Kommentar von Marco Bonaviri, Senior Portfolio Manager bei Reyl, zu den Provokationen von Präsident Trump gegenüber China.
Genf – In den letzten Wochen waren die diversen von Donald Trump angekündigten protektionistischen Massnahmen Gegenstand zahlreicher Kommentare. Nach den Einfuhrzöllen auf Stahl und Aluminium kamen auch noch Sonnenkollektoren und Waschmaschinen hinzu1. Am 22. März unterzeichnete Präsident Trump ein Memorandum, worin China „wirtschaftliche Aggression“ im Sinne von Artikel 301 des Handelsgesetzes von 1974 vorgeworfen wird. Er verhängte Strafmassnahmen gegen China-Importe im Wert von 60 Mrd. US-Dollar. Das entspricht in etwa zwölf Prozent des US-Gesamtimportvolumens aus China für 2017 in der Höhe von 506 Milliarden US-Dollar. Die US-Regierung rechtfertigt diese Massnahme als Ausgleich für angebliche Verletzungen des geistigen Eigentums. Washington beschuldigt vor allem das von Peking vorgeschriebene Joint-Venture-System für US-Unternehmen: Als Gegenleistung für den Zugang zum chinesischen Markt sind US-Firmen gezwungen, mit ihren lokalen Partnern einen Teil ihres technologischen Know-hows zu teilen. Die US-Stellen haben 15 Tage Zeit, um die offizielle Liste mit den Erzeugnissen und Zolltarifen vorzulegen. Daraufhin folgt ein Zeitraum von 30 Tagen, während dessen die US-Wirtschaft eventuelle Einsprüche vorbringen kann.
Präsident Trump bestätigte den protektionistischen Wandel der US-Regierung und wies den Handelsbeauftragten der USA, Robert Lighthizer, an, das Schlichtungsverfahren der WTO zur Bekämpfung diskriminierender Praktiken bei der Lizenzvergabe durch China in Gang zu setzen. Schliesslich forderte Trump das Finanzministerium auf, innerhalb von 60 Tagen Investitionsbeschränkungen vorzubereiten, um zu verhindern, dass von China kontrollierte Unternehmen solche US-Unternehmen erwerben, die in sensiblen Technologien und strategischen Sektoren tätig sind2. Mit anderen Worten, die US-Regierung setzt auf das „Committee on Foreign Investment in the United States“ (CFIUS), um die Übernahme von US-Firmen zu verhindern. Dies belegt auch das jüngste Beispiel der verbotenen feindlichen Übernahme von Qualcomm durch das Singapurer Unternehmen Broadcom.
Zunehmende Provokationen
Diese Strafmassnahmen, die ersten, die direkt auf China abzielen, stellen einen Paradigmenwechsel in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen dar. Unter der Präsidentschaft Trumps wird der strukturierte Diskurs, der seit Jahrzehnten zwischen den beiden Supermächten vorherrschte, zusehends frontaler und konfrontativer. Obwohl Trump inzwischen darauf verzichtet hat, China Währungsmanipulationen vorzuwerfen, greift der US-Präsident das Land nun anderweitig an, indem er China der wirtschaftlichen Aggression, insbesondere des Diebstahls geistigen Eigentums und des unlauteren Wettbewerbs bezichtigt. In diesem Zusammenhang sollen die von den Strafzöllen betroffenen Produkte in das Programm „Made in China 2025“ aufgenommen werden. Dabei handelt es sich um eine ehrgeizige Initiative zur Förderung des chinesischen Industriesektors. Trump machte auch deutlich, dass die jüngsten Massnahmen die ersten in einer langen Reihe seien. Zusätzlich zu den Handels- und Investitionshemmnissen für China steigerte Präsident Trump die Provokationen auf diplomatischer Ebene, insbesondere in Bezug auf Taiwan, indem er beispielsweise am 16. März ein Gesetz unterzeichnete, das es US-Offiziellen erlaubt, Taiwan zu besuchen3.
Präsident Xi Jinping hat bisher auf die vielfältigen verbalen Provokationen der US-Regierung nicht reagiert. Dieser Strategie folgend forderte China die USA zu einvernehmlichen Verhandlungen 30 Tage vor dem Inkrafttreten der kürzlich angekündigten Zölle auf. Peking zufolge gelte es, eine Eskalation der Handelsspannungen zu vermeiden. Im Gegenteil, das Land wolle Verhandlungen aufnehmen und dabei als Befürworter des Freihandels auftreten. Dennoch erklärten die chinesischen Behörden, sie seien bereit, sich einem möglichen Handelskrieg zu stellen. China hat auch auf die Zölle für Stahl und Aluminium mit der Einführung von Zollabgaben auf mehr als 120 US-Produkte, die für 3 Mrd. US-Dollar importiert wurden, reagiert. Die chinesische Antwort auf die Zölle für ein Handelsvolumen von 60 Mrd. US-Dollar steht noch aus, sie könnte aber einigen Schätzungen zufolge 15 bis 25 Mrd. US-Dollar der US-Exporte nach China betreffen4.
Protektionistischen Massnahmen
Die kürzlich lautstark angekündigten protektionistischen Massnahmen dienen in erster Linie den politischen Interessen Donald Trumps. Auf internationaler Ebene eröffnet die Drohung mit Importzöllen eine erhebliche Hebelwirkung bei bestimmten bilateralen Verhandlungen. Kurzum, eine Strategie mit Zuckerbrot und Peitsche. Dies gilt insbesondere für Kanada und Mexiko, die von den Strafzöllen auf Stahl- und Aluminium ausgenommen wurden, um im Gegenzug Konzessionen bei der Neuverhandlung des NAFTA-Abkommens zu machen. Mit seinem Verhandlungsgeschick scheint sich Donald Trump auf die Ankündigung von Strafmassnahmen zu verlassen, um seine Partner mit einem gewissen Vorteil an den Verhandlungstisch zu zwingen. Eine Verhandlungstechnik, die viele Beobachter als Verhandlungen mit der Pistole an der Schläfe vergleichen. Dies ist höchstwahrscheinlich das Ziel der Pläne des US-Präsidenten gegen China: Letzteres soll zur Aushandlung eines bilateralen Abkommens genötigt werden, um so das US-Handelsdefizit gegenüber China in Höhe von 100 Mrd. US-Dollar abzubauen. Peking und Washington sollen inzwischen bereits hinter den Kulissen Verhandlungen geführt haben, nachdem Liu durch ein Schreiben von Mnuchin und Lighthizer aufgefordert worden war, Massnahmen zur Erleichterung der US-Importe zu ergreifen.
Auf nationaler Ebene prangert die US-Regierung die Ausweitung ihres Handelsdefizits gegenüber dem asiatischen Riesen an, das sie unfairen Handelspraktiken zuschreibt. Ende 2017 betrug das gesamte US-Handelsdefizit 566 Mrd. US-Dollar – der höchste Stand seit 2008. Das bilaterale Defizit mit China erreichte mit 375 Mrd. US-Dollar ein Allzeithoch. Diese Situation geht einher mit erschreckenden makroökonomischen Zahlen wie der Erhöhung der Verschuldung und den Einbussen bei der Wettbewerbsfähigkeit. Daher besteht in Washington ein parteiübergreifender Konsens darüber, dass jetzt etwas gegen das Handelsdefizit getan werden müsse. Die Strafmassnahmen gegen China erlauben es Präsident Trump somit, Unterstützer im Lager der Demokraten zu gewinnen. So zum Beispiel Senator Chuck Schumer, Fraktionsführer der Demokraten im Senat. Für Donald Trump, dem bei den Zwischenwahlen im November 2018 der mögliche Verlust des Kongresses durch die Republikaner droht, ist es ein echter Segen, einen Teil der Opposition für sich gewonnen zu haben. Gleichzeitig beweist Trump, dass er seine Wahlversprechen hält, indem er die USA gegen das verteidigt, was seine Unterstützer einen Handelskrieg nennen, den China seit Jahrzehnten gegen die USA geführt habe.
Risiko einer Eskalation der Spannungen
China und die Vereinigten Staaten bleiben dennoch extrem voneinander abhängig. Wirtschaftlich bleibt das Reich der Mitte der grösste Gläubiger der USA, zumal der Finanzierungsbedarf des US-Schatzamts in den nächsten zwei Jahren enorm hoch sein wird. Für die Chinesen besteht die Priorität darin, die Überschüsse ihrer Wirtschaft in geordneter Weise abzubauen. Dazu benötigen sie eine gesunde Weltwirtschaftslage. Die Auswirkungen der ersten Salve von Strafzöllen, die von den USA und China angekündigt wurden, sind im Hinblick auf das Wirtschaftswachstum momentan recht begrenzt. Doch ist das Risiko einer Eskalation der Spannungen, die zu einem globalen Handelskrieg führen können, bei Weitem nicht auszuschliessen. Die Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen China und den USA sind tief in der globalen Lieferkette verankert, sodass ein Handelskrieg zwischen beiden Ländern daher zwangsläufig Folgen für Unternehmen und Verbraucher in anderen Ländern haben wird. Dieses Risiko wird in den kommenden Monaten eine der Hauptsorgen der Anleger bilden, da es das Potenzial hat, Unruhen auszulösen und schliesslich zu einem grossen zyklischen Bärenmarkt führen kann.
Dennoch ist es wahrscheinlich, dass Donald Trump, der in Sachen Verhandlungen kein Anfänger ist, die Gefahr des Protektionismus und des Handelskriegs vor allem heraufbeschwört, um seine Verhandlungsgegner zu späteren Eingeständnissen zu zwingen. Das Ziel der US-Regierung scheint in erster Linie darin zu liegen, das massive bilaterale Handelsdefizit mit China abzubauen, und nicht in einen globalen Handelskrieg einzutreten, der nach einhelliger Meinung aller Ökonomen für sämtliche Länder verheerend wäre. Wenn Donald Trump dabei seine Wählerbasis stärken und bei den Zwischenwahlen punkten kann, ist das für ihn das Sahnehäubchen. Schliesslich besteht die grösste Herausforderung der Rivalität zwischen den beiden Supermächten darin, einen grösseren globalen Einfluss auf politischer, wirtschaftlicher und technologischer Ebene zu erlangen. Daher sollte die chinesische Regierung nicht auf diesen Bluff reagieren, indem sie ihrerseits mit erneuten protektionistischen Massnahmen reagiert. Vergessen wir nicht, dass Xi Jinping, der starke Mann Chinas, der gerade zum Präsidenten auf Lebenszeit gewählt wurde, auch die Geduld verlieren könnte. (REYL/mc/ps)
1 Obwohl diese Massnahmen nicht allein für China gelten, geben die Ausnahmen, die vielen Ländern nach der ersten Ankündigung eingeräumt wurden, Anlass zu der Annahme, dass China das eigentliche Ziel dieser Massnahmen ist.
2 Unter anderem: Informationstechnologie, Robotik und Automatisierung, Luft- und Raumfahrt, Schiffsausrüstung, Bahn, erneuerbare Energien, elektrische Anlagen, landwirtschaftliche Anlagen, neue Materialien, Biotechnologie, medizinische Gerätschaften
3 Die Politik eines „einzigen Chinas“, die im Zentrum der Beziehungen zwischen beiden Ländern steht, wird jedoch nicht in Frage gestellt.
4 Quelle: Bank of America Merrill Lynch