Genf / Zürich – Die Spannungen zwischen den USA und China, die in diesem Jahr nachgelassen hatten, verschärften sich im Vorfeld der umstrittenen Ankunft von Nancy Pelosi in Taiwan am 2. August. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses ist die ranghöchste amerikanische Politikerin, die das Territorium seit mehr als zwei Jahrzehnten besucht hat, und das, obwohl China vor Konsequenzen gewarnt und den Besuch als Verstoss gegen die Ein-China-Politik bezeichnet hatte.
China reagierte sofort mit der Ankündigung einer Reihe von Militärübungen und Raketentests in der Nähe der taiwanesischen Grenzen. China verhängte ausserdem wirtschaftliche Beschränkungen gegen Taiwan, indem es die Einfuhr von taiwanesischen Zitrusfrüchten, zwei Fischarten und anderen Lebensmitteln verbot und die Ausfuhr von Sand nach Taiwan untersagte, der sowohl in der Bauindustrie als auch bei der Herstellung von Halbleitern verwendet wird.
Anzeichen für zunehmende Spannungen
Die chinesischen und taiwanesischen Aktienindizes, die im Vorfeld des Pelosi-Besuchs an Boden verloren hatten, stabilisierten sich in den Tagen danach, was darauf schliessen lässt, dass der Markt nicht allzu besorgt über die bisher angekündigten Vergeltungsmassnahmen war. Ein Grund für die zurückhaltende Reaktion Chinas könnte darin liegen, dass dieses Thema bei dem jüngsten Telefongespräch zwischen Präsident Biden und Präsident Xi erörtert wurde. Präsident Biden hielt Frau Pelosi zwar nicht davon ab, Taiwan zu besuchen, befürwortete die Reise aber auch nicht, da sich die US-Sicherheitsberater dagegen aussprachen. Es bleibt abzuwarten, ob China diese Argumentation akzeptiert und weitere Vergeltungsmassnahmen ankündigen wird.
Während der Besuch von Frau Pelosi definitiv für Aufregung gesorgt hat, gab es in den letzten Wochen auch andere Anzeichen für zunehmende Spannungen zwischen den USA und China. Die Frage, ob chinesische Unternehmen ihre ADR-Kotierungen in den USA beibehalten können, ist immer noch in der Schwebe, da die Beamten der USA und Chinas nicht in der Lage waren, eine Einigung über die grenzüberschreitenden Audits chinesischer Unternehmen zu erzielen. Am 29. Juli wurde der chinesische Tech-Gigant Alibaba als jüngstes Unternehmen auf die Liste der von der SEC mit der Streichung der Börsenkotierung bedrohten Unternehmen gesetzt.
Kampf um Vorherrschaft im Technologiesektor
Der Kampf um die Vorherrschaft im Technologiesektor scheint sich ebenfalls zu verschärfen, denn Berichten zufolge will das US-Handelsministerium den Zugang Chinas zu Technologien erneut einschränken. Berichten zufolge hat das Handelsministerium US-Halbleiterproduzenten angewiesen, keine Instrumente mehr für die Herstellung von weniger fortschrittlichen Chips unter 14 nm nach China zu schicken. Dies geschah, nachdem US-Parlamentarier den niederländischen Technologieausrüster ASML aufgefordert hatten, keine DUV-Lithografiemaschinen mehr nach China zu verkaufen. ASML wehrt sich dagegen mit dem Argument, dass es sich bei DUV-Maschinen (im Gegensatz zur fortschrittlicheren EUV-Technologie von ASML, deren Verkauf nach China derzeit verboten ist) um reife Technologien handelt, die hauptsächlich für die Herstellung von Chips für kommerzielle Anwendungen und nicht für fortschrittliche militärische Ausrüstung verwendet werden. Darüber hinaus könnten diese Beschränkungen die weltweite Chip-Knappheit verschärfen und die Lieferketten unterbrechen.
Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und China bedeutet wahrscheinlich, dass die erwartete teilweise Rücknahme der Handelszölle nicht zustande kommen wird. Die anhaltend hohe Inflation in den USA hatte zuvor Gespräche über die Aufhebung eines Teils der Zölle auf chinesische Waren ausgelöst, um den Preisdruck zu verringern. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies nun geschieht, scheint gering, da dies als Nachgiebigkeit gegenüber China angesehen werden würde. Wie dem auch sei, angesichts der bevorstehenden Zwischenwahlen in den USA und des 20. Parteikongresses in China Ende des Jahres ist in den kommenden Monaten mit mehr Rhetorik zu rechnen, da die Politiker beider Länder vor ihren eigenen Wählern eine harte Haltung einnehmen werden. (REYL/mc/ps)