Persönliche Erfahrungen sind entscheidend für die Beurteilung der Globalisierung

Persönliche Erfahrungen sind entscheidend für die Beurteilung der Globalisierung
(Foto: unsplash / Unibas)

Basel – Heilsbringerin oder Bedrohung? Wie Menschen die Globalisierung beurteilen, hängt von ihren eigenen Erfahrungen ab. Sie wiegen mehr als Prognosen über potenzielle Gewinne. Das zeigt ein Experiment von Forschenden der Universität Basel.

Weltumspannende politische und wirtschaftliche Beziehungen gelten seit Jahrzehnten als Königsweg zu mehr Wohlstand. Entsprechend wurden sie stetig ausgebaut und intensiviert. In letzter Zeit ist die Globalisierung jedoch ins Stocken geraten: Die Menschen stehen der politischen und wirtschaftlichen Integration von Ländern, also der Öffnung von Güter-, Dienstleistungs- und Arbeitsmärkten sowie der Einschränkung politischer Entscheidungsmöglichkeiten, kritischer gegenüber als früher. «Es lässt sich sogar ein Gegentrend beobachten, eine Desintegration. Beispiele sind der Brexit, die protektionistischere U.S.-Handelspolitik, ein gewisses Auseinanderdriften in der EU oder die Spannungen im Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU», sagt Rolf Weder.

Der Professor für Aussenwirtschaft und Europäische Integration an der Universität Basel und seine Ko-Autoren in Basel und an der Chapman University (USA) wollten wissen, wie sich die Aussicht auf Gewinne infolge der Globalisierung auf das Verhalten von Individuen auswirkt. Mit anderen Worten: Hängt die Zustimmung wirtschaftlicher Integration von der absoluten Höhe und der Verteilung der potenziellen Gewinne ab? Darüber berichten die Forschenden im Journal Experimental Economics.

Verschiedene Szenarien durchgespielt
Um dies zu ermitteln, führten die Forschenden ein Experiment mit 900 Personen durch. In diesem fiktiven Szenario stellte die wirtschaftliche Integration höhere finanzielle Gewinne für die Studienteilnehmenden in Aussicht als in einer geschlossenen Volkswirtschaft. Allerdings war es schwierig, diese Gewinne tatsächlich zu realisieren und sie mussten durch kooperatives Verhalten erarbeitet werden.

Die Forschenden untersuchten, wie potenzielle Gewinne das Verhalten der Akteure beeinflussen, indem sie das Verhalten der Testpersonen in verschiedenen Szenarien beobachteten. So waren die Gewinne je nach Behandlungsgruppe («Treatment») unterschiedlich hoch und unterschiedlich verteilt. Die Akteure konnten anschliessend entscheiden, ob sie basierend auf den gemachten Erfahrungen in einer integrierten Wirtschaft weiterfahren oder zurück in die ökonomische Unabhängigkeit wollen.

«Diese Methodik hat den Vorteil, dass wir zahlreiche Einflussfaktoren kontrollieren können. Das war für die untersuchte Fragestellung entscheidend», ordnet Rolf Weder das Vorgehen ein. Die gewonnenen Daten liessen eine gezielte Auswertung zu, die ausserhalb des Labors kaum zu machen gewesen wäre.

Erfahrungen wiegen schwerer als gute Aussichten
Das Experiment bestätigt, dass nicht alle von der Globalisierung profitieren, obwohl die Integration potenzielle Gewinne für alle verheisst. Die ungleiche Verteilung der Gewinne hat indes keinen Einfluss darauf, inwieweit die Akteure die wirtschaftliche Integration unterstützen und wie kooperativ sie sich verhalten, um die in Aussicht gestellten Gewinne einzufahren.

Vielmehr hängt der Zuspruch für die Globalisierung davon ab, welche individuelle Erfahrung jemand mit der wirtschaftlichen Integration gemacht hat. «Wir können die Akteure also als ökonomisch rational bezeichnen. Das haben wir in dieser Eindeutigkeit nicht erwartet», sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Zudem hätten persönliche Erfahrungen meist mehr Gewicht als Hochrechnungen oder Versprechen. Den Menschen die potenziellen Gewinne einer Globalisierung vor Augen zu führen, würde also vor dem Hintergrund des Experimentes wenig bringen, um sie von den Vorteilen der wirtschaftlichen Integration zu überzeugen.

Verlust bedeutet nicht automatisch Ablehnung
Im Umkehrschluss heisst das: Je einfacher Individuen die Vorteile nutzen können, desto mehr unterstützen sie die Globalisierung. Damit sinkt gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu den Verlierern gehören. Das Vertrauen in die zentralen Institutionen, welche die Weltwirtschaft stabilisieren, ist dafür eine Schlüsselgrösse. «Hier besteht derzeit allerdings ein grosses Defizit», gibt Weder zu bedenken.

Doch auch die Verlierer der Globalisierung sind wirtschaftlicher und politischer Integration nicht grundsätzlich abgeneigt. Je mehr der Staat sie durch soziale Massnahmen vorübergehend unterstützt und dadurch die Konsequenzen abfedert, desto geringer ist ihre Ablehnung. «Dies ist meines Erachtens eine Bestätigung der etablierten Mechanismen in Ländern wie der Schweiz und zeigt die Schwächen von Systemen wie demjenigen in den USA auf», so Weder.

«Interessant wäre nun zu untersuchen, wie die Menschen reagieren, wenn sie die Möglichkeit haben, die Verlierer zu kompensieren, das heisst deren Verluste durch Abgabe eines Teils der eigenen Gewinne zu unterstützen. Wir befinden uns bei solchen Analysen im Labor erst am Anfang», sagt er abschliessend.

Dieses Projekt wurde massgeblich vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt, die Experimente wurden im Labor der Chapman University in Orange (USA) durchgeführt. (Universität Basel/mc/ps)

Originalpublikation
Gabriele Camera, Lukas Hohl, Rolf Weder
Inequality as a barrier to economic integration? An experiment.
Experimental Economics (2022), doi: 10.1007/s10683-022-09777-4
Universität Basel

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