschreckende Erfahrung, dass das Leben in der Stille unheimlich laut sein kann.» Offenbar sind wir Innehalten und Ruhe nicht mehr gewohnt. Hektik wird mit energetischem Lebensstil verwechselt, unterwegs sein mit Fortschritt gleich gesetzt.
Anfänger Set und nächstes Level
Ganz anders bei den Vertretern derjenigen Religion, die uns die freien Tage beschert hat. Gläubige und praktizierende Christen feiern Tod und Auferstehung, den absoluten Tief- wie auch den absoluten Höhepunkt, innerhalb von drei Tagen. Eine auch heute noch psychische Achterbahnfahrt der Sonderklasse nach der physisch herausfordernden Fastenzeit. Man muss nicht religiös sein, um die Faszination dieser Tage zu erfahren und die Gelegenheit für eine persönliche Auszeit zu ergreifen. Anstatt sich nach altertümlicher Weise real in den Süden quälen, sich für einmal virtuell in das nächste Leben denken. Nebst dem Anfänger-Set von Fragen wie «gibt es ein Leben nach dem Tod» lauern die nächsten Levels wie «was bleibt vom mir hier, welche Form werde ich im nächsten Leben haben?», «gibt es Leiden in der Unsterblichkeit/Ewigkeit oder in einer Übergangsphase?», «welche Konsequenzen ziehe ich aus der Annahme eines ewigen Lebens / einer Wiedergeburt / dem endgültigen Ende?»
Der lauteste Knall entspringt der Stille
Der Fantasie für Fragen sind keine Grenzen gesetzt. Woher die Antworten kommen und wer diese gibt, liegt im Wesentlichen beim Fragesteller. Im besten Fall eröffnet sich nebst der durch Ignorieren der Sterblichkeit fabrizierten Unsterblichkeit im Hier eine bewusst erahnte Unsterblichkeit nach dem Ableben, sozusagen die Unsterblichkeit 2.0. Nur schon die Beschäftigung mit dem Thema wäre eine bereichernde Alternative zum Stau-Erlebnis. Bewegung wird nur durch Stillstand, der lauteste Knall entspringt der Stille.
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern besinnliche Ostertage.