REYL Market Insight: USA – Eine Wahl ohne Leidenschaft

Daniel Steck

Von Daniel Steck, Senior Portfolio-Manager und US Equity Analyst bei REYL & Cie AG. (Foto: REYL)

Am 8. November wählen die US-Ameri­kaner ihren neuen Präsidenten, der die Nachfolge von Barack Obama antreten wird. Aber man ist weit entfernt von der Begeisterung, die dessen Kandida­tur vor acht Jahren in den USA wie im Ausland ausgelöst hatte. Die beiden Titelanwärter, Hillary Clinton und Donald Trump, scheinen, abgesehen von den polemischen Äusserungen des Republikaners, keine Leidenschaften zu schüren und wecken selbst in ihren eigenen Reihen Zweifel. Auch auf den Finanzmärkten herr­scht Gleichgültigkeit. Man hätte vor diesem wichtigen Termin gewisse Nervosität seitens der Investoren erwarten können. Aber davon ist nichts zu bemerken. Ein Beweis dafür ist die am Index VIX gemessene Volatilität der US-Aktien, die auf einem extrem niedrigen Niveau verharrt, was auf eine gewisse Gelassenheit der Finan­zakteure hindeutet.

Beruhigende Beständigkeit
Die Ruhe an den Märkten ist darauf zurückzuführen, dass sich weitgehend ein Konsens zugunsten eines Siegs der demokratischen Kandidatin abgezeich­net hat. Was die Investoren zuversi­chtlich stimmt, ist jedoch nicht Hillary Clintons Programm, sondern eher der relative politische Status Quo, den ihre Wahl mit sich bringen würde. Denn die Kongresswahlen, die am selben Tag stattfinden, dürften ebenfalls zu einem Ergebnis führen, das der heutigen Lage in etwa entspricht, mit einem republikanischen Repräsentantenhaus und einem demokratischen Senat. Ein Kongress mit einer republika­nischen Mehrheit würde den Han­dlungsspielraum der Präsidentin stark einschränken. Was sind also die Streitpunkte dieser Wahl und welche Reformen könnten dennoch eingeführt werden? Könnten einige von ihnen eine Bedrohung für die Finanzmärkte darstellen?

Reduzierter Handlungsspielraum
Die beiden Titelanwärter und ihre jeweiligen Parteien vertreten in vielen Punkten entgegengesetzte Ansichten. Dies wird wahrscheinlich eine Blockade im Kongress zur Folge haben. Eine der auffälligsten Kontroversen betrifft die Steuerpolitik. Clinton will die hohen Einkommensklassen stärker besteuern und gewisse Vergünstigun­gen begrenzen. Diese Entscheidungen könnten im kommenden Jahrzehnt über 1,1 Billionen Dollar einbringen. Natürlich scheint eine solche Steuerre­form ohne demokratische Mehrheit im Kongress eher unwahrscheinlich. Trump hingegen, der nie zimperlich ist, schlägt drastische Steuersenkungen für Privatpersonen und Unternehmen vor. Das Problem ist, dass die Einfüh­rung eines solchen Programms einen Einnahmerückgang von 3 Billionen Dollar zur Folge hätte und den Staatshaushalt beträchtlich aus dem Gleichgewicht bringen würde. Infolge­dessen ist es kaum wahrscheinlich, dass der Kongress – selbst mit republi­kanischer Mehrheit – einer so extremen Position zustimmt. In Bezug auf das Gesundheitswesen wird der zukünftige Staatschef ebenfalls in der Sackgasse stecken. Trotz der Vehemenz ihrer Äusserungen wird Hillary Clinton nicht in der Lage sein, eine Kontrolle der Medikamentenpreise durchzusetzen, wenn das Kräfteve­rhältnis im Kongress unverändert bleibt. Und ihr Gegner wird wahr­scheinlich keinen Schlussstrich unter die Errungenschaften ziehen können, die dank Obamacare erzielt wurden. Denn man darf nicht vergessen, dass der Anteil der US-Amerikaner, die von der Gesundheitsfürsorge aus­geschlossen sind, von 18 Prozent vor drei Jahren inzwischen auf unter 11 Prozent gesunken ist. Ein Schritt zurück ist undenkbar.

Eine geteilte Regierung. Wahrscheinlichkeiten für den Wahlausgang

Punkte der Annäherung
Wird die US-Wahl also gar keine Auswirkungen auf die Wirtschaft haben? Trotz ihrer Differenzen stim­men Hillary und Donald in mehreren Punkten überein, was zweifelsohne zu konkreten Entscheidungen führen wird. Zunächst sind sich alle Parteien darü­ber einig, dass ein dringender Bedarf besteht, nach Jahren unzureichender Investitionen die veralteten Infrastruk­turen zu erneuern. Hillary Clinton hat vorgeschlagen, ein 500 Milliarden Dollar schweres Programm zu starten, das vorrangig auf die Modernisierung von Strassen, Schienen, Flughäfen und Telekommunikationsausrüstungen ab­zielt. Trump hat sie überboten und von einer doppelt so hohen Summe ges­prochen, wobei er allerdings vergessen hat zu erklären, wie er sie finanzieren will. Wie auch immer die Wahl aus­gehen wird – es ist damit zu rechnen, dass die Vorschläge in diesem Bereich in der einen oder anderen Form vom Kongress angenommen werden. Ein zweiter Bereich, in dem sicher eine Übereinstimmung besteht, betrifft die Behandlung von Barbeständen, die US-Firmen im Ausland geparkt haben. Es wird geschätzt, dass über 1 Billion US-Dollar im Ausland blockiert sind, weil die Rückführung hoch besteuert wird (35 %). Trump schlägt eine Teilamnestie (Steuersatz von 10 %) vor, während Clinton eine globalere Lösung empfiehlt – in beiden Fällen könnten 200 Milliarden Dollar in die USA zurückgeführt werden und auf signifikante Weise die Investitionen der Unternehmen begünstigen. Im Hinblick auf den Aussenhandel betrachtet der Anleger, der ein starker Verfechter einer maximalen Libera­lisierung dieses Bereichs ist, Donald Trump als Bedrohung. Der Kandidat hat mehrmals vehement erklärt, dass er im Fall seines Siegs zahlreiche internationale Vereinbarungen wie die Freihandelsabkommen NAFTA oder TTIP, das derzeit mit Europa ausge­handelt wird, neu verhandeln oder gar abschaffen werde. Aber man vergisst zu schnell, dass Hil­lary Clinton ebenfalls betont hat, dass der amerikanische Arbeiter stark unter der Globalisierung und der Freihan­delspolitik gelitten habe. Daher muss man, unabhängig vom Wahlausgang, mit einer Rückkehr zum Protektio­nismus rechnen.

Vorsicht vor einer plötzlichen Wende in der letzten Minute
In den Monaten nach einer Präsi­dentschaftswahl, wenn die heissen Wahlkampfreden allmählich pragma­tischen Entscheidungen weichen, hat sich die US-Börse in der Vergangenheit immer gut gehalten. Dennoch sollten wir uns vor übermässiger Verharmlo­sung hüten, denn eine Trendwende in letzter Minute ist immer möglich. Es ist nämlich nicht sicher, dass die Perspek­tive einer Präsidentschaft von Donald Trump, verstärkt durch eine Mehrheit im Kongress, von den Investoren so gut aufgenommen wird. Zwar ist der Markt den Demokraten in der Regel wenig günstig gesonnen, doch verabscheut er vor allem Ungewissheit, fehlende Sichtbarkeit und brutale Veränderun­gen des Umfelds. All das muss man von Donald Trump erwarten. (REYL/mc/ps)

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