Am 21. Mai finden in Griechenland Parlamentswahlen statt, nachdem die vierjährige Amtszeit der aktuellen Regierung abgelaufen ist. Die vom griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis geleitete führende Partei, Nea Dimokratia, hatte während dieser vier Jahre zwar die meiste Zeit einen deutlichen Vorsprung gegenüber den anderen Parteien. Ein Abhörskandal und das Zugunglück in Tempi veränderten das Bild jedoch.
von Nicolas Roth, Head of Private Assets
Die wichtigste Oppositionspartei, Syriza, unter der Leitung des früheren Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, konnte in den Umfragen zuletzt wieder aufholen und den Rückstand verringern. Griechenland ist zwar ein kleines Land, das viele Anleger nicht auf dem Radarschirm haben. Diese Wahl ist jedoch sehr wichtig, da das Land zu einem wichtigen Akteur in Europa wird. Wie laufen die Wahlen ab und was steht für Griechenland auf dem Spiel?
Wie funktioniert das System?
Das griechische Parlament zählt insgesamt 300 Sitze. Für die absolute Mehrheit sind 151 Sitze nötig. Nach der Wahlrechtsreform von 2016 wird die erste Runde dieser Wahl nach dem Verhältniswahlrecht ausgetragen. Wenn keine Partei die absolute Mehrheit erringt, erteilt die griechische Präsidentin Katerina Sakellaropoulou dem Führer der Partei mit den meisten Stimmen die Erlaubnis zur Bildung einer Koalition. Kommt keine Koalition zustande, wird die zweite Partei aufgefordert, eine Koalition zu bilden, und so weiter. Gelingt es allen Parteien nicht, eine Koalition zu bilden, findet 40 Tage nach der ersten Wahl eine zweite statt. Bei dieser zweiten Wahl gilt ein semi-proportionales System mit Bonusmandaten nach einer gleitenden Skala. Bei diesem Bonussystem erhält die Partei, die 25 % der Stimmen errungen hat, 20 Bonussitze. Anschliessend werden nach einem linearen Verhältnis 30 weitere Sitze verteilt – bis zu einem Stimmenanteil von 40 %. Insgesamt werden 50 Bonussitze vergeben.
Angesichts der Ergebnisse der jüngsten Umfragen wird sehr wahrscheinlich keine Partei beim ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit erringen, sodass eine zweite Wahlrunde nötig wird.
Welche Parteien stellen sich zur Wahl?
Die Nea Dimokratia (ND) von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis ist derzeit die regierende Partei. Während ihrer vierjährigen Amtszeit, die 2019 begann, hat die ND viele Meilensteine erreicht, deren Höhepunkt der Ausstieg aus dem EU-Überwachungsprogramm im August 2022 ist. Darüber hinaus hat die ND von der sinkenden Arbeitslosigkeit und der Heraufstufung des Ratings bis hin zum soliden BIP-Wachstum und der souveränen Bewältigung der Covid-Krise gezeigt, dass sich Pragmatismus auszahlt. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts kam Griechenland durch mehrere Projekte wie LNG-Terminals, die EastMed-Pipeline und die TAP-Verbindung eine Schlüsselrolle in der Energiestrategie der EU zu. Laut den Umfragen würde die ND derzeit rund 32 % der Stimmen erhalten.
Syriza liegt an zweiter Stelle, angeführt vom ehemaligen Premierminister Alexis Tsipras. Syriza ist ein Linksbündnis und stellt die Hauptopposition gegen Mitsotakis dar. Syriza, die in den Umfragen bei 26 % liegt, hat sich über die mangelnde Untersuchung des Abhörskandals, in den Mitsotakis verwickelt war, lautstark geäussert und macht die ND für das tragische Zugunglück in Tempi verantwortlich. In jüngster Zeit hat Tsipras eine mögliche Koalition mit MeRA25, der Partei von Yanis Varoufakis, angedeutet.
Pasok, eine sozialistische Bewegung, die derzeit 9 % der Stimmen erhalten würde und von Nikos Androulakis angeführt wird, ist die drittwichtigste Partei des Landes. Die Pasok steht der ND und Syriza kritisch gegenüber und behauptet, dass beide Parteien während der Krise Sparmassnahmen unterstützt haben. Sollte es zu einer Koalition kommen, wird die Pasok auf einen Premierminister drängen, der nicht Parteivorsitzender ist. Im wahrscheinlichen Fall einer zweiten Wahl ist eine Pasok-Syriza-Koalition ein voraussichtliches Ergebnis.
Andere Parteien wie die kommunistische Partei KKE, die in den Umfragen bei 6 % liegt, werden einige Sitze gewinnen. Die ultranationalistische Partei Griechische Lösung liegt heute mit rund 4 % in den Umfragen über der 3-%-Hürde, während MeRA25, die linksradikale Partei von Varoufakis, derzeit in den Umfragen knapp über 3 % liegt. Viele Griechen haben wenig Achtung vor Varoufakis, der 2015 das Schicksal des Landes aufs Spiel gesetzt hat, während einige in der EU ansässige Intellektuelle sein unkonventionelles Denken weiterhin loben. Schliesslich wurde die Goldene Morgenröte vor kurzem vom Obersten Gerichtshof von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen.
Was steht auf dem Spiel?
Die meisten Reformen haben unumkehrbar an Schwung gewonnen. Grosse ausländische Unternehmen investieren jetzt in Griechenland. Microsoft beispielsweise baut dort Datenzentren auf, und Hewlett-Packard hat vor kurzem ein KI-Exzellenzzentrum in dem Land eingerichtet. Griechenland hat ausserdem seinen bisher grössten Wachstumsplan mit der Bezeichnung Griechenland 2.0 umgesetzt, einen umfangreichen Investitionsplan, der vom Pissarides-Ausschuss entwickelt wurde. Dieser Plan hat es dem Land ermöglicht, sich für die Fazilität für Konjunkturbelebung und Widerstandsfähigkeit und NextGenEurope zu bewerben.
Und schliesslich, und das ist von entscheidender Bedeutung, könnte Griechenland bald sein 2011 verlorenes Investment-Grade-Rating zurückerhalten, nachdem es zwölf Jahre lang im Ramschbereich unterwegs war. Diese Heraufstufung könnte den Entwicklungspfad Griechenlands dramatisch verändern, da Investoren das Land wahrscheinlich wieder als investierbar ansehen werden. Alex Patelis, der wichtigste Wirtschaftsberater des griechischen Premierministers, sprach kürzlich auf dem Delphi-Forum und nannte drei entscheidende Voraussetzungen. Er stellte fest, dass die Verschuldung tendenziell sinken sollte, dass Reformen durchgeführt werden müssen und dass die Banken stabilisiert werden müssen, bevor Griechenland wieder als investierbar angesehen werden kann. Jeder Griechenland-Beobachter weiss, dass alle diese Bedingungen heute mehr als erfüllt sind. Die Zukunft Griechenlands ist heller als je zuvor. (REYL/mc)