von Robert Jakob
In den letzten freien Wahlen vor der Nazi-Herrschaft wählte am 6. November 1932 ein Drittel der deutschen Wahlberechtigten die NSDAP. Viele wollten nichts von den Gefahren wissen, die ihre Stimmabgabe heraufbeschwörte. Die politischen Mitläufer verhalfen dem Reichskanzler Hitler schliesslich auch ohne grosse Mehrheit zur uneingeschränkten Macht.
In den Vereinigten Staaten droht nun der Super-GAU. Die Wahrscheinlichkeit, dass rund die Hälfte der amerikanischen Wahlmännerstimmen dem orangen Riesen zufallen – und damit ist nicht die Migros gemeint – hat sich massiv erhöht. Donald Trump hatte sich bereits vor der Erstürmung des Kapitols durch seinen Mob zum Wahlsieger ausgerufen, ein Vorgehen, wie es sonst hauptsächlich in Drittweltstaaten geläufig ist. Zusätzlich versucht er konstant die Gewaltenteilung, in Demokratien Garant gegen Machtmissbrauch, aufzulösen.
Elektile Disfunktion
Die demokratische Partei hat es leider versäumt, einen volksnahen Politiker wie Bill Clinton oder einen Charismatiker wie Barack Obama aufzubauen, um sich den Sieg zu sichern. Stattdessen ähnelt die jetzige Ausmarchung der Präsidentschaftskampagne Jimmy Carters gegen Ronald Reagan vor einem halben Jahrhundert, der eines gläubigen Bibel-Lesers gegen einen Cowboy-Darsteller. Man muss dem ehemaligen Demokraten Reagan (aber republikanischen Präsidentschaftskandidaten) zugutehalten, dass er trotz seiner Showeinlagen fest auf dem Boden der Verfassung stand. Umso katastrophaler wird sich ein Trump-Sieg auf die USA auswirken. Die Nato wird in eine Krise stürzen, Putin wird als Sieger hervorgehen, und die Zersplitterung des Westens wird eine wirtschaftliche Eiszeit gebären. Populismus in Form von Protzgehabe wird zum Dauerläufer und weltweitem Werte-Vernichter, ethisch und ökonomisch.
Wie kann das Armageddon noch verhindert werden? Nun: Amerika ist ein junges Land. Im Vergleich zu Japan, mit einem mittleren Bevölkerungsalter (median) von fast 50, Italien mit 48 und Deutschland mit 46 oder der Schweiz mit 44 Jahren, sind US-Amerikaner im Schnitt nur rund 38 Jahre alt.
Young Americans haben mit Rekordbeteiligung bei den Midterm Elections abgestimmt – und damit die politische Landschaft entscheidend beeinflusst. 2018 und 2022 unterstützten die jungen Wähler demokratische Kandidaten und trugen dazu bei, dass deren Partei die Kontrolle über den Kongress erlangte und behielt. 2020 waren sie auch das Zünglein an der Waage zugunsten Bidens als Präsident (trotz eines Mehrheitswahlrechts, das die dünn-besiedelten konservativen Staates bevorteilt).
Fake News-Inflation
Schockiert darüber, vom Supreme Court das Recht über den eigenen Körper abgesprochen zu bekommen (die Rocksängerin Pink hat dazu mit «Irrelevant» eigens ein schreiendes Protestlied gemacht), werden diesmal vor allem junge Frauen zu den Wahlurnen eilen. Kommt hinzu, dass Trump in seinem Narzissmus ihm nicht genehme Frauen öffentlich wie Dreck behandelt. Trotz seines farbigen Alibi-Vizes im Falle eines Wahlsieges hat Trump sich punkto Diversity schlechte Karten ausgelegt. Das sind beunruhigende Nachrichten für Putin. Denn genau wie 2016 hat Russland ein grosses Interesse daran, dass die Putin-Versteher an die Macht kommen. Die Parallelen zu den Troll-Attacken von damals gegen Hillary Clinton sind erschreckend: Das FBI hat gerade einen russischen Maulwurf als manipulierten Zeugen gegen Hunter Biden enttarnt. Gleichzeitig mehren sich die Fake News inflationär. Im Zielkreis von allerlei Rufmordkampagnen steht zunehmend Taylor Swift.
So behauptet etwa Jesse Watters, ein dümmlicher Fox-News Moderator und damit würdiger Nachfolger des geschassten Tucker Carlson, das Pentagon gebrauche Swift zur Umsetzung seiner politischen Agenda im Sinne der Bidens, welche sich gemeinsam als eine Art Mini-Mafia gegen die Interessen der einfachen Amerikaner verschworen hätten. Sein Vorgänger weilte derweil in Russland und kaufte einen Einkaufwagen voller Backwaren für 100 Dollar. Vor der Kamera lobte Carlson euphorisch-japsend die russische Lebensqualität, weil ein vergleichbarer «good deal» in den USA das Vierfache koste. Schuld daran, dass es seinen Landsleuten im Vergleich zu den Russen so schlecht ginge, sei die Regierung.
Es braucht eine Menge Realitätsbeugung (und einen dehnbaren Magen), um das Lob eines Landes zu singen, in dem fast zwei Drittel der Bevölkerung die Hälfte ihres Monatseinkommens für Lebensmittel benötigt. Im Vergleich haben die Amerikaner nicht nur ein fast zehnmal so hohes Durchschnittsgehalt, sondern auch ein zehnmal so hohes Militärbudget wie die Russen. Das wird immer den Unterschied machen, genau wie im ersten und im zweiten Weltkrieg. In letzteren (world war two) würde gemäss Trump der regierende Präsident Biden die USA führen. Trump will ihn verhindern (den zweiten Weltkrieg). Dafür müsste er aber erst einmal bis drei zählen lernen.
America’s Sweetheart
Szenenwechsel. Toxische durchgeknallte Männlichkeit ist das literarische Hauptthema der estnisch-finnischen Schriftstellerin Sofi Oksanen. Gerade ist in deutscher Übersetzung ihr Buch «Putins Krieg gegen die Frauen» (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024, ISBN 978-3-462-00691-9) erschienen. Darin zeichnet sie das Bild eines Russlands, das seit über einem Jahrhundert einem gewalttätigen Patriotismus huldigt, der zur Knechtung benachbarter Nationen systematisch auf sexuelle Gewalt setzt. Vergewaltigungen und Kindsraub werden zur Demütigung und Abschreckung eingesetzt, im Baltikum wie in der Ukraine – ein Thema, das in ihren Büchern einen prominenten, aber fatalistischen Platz einnimmt.
Im Vergleich zur vehementen Kritik der Schriftstellerin, gibt sich die Sängerin Swift fast schon handzahm. Aber das ist beileibe kein Defätismus oder Angst vor männlicher Aggression. Taylor Swift wird alle überraschen. Der Engel aus Pennsylvania, der gleichen Heimat übrigens wie Jesse Watters, wird sich spät, vermutlich erst in der heissen und dann entscheidenden Phase des Wahlkampfes mit einem überraschend klaren Statement einmischen. Davor werden Biden und Trump eine Weile Gerontopoly spielen. Dann, wenn der Appell am meisten Wirkung zeigt, wird Swift einen alternden rechten Wirtschaftskriminellen vielleicht rauskegeln wie beim Monopoly. Ereigniskarte: «Gehe in das Gefängnis. Begib dich direkt dorthin. Gehe nicht über Los».