Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Gründe für eine anhaltende Teuerung

Von Robert Jakob

WILU-Leser erinnern sich: Im Frühjahr hatte ich sie auf eine rasant anziehende Inflation zum Jahresende vorbereitet. Wie geht es nun weiter?

Die unter 50-Jährigen haben wahrscheinlich noch keine wirkliche Teuerung erlebt. Doch jetzt geht’s los. Die Österreichischen Erzeugerpreise stiegen im September im Vergleich zum Vorjahresmonat um 13,5 Prozent. Ähnlich sieht es in Deutschland aus. Es ist nicht mehr der Endverbraucher, der mit seinen Euro-, Dollar- oder Frankenstimmen das Sagen hat, sondern die vorgelagerte Wertschöpfungskette, die den Preis bestimmt. Die Gaspreise konnten sich in weniger als einem Jahr vervierfachen. Plötzlich hat alles «Luft nach oben». Allein innert Monatsfrist verdoppelten sich in Deutschland die Grosshandelspreise für Strom. Die Industrie ächzt. Die vorgelagerten Betriebe werden den Endverbraucher vor sich hertreiben. Selbst in der inflationsberuhigten Schweiz steht jetzt bei einigen Tankstellen die ominöse «Zwei» vorm Komma.

Pandemiebedingte Angebotsengpässe und globale Lieferkettenunterbrüche vor allem aus China bis hin zu Stromunterbrüchen bezeugen, dass unser durch die Globalisierung üppig fliessender Wohlstand nicht in Stein gemeisselt ist. Immer häufiger kursiert ein Begriff, der vor einem halben Jahrhundert zum ersten Mal bekannt wurde und der dann auf Tauchstation ging: Stagflation. Die Wort-Mischung aus Inflation und Stagnation ist die neue Pest im Krankheiten-Katalog unserer Wirtschaft. In Absturz-, Schwellen- und Entwicklungsländern von Argentinien bis Zimbabwe ist sie keine Seltenheit. Industrienationen hingegen gerieten für viele Jahrzehnte nicht mehr in den Würgegriff dieser Plage. Denn dort ist Inflation normalerweise nur vorübergehende Begleiterscheinung einer Hochkonjunkturphase. Gesundbeter sind sich sicher, dass die derzeit hohe Inflationsrate von 4,1 Prozent (Deutschland im September 2021) wieder fallen wird.

Den deflationären Kräften geht die Luft aus
Globalisierung und Digitalisierung werden es schon richten – so das Credo. Die Globalisierungswelle hatte nach dem Eintritt Chinas in die WHO im Jahr 2001 den Inflationsprozess gedämpft. Doch jetzt ist China in erster Linie mit sich selbst beschäftigt. Präsident Xi Jinping will den verbreiteten Casinokapitalismus bekämpfen und den Binnenkonsum stärken. Die damit einhergehende Verlagerung von der Industrie- zum Dienstleistungssektor im Reich der Mitte soll weltweit dämpfend auf die Nachfrage nach Energie und Rohstoffen wirken. Doch das dürfte ein Trugschluss sein. Denn der Übergang von der Einkind- zur gerade erst erfolgten Dreikindstrategie wird weiterhin für ein, wenn auch nur moderates Bevölkerungswachstum sorgen, das wie ein Magnet die Ressourcen der Welt anzapft. In den letzten fünf Jahrzehnten verzeichnete China immer ein Bevölkerungswachstum, bis auf 2021, wo erstmals die Null stehen könnte. Doch dieser Trend dürfte kippen, denn die Regierung arbeitet an Wohlstandsverbesserungen, die bis ins Kinderzimmer reichen. Und der wachsende chinesischen Mittelstand will mehr Konsum, was China zu einem ernsthaften Mitkonkurrenten auf den Beschaffungsmärkten macht.

Geht es um Inflationsbremsen wird auch immer wieder die Digitalisierung ins Feld geführt. Sie ermögliche gigantische Kosteneinsparungen, in Coronazeiten insbesondere durch «Virtualisierung von Dienstleistungen». Das ist ein Märchen, das besonders von EZB-Präsidentin Christine Lagarde gepflegt wird. Wer schon einmal in der Service-Warteschleife stecken geblieben ist, bekommt Zweifel an den Segnungen der «Fern-Leistung». Natürlich wird die Digitalisierung weiter für eine Senkung der Produktionskosten sorgen, doch sind die Möglichkeiten physikalisch beschränkt. Jetzt, wo der Klimaschutz immer drängender wird, dürfte der 120-jährige Abwärtstrend der Energiepreise, ausgelöst durch die Entdeckung des billigen Erdöls, ein für alle Mal vorbei sein. Auch einige andere für den generellen Preissteigerungsdruck verantwortliche Faktoren werden nicht mehr nur vorübergehend sein.

Mangelwirtschaft stösst Preisspirale an
Laut Statistischem Bundesamt ist der Auftragseingang in der deutschen Industrie im August 2021 um 7,7 Prozent eingebrochen – was vor allem auf den Materialmangel zurückgeführt werden kann. Das wird sich mit einiger Verspätung zwar wieder einrenken. Aber in einer Welt mit beschränkten Ressourcen werden Engpässe und die daraus abgeleiteten Ziehharmonika-Effekte in der Lieferkette immer wieder durchbrechen und für Preisstress sorgen. Viele Unternehmen haben sich das vertragliche Recht gesichert, Kostensteigerungen weiterzugeben. Zur Sicherheit diversifizieren sie ihre Lieferketten und beziehen mehr Vorprodukte vor Ort, was jedoch teurer zu stehen kommt, als vom harschen Konkurrenzkampf der Zulieferer auf den Weltmärkten zu profitieren.

Noch entscheidender in der Preisspirale aber ist die Haltung der Zentralbanken. Die jüngsten schwachen US-Arbeitsmarktdaten verweisen auf eine weitere Hängepartie zwischen Tauben und Falken. Mit anderen Worten: Die Straffung der Geldpolitik wird nicht so stark ausfallen wie von Aktien- und Anleihemarkt-Investoren befürchtet, trotz eines Anstiegs des US-Konsumentenpreisindex’ von 5,3 Prozent.

Die Rolle der Notenbanken ist mittlerweile in erster Linie politisch. Es geht darum, Pleiten durch hohe Zinsen zu verhindern. Die Verschuldungsorgie der Staaten und der Unternehmen kann also weitergehen. Die astronomisch aufgeblähten Geldmengen fallen jedoch auf ein verknapptes Angebot. Selbst die Barmittelbestände der Unternehmen werden lieber für Aktienrückkäufe statt für Investitionen genutzt. Eine höhere Produktivität, welche die Inflation zurückbindet, kann so nicht entstehen.

Weihnachtsgeschenk von der Notenbank
Den Notenbanken wird nicht nur die Rettung klammer Institutionen aufgetragen, sondern auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Gegen das Jahresende dürfte die Inflation erstmal ihren vorübergehenden Spitzenwert erreichen.

Legendär ist der Satz des früheren Finanzministers und späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidt aus dem Jahre 1972, ihm seien fünf Prozent Inflation lieber als fünf Prozent Arbeitslosigkeit. In der darauffolgenden Stagflation bekam er beides.

So rapide wie jetzt sind die Preise zuletzt vor 30 Jahren gestiegen. So schlimm wie vor 50 Jahren nach dem Erdölembargo wird es nicht kommen. Dafür wird die ehemalige Synchronschwimmerin Christine Lagarde mittels Trippelschrittchen sorgen. Die Anleihekäufe der EZB werden etwas zurückgefahren. Die nächsten Quartale werden aber gleichzeitig durch „4 L“ gekennzeichnet sein:

Lagarde lässt lang locker.

Die Folge wird dann eine Inflationsrate sein, die deutlich (Hunderte von Basispunkten) über den Anleihezinsen steht und einen weiteren negativen Realzinsschock für die Sparer darstellt. Ihre Gelder werden auf ein reduziertes Angebot von Gütern treffen. Firmen, welche die Krise überlebt haben, zögern aus Angst vor langfristiger wirtschaftlicher Unsicherheit, Investitionen zu tätigen, die ihre Fixkosten erhöhen. Weltweit erhöhen Unternehmen lieber ihre Preise. Kapazitätsengpässe sind die Folge.

Die Inflation bleibt uns erhalten, aber sie wird wenigstens nicht galoppieren. Das Weihnachtsgeschäft im Einzelhandel wird ausgezeichnet werden. Denn sich entwertendes Geld gibt man am besten so schnell wie möglich aus.


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