Von Christopher Kayatz*
2005 las man in Beschaffungskreisen über den strategischen Ansatz, die indirekte Beschaffung auszulagern, da Warengruppen-und Marktkenntnis effizienter in wenigen spezialisierten Outsourcing-Zentren gebündelt wären. Diese hat sich nicht bewahrheitet. Die Schnittstellen zum Bedarfsträger sind zu erfolgskritisch, Spezifikationen sind jeder Organisation eigen, und Skaleneffekte sind gering.
Etwas später, 2008, vertraten Spezialisten die Ansicht, dass Warengruppen aller Art kategorisch über elektronische Auktionen verhandelt werden sollten, um die Kostenreduktion zu beschleunigen, und um die Standardisierung voranzutreiben. Auch dieser Trend schien aus damaliger Perspektive zukunftsweisend, man erkennt heute aber, er nur begrenzt umsetzbar ist.
Noch mehr als damals befinden wir uns heute in einem Umfeld, wo wesentliche Trends in Fachkreisen diskutiert werden, und auch heute ist es schwierig abzuschätzen, wo sich diese Trends einpendeln werden. Man wünscht sich «hindsight», die Fähigkeit, eine Situation zu verstehen, nachdem sie passiert ist.
Welche Segmente der Beschaffung werden die Digitalisierung wirklich beeinflussen, wie tief und wie schnell? Der «Economist» feiert in einem Leitartikel eine neue Ära der Arbeit, wo KI den Arbeitsmarkt ergänzen, aber nicht ablösen wird. Vermischen wir einfache Automatisierung mit «deep learning» und sind eigentlich weniger weit, als wir es uns erhoffen? Die Coronakrise brachte viele Unternehmen zum Stillstand. Das gab Fachkräften die Zeit nachzudenken, und eine Flutwelle von Trendartikeln überfüllt Plattformen wie LinkedIn. Wir sind in der Digitalisierung noch in den Kinderschuhen, denn Inhalte zu «Digitalisierung bringt Chancen» überwiegen leider noch gegenüber denjenigen zu «Gewinner und Verlierer unterscheiden sich in folgenden Punkten».
Nachhaltigkeit hingegen scheint die Schwelle vom Lippenbekenntnis zu fundamentaler Notwendigkeit überschritten zu haben. Es ist erbauend, von Ausschreibungen zu erfahren, wo bei vergleichbaren Wettbewerbern der Fokus auf Nachhaltigkeit den entscheidenden Ausschlag gegeben hat. Doch welche Wirkung hat die Summe aller Massnahmen der Erdbewohner wirklich? Der «end to end»-Effekt von Nachhaltigkeitsmassnahmen ist heute nicht einfach genug messbar, weswegen Stossrichtungen von Pionieren lobenswert, vielleicht aber nur begrenzt effektiv sind.
Einige internationale Konzerne, die sich vor fünfzehn Jahren das «transfer pricing» zu Nutze machten und Beschaffungshubs in die Schweiz verlegten, verlagern diese heute zurück in die Nähe der Bedarfsträger im HQ. Was uns für ein begrenztes Zeitfenster erhalten bleibt, ist ein Überfluss an qualifiziertem, englischsprachigem Talent. Was machen wir daraus als Arbeitgeber, und als Land, das führend in Innovation ist?
Demgegenüber haben lokale Organisationen gewisse Schwierigkeiten, transformative, innovative Beschaffungstalente auf sich aufmerksam zu machen. Erforderliche Sprachkenntnisse stehen oft im Weg. Der Einzugskreis von Rekrutierungsbemühungen weitet sich auf Deutschland und Österreich aus. Interessanterweise stellt sich für künftige Kandidaten die Frage, ob der Wohnort im Ausland bleiben kann, da es mit Zoom ja recht gut klappt. Wie optimieren wir zwischen Kompetenz und erforderter Büropräsenz?
«Hindsight» wäre in vielen Punkten wertvoll. Wir können nicht in die Zukunft sehen, aber wir können zu zukunftsweisenden Themen eine nüchterne Perspektive ermitteln, quasi Hand aufs Herz, wo wir heute eigentlich stehen, wie schnell die Veränderung tatsächlich vorangeht und wo wir glauben, dass sie sich einpendeln werden. Auf ein gemeinsames Erörtern. (procure.ch/mc/ps)
*Christopher Kayatz ist CPO der Post. Er befasst sich seit 2003 mit Procurement in Unternehmen wie McKinsey & Company, Carlsberg oder IWG in Schweden, den USA, Grossbritannien und der Schweiz. Er befasst sich heute mit Beschaffungstransformationen.