St. Gallen – In der Schweiz findet ein stiller Exodus statt. Immer mehr private Bauherren verabschieden sich vom Wohnungsbau. Und das nicht nur bei den Wohnungen, sondern auch beim klassischen Einfamilienhaus.
Ein «Hüsli» im Grünen: Das war der Traum der Babyboomer-Generation. Für die nachfolgenden Generationen bleibt dieser Traum meist ein reines Wunschdenken. Immer weniger Menschen können sich aufgrund der gestiegenen Immobilienpreise noch Wohneigentum leisten.
Das hat nun auch Folgen für den Immobilienmarkt in der Schweiz. Privatpersonen verlieren das Interesse am Wohnungsbau, wie eine am Donnerstag veröffentlichte Studie von Raiffeisen zeigt.
Neben dem Druck zum verdichteten Bauen, der die Komplexität von Bauprojekten zusätzlich erhöhe, seien auch die Regulierungsflut, der Trend zu grösseren Wohngebäuden sowie die Abnahme handwerklicher Kompetenz für diese Entwicklung verantwortlich, schreibt die Bank in ihrer Analyse.
Heimwerker-Grundfähigkeiten nehmen ab
«Die handwerklichen Grundfähigkeiten von Herrn und Frau Schweizer nehmen tendenziell ab, weil es immer mehr Bürojobs gibt und die meisten Arbeitnehmer im Berufsalltag kaum noch handwerkliche Arbeiten verrichten», wird Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz zitiert.
Dadurch sinke die Lust am «Hüsli bauen» weiter. Hinzu komme, dass in der heutigen Freizeitgesellschaft ein freies Wochenende nach einer anstrengenden Arbeitswoche einem «Zweitjob» auf der Baustelle immer mehr vorgezogen werde.
Konkret wird nur noch etwa jede zehnte neue Mietwohnung in der Schweiz von privaten Bauherren erstellt. Vor zwanzig Jahren sei es noch jede fünfte gewesen.
Auch den Bau von Einfamilienhäusern überliessen die Privaten zunehmend den Profis. Wurden 2008 noch zwei Drittel der Baugesuche für Einfamilienhäuser von Privaten eingereicht, sind es heute weniger als die Hälfte.
Private verkaufen ihre Renditeobjekte
Weiter zeigt die Studie, dass Private nicht nur weniger als Bauherren auftreten, sondern ihre bestehenden Renditeobjekte auch häufiger verkaufen, insbesondere an institutionelle Investoren. So sei der Anteil der Mietwohnungen in Privatbesitz seit 2017 von 49 auf 45 Prozent gesunken.
«Diese Entwicklung verlief lange Zeit im Verborgenen, denn während der Tiefzinsphase füllten institutionelle Investoren bereitwillig die Lücke, welche die Privaten hinterliessen», sagt Hasenmeile. Erst mit dem Zinsanstieg und der abnehmenden relativen Attraktivität von Immobilienanlagen hätten die Institutionellen ihren Appetit etwas gezügelt, womit der bereits seit Jahren andauernde Rückzug der privaten Bauherren sichtbar geworden sei. (awp/mc/ps)