Reyl Market Insight: Nach der Pandemie – die neue Art zu investieren
Genf / Zürich – Vor 100 Jahren hat die Bevölkerung nach der Beendigung der Spanischen Grippe grosse Volksfeste gefeiert. Die überlebenden Menschen gingen in eine Phase der Euphorie über, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Laut Historikern können Pandemien vor allem medizinisch oder sozial beendet werden. Das medizinische Ende tritt ein, wenn es keine unkontrollierte Übertragung zwischen Menschen mehr gibt und die Zahl der Erkrankten stark zurückgeht. Das soziale Ende ist eine bewusste Entscheidung und findet vor allem in den Köpfen statt. Es tritt ein, wenn die Angst vor der Krankheit abnimmt, und die Gesellschaft lernt, mit der Krankheit zu leben. Ob bis im Herbst die Covid-Pandemie wirklich vorüber ist und grosse Feste gefeiert werden, ist zwar noch unsicher. Trotzdem ist nun der Zeitpunkt gekommen, sich auf die Nach-Covid-Ära einzustellen.
Inflationserwartungen als Haupttreiber
Es besteht aktuell eine fundamentale Unsicherheit der Anleger über den Weg der globalen wirtschaftlichen Erholung von der Pandemie. Das spiegelt sich in der makroökonomischen Volatilität wider. Einige wichtige Aktienmärkte befinden sich zwar immer noch in der Nähe von Allzeithochs und die Volatilität ist näher an die Tiefststände vor der Pandemie herangerückt. Doch die Aktien «oszillieren» zwischen Aktien von «wiedereröffneten» zyklischen Sektoren (z. B. Transport) und Wachstums-/Technologiesektoren.
Der Haupttreiber dieses Prozesses sind die langfristigen Inflationserwartungen. Das wirft auch die Frage auf: Ist die Inflation vorübergehend oder strukturell? Das Hauptproblem ist, dass die grossen Zentralbanken mit ihrer Politik der quantitativen Lockerung der Hauptgrund für die unglaubliche Rallye als auch der Erzeuger des Inflationsproblems sind.
Kurzfristiges Szenario
Die Zentralbanken werden ihre Politik in naher Zukunft unverändert beibehalten. Daher wird in den nächsten Quartalen wohl in das makroökonomische Volatilitätsszenario vorherrschen, bei dem die Märkte zwischen Value und Growth «oszillieren». Um sich für ein solches Szenario zu positionieren, ist eine doppelte Strategie ratsam: Einerseits ein Engagement in den Treibern der Rallye nach der Pandemie. Das sind Wachstum und Tech. Das kann durch die Auswahl gut geführter Blue Chips oder Fonds mit Engagement in Large-Caps-Wachstumswerten umgesetzt werden. Auf der anderen Seite dürften Value-Aktien zusammen mit Zyklikern und «inflationsfreundlichen Anlagen» zu empfehlen. Dies zusammen mit anderen «wieder normalen» Sektoren wie Transport, Freizeit und Unterhaltung.
Langfristige Empfehlung
Längerfristig ist davon auszugehen, dass die Weltwirtschaft auf dem aktuellen Kurs der Makro-Volatilität bleiben und allmählich zur finanziellen Repression übergehen wird. Die Regierungen werden beginnen, sich auf ihre Schulden zu konzentrieren, sobald sich der Covid-Notstand gelegt hat. Innerhalb eines solchen Szenarios wird die Überwachung der Inflation noch wichtiger. Niedrige Zinsen und eine ansteigende Inflation würde es den Regierungen ermöglichen, ihre steigende Schuldenlast zu bewältigen. Um eine potenziell höhere Teuerung längerfristig aufzufangen, ist das Engagement in «inflationsfreundlichen Anlagen» wie Energie, Industrie und Rohstoffe empfehlenswert. Interessant sind auch Rohstoffe, Immobilien, indexgebundenen Anleihen wie TIPS und Value-Aktien. Value-Aktien haben sich in der Vergangenheit in Zeiten wirtschaftlicher Beschleunigung, Inflation und steigender Zinsen besser entwickelt. Gleichzeitig ist eine gewisse Goldallokation als Risiko-Absicherung empfehlenswert.
Fazit
Diversifizierung ist der Schlüssel: Zum Beispiel sind US-Investmentportfolios oft zu stark auf die USA konzentriert, obwohl mehr als die Hälfte der weltweiten Marktkapitalisierung ausserhalb des eigenen Landes existiert. Daher ist ein global diversifiziertes Portfolio besser gegen Marktschwankungen und Risiken gewappnet.
Pandemien sind seltene Ereignisse, doch die Menschen lernen und gehen gestärkt aus der Krise hervor. Sie passen sich besser den Gegebenheiten an und sind flexibler im Umgang mit Veränderung. Die Weltwirtschaft wächst zwar weiter, aber die aufkeimende Inflation und die Mutation des Virus verunsichern. Menschen begegnen der Welt nun mit einem erhöhten Bewusstsein für globale Zusammenhänge und Abhängigkeiten. (Reyl/mc/ps)