Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Gefangenendilemma beim Impfstoff

(Foto: Moderna)

Von Robert Jakob

Was hagelte es über den Jahreswechsel nicht an Kritik wegen der Coronaimpfstoffe! Allen voran gingen die Deutschen mal wieder scharf mit ihren Entscheidungsträgern ins Gericht. Dabei haben Spahn und Co. strategisch richtig gehandelt.

Vom ersten halbwegs seriös zugelassenen Impfstoff erwartet jeder nun die Erlösung. Dabei muss sich der langfristige Schutz erst noch erweisen. Die EU hat früh auf eine breite Absicherung durch verschiedene Hersteller gesetzt, weil man zu dem Zeitpunkt, als die klinischen Studien der Phase 3 der ersten vielversprechenden Impfstoffkandidaten am Laufen waren, nicht wissen konnte, welcher Impfstoff der Beste ist. Kam hinzu, dass gewisse Länder auch hierbei unverhohlen Industriepolitik betrieben, wie am schockierenden Beispiel des nahezu wirkungslosen Antidots Remdesivir der Firma Gilead, mit einem Preis von 2340 US-Dollar pro Patient.

Auch jetzt bleibt erst mal alles offen. Der erste Impfstoff muss nicht der beste sein. Viel zu rudimentär sind noch die Datenlagen, was man bereits daran erkennt, dass die sogenannte „Schutzwirkung“, ein sehr willkürlicher Begriff, von den einzelnen Produzenten laufend nach oben korrigiert wird, in dem man einzelne Unterkohorten aus dem Studienmaterial herauspickt, um sich die „pole position“ in der Gunst der politischen Entscheidungsträger zu sichern. Durch immer neue Jubelmeldungen setzen die Impfstoffproduzenten die Regierungen unter Druck.

Wo bleibt die Logistik?
Erstes Impfmaterial von Pfizer/BioNTech steht in den Kühlboxen, und das ist gut so. Aber die schlecht gemanagten Gesundheitssysteme der EU-Grossmächte Frankreich oder Italien sind mal wieder logistisch nicht in der Lage, diese bis zum Oberarm der Patienten zu tragen. Deutschland hat schon fleissig geimpft und besitzt Stoff für 28 Millionen Bürger. Die müssen erst einmal durchgepiekst werden, und das wird ohnehin ein paar Monate dauern. In der Zwischenzeit sollten sich die Gesundheitsministerien nicht unter Druck setzen lassen. Auch nicht von Karl Lauterbach, dem stets kritischen SPD-Gesundheitsexperten mit der Fliege.

Wer einen schlechten „track record“ hat, steht unter besonderer Beobachtung. Das betrifft den Pharmagiganten Pfizer. 1996 begann die Saga von Trovan (Trovafloxacin). Pfizer hatte in Nigeria klinische Studien an Kindern ohne Erlaubnis der Behörden und Eltern durchgeführt, in denen die Wirksamkeit dieses Breitspektrumantibiotikums mit Blockbusterpotenzial gegen Meningitis getestet werden sollte. Es kam zu keiner signifikanten Besserung gegenüber dem ebenfalls im Geheimen verabreichten Vergleichsmedikament und zu insgesamt 11 Todesfällen. Der von der Washington Post (https://en.wikipedia.org/wiki/Abdullahi_v._Pfizer,_Inc.) erst viele Jahre später aufgedeckte Skandal wurde vom kürzlich verstorbenen Bestsellerautor John le Carré zu einem Roman verarbeitet, und schliesslich im 2005 zu einem preisgekrönten Hollywood-Melodram mit Rachel Weisz und Ralph Fiennes (The Constant Gardener: Regie: Fernando Meirelles) weiterverarbeitet. Bereits vor der harschen Kritik der Washington Post an den rüden Marketing-Methoden des Pharmariesen kam es zu Beginn des Jahres 1999 zu sechs Todesfällen wegen Leberversagen in den USA mit demselben Medikament. Erst 13 Jahre nach den ersten Fällen einigte sich Pfizer in einem Vergleich mit den Nigerianischen Klägern. Die Schweiz kam glimpflich davon. Dank der Intervention kritischer Wissenschaftler, zog die Zulassungsbehörde rechtzeitig die Notbremse.

Bitte kein Impfstofflobbying!
Ich bin überzeugt, dass Pfizer alles darangesetzt hat, einen sicheren Impfstoff zu produzieren. Aber wer bereits einmal dermassen krass danebenlag, steht halt zu Recht unter Beobachtung, und hier tun die Europäer und auch die Schweizer gut daran, sich alle Optionen offen zu halten. Aus Sicht der Pharmaindustrie ist das Geschäft mit Impfstoffen weniger attraktiv, weil die Herstellung weitaus komplexer und teurer ist als die von Arzneimitteln. Deshalb sollen sie daran auch gutes Geld verdienen. Aber das in einem fairen Wettbewerb und unter grösster Vorsicht.

Ich bin optimistisch. Anfangs 2020 habe ich in der Wirtschaftslupe vorausgesagt, dass gegen Jahresende mehrere Impfstoffe bereits zu Verfügung stehen werden. Auch wenn die Dauer des Impfschutzes erst viel später empirisch festgestellt werden kann, bin ich sicher, dass wir Impfstoffe in der Pipeline habe, die mindestens 3 Jahre Schutz bieten. In dieser Zeit wird sich noch einiges tun.


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