REYL Market Insight: Eine drohende Rezession… oder ein Traum?
Genf – Die beeindruckende Rally, die die Aktienmärkte in den meisten Industrieländern in diesem Jahr bisher hingelegt haben, hat viele Anleger auf dem falschen Fuss erwischt. Der Kampf gegen die unangenehm steigende Inflation hat die Zentralbanken zu einer massiven Verschärfung der finanziellen Bedingungen gezwungen. Dabei hat insbesondere die Fed ihren aggressivsten Zinserhöhungszyklus seit Jahrzehnten eingeleitet. Mit zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheit und schrumpfender Liquidität hat die pessimistische Stimmung deutlich zugenommen; eine potenzielle Rezession ist wahrscheinlich die am meisten erwartete in der Geschichte der USA.
Marktbericht von Nicolas Besson, Chief Investment Officer
Dies ist jedoch nicht die Botschaft, die von den Märkten vermittelt wird, da risikoreiche Anlagen seit Jahresbeginn in den USA die Performance anführen: Aktien sind um etwa 10 Prozent gestiegen (im Wesentlichen aufgrund des Technologiesektors), gefolgt von Hochzinsanleihen (+3,6 Prozent), Investment-Grade-Anleihen (+2,8 Prozent), Staatsanleihen (+2,4 Prozent) und schliesslich Bargeld mit +2 Prozent. Dies ist eindeutig die umgekehrte Reihenfolge, wie sie für ein rezessives Umfeld typisch wäre. Nur die Rohstoffe haben mit einem Rückgang von mehr als 10 Prozent eine mögliche Verschlechterung der Wirtschaftsaussichten signalisiert. Die Preise liegen jetzt unter dem Niveau, das vor dem Ukraine-Krieg herrschte.
Widersprüchliche Botschaften fordern Vorhersagen heraus
Wo stehen wir also? Kommt die weitgehend vorhergesagte wirtschaftliche (harte) Landung oder ist sie nur eine Illusion? Die Wirtschaftsindikatoren senden gemischte Signale aus. Es besteht eine Divergenz zwischen harten Daten (tatsächliche statistische Messgrössen wie das BIP, die Arbeitslosenquote usw., die in der Regel eher rückblickend sind), die stabil bleiben, und weichen Daten (Unternehmensumfragen, Konsumentenvertrauen usw.). Letztere deuten auf eine wirtschaftliche Schwäche hin und sind eher zukunftsorientiert.
Unter den vielen Frühindikatoren, die üblicherweise zur Beurteilung der Richtung des Konjunkturzyklus herangezogen werden, sind die Einkaufsmanagerindizes (PMI) wahrscheinlich die genauesten. Zur Erinnerung: Es handelt sich dabei um monatliche Erhebungen bei Führungskräften aus dem Einkaufs- und Beschaffungswesen von Hunderten von Unternehmen aus verschiedenen Sektoren. Sie beantworten Fragen zu verschiedenen Unterkategorien (Produktion/Unternehmertätigkeit, gezahlte Preise usw.), die sich in Diffusionsindizes niederschlagen. Dabei ist 50 der Schwellenwert, ab welchem sich die Geschäftslage verbessert bzw. der Schwellenwert, ab welchem sie sich verschlechtert.
Die veröffentlichten Zahlen umfassen ein zusammengesetztes Mass sowie zwei verschiedene Komponenten (sowie Unterkomponenten) für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor. Was die vom ISM-Institut oder von S&P Global veröffentlichten Daten betrifft, so ist auch hier eine deutliche Divergenz festzustellen. Sie zeigt sich zwischen dem Indikator für das verarbeitende Gewerbe, der stark geschrumpft ist und auf eine bevorstehende Rezession hindeutet; der Indikator für den Dienstleistungssektor befindet sich dagegen weiterhin im Wachstumsbereich. Diese Abweichung ist die grösste seit zwei Jahren und sogar die grösste seit 2009, wenn man die europäischen Pendants betrachtet.
Dies stellt eindeutig die Nachhaltigkeit des derzeitigen Wachstums in Frage. Betrachtet man nämlich frühere Abschwünge, so kann der PMI für den Dienstleistungssektor dem des verarbeitenden Gewerbes hinterherhinken und länger stabil bleiben. Dies ist möglich, weil er durch die Stärke des Konsums gestützt wird, aber schliesslich ebenfalls schrumpft. Da der Dienstleistungssektor den grössten Beitrag zum US-BIP leistet (nach Angaben der Weltbank etwa 77 Prozent), ist diese Schwäche erforderlich, um eine Rezession auszulösen.
Wird es dieses Mal anders sein?
Wir bezweifeln das, aber es ist eine knappe Entscheidung. Zyklische, vorübergehende Faktoren können diese Divergenz ebenfalls erklären. Dies trifft insbesondere für den gestiegenen Dienstleistungskonsum (anstelle von Industriegütern) zu, der durch die Fortsetzung der post-Covid-Wiedereröffnung untermauert wird (natürlich auch in China). Darüber hinaus können auch strukturelle Faktoren wie die zunehmende Digitalisierung der Volkswirtschaften angeführt werden.
Was ist die Anpassungsvariable in dieser Gleichung? Offensichtlich der Arbeitsmarkt. Er ist äusserst angespannt, mit einer Arbeitslosigkeit auf historischem Tiefstand und einer grossen Zahl offener Stellen für eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung. Dies führt unweigerlich zu einer anhaltenden Lohninflation, die die Kaufkraft und den Konsum der Haushalte ankurbelt und die Inflationsspirale weiter anheizt.
Wer wird also der Schiedsrichter in diesem schwierigen Spiel sein? Wie immer richten sich alle Augen auf die US-Notenbank, die in ihrer (unmöglichen?) Mission gefangen ist, das Wachstum zu bremsen, ohne die Finanzstabilität zu gefährden. Im Sektor der regionalen Banken haben sich bereits erste Risse gebildet. Die Mitglieder der Fed scheinen sich über den künftigen geldpolitischen Kurs uneins zu sein und haben sich unterschiedlich geäussert: Werden sie im Juni eine Pause riskieren oder eher weitere Zinserhöhungen vorziehen? Ihre Entschlossenheit, die Inflation auf ihr 2-Prozent-Ziel zu begrenzen, wird hier der Schlüssel sein. Wir sind eindeutig noch nicht so weit, wobei möglicherweise auch ein kleiner zyklischer Aufschwung im Spiel ist.
Schlusswort
Ironischerweise wäre eine milde Rezession wahrscheinlich das beste Ergebnis, da sie den Arbeitsmarkt, den Konsum und die Inflation am effektivsten wieder ins Gleichgewicht bringen würde. Dies würde jedoch eine weitere Straffung erfordern, die wahrscheinlich, wie in der Vergangenheit, mit einem politischen Fehler enden würde. Es gilt zu bedenken, dass sieben der letzten acht Zinserhöhungszyklen der Fed zu einer Rezession geführt haben. Dies ist auch die Botschaft, die von der Renditekurve ausgeht, die so stark invertiert ist wie seit 42 Jahren nicht mehr. Wer will, soll weiter träumen! (REYL/mc)