Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Keine Wildcard für Wirecard

Financial-Times-Journalist Dan McCrum. (Foto: FT)

Von Robert Jakob

Auch er hat es wieder getan. Der illustre Financial-Times-Journalist Dan McCrum. Sobald er zur Feder greift, geht es mit Wirecard zweistellig bergab. Seine wiederholten Vorwürfe der Bilanzmanipulation soll eine vom Vorstand des DAX-Unternehmens anberaumte Sonderprüfung durch KPMG entkräften. Die Börsianer reagieren auf die widersprüchlichen Signale verhalten. Wer lügt – Wirecard oder die Financial Times (FT)? Das scheinen sich mittlerweile alle zu fragen.

Die deutsche Finanzdienstleisteraufsicht BaFin vermutet, dass Spekulanten, die auf fallende Kurse wetten, bereits vor dem Erscheinen der FT-Artikel sogenannte Leerverkaufspositionen aufgebaut haben können. Strafverfolgern liegt seit Monaten die brisante Aussage eines short sellers vor, vorab über die FT-Artikel informiert worden zu sein. Die FT hatte derartige Vorwürfe und Unterstellungen zurückgewiesen. In der Zwischenzeit verkommt die Wirecard-Aktie zum Spielball der Spekulanten.

Wachstumsstory bekommt Risse
Der 1999 gegründete Zahlungsdienstleister war noch im Herbst 2018 geadelt worden, will heissen: in den Dax aufgenommen. Wer seit der Erstkotierung dabei war, konnte fast 30 Prozent Rendite einfahren. Jahr für Jahr wohlgemerkt. Doch seit Beginn des FT-Dauerfeuers scheint die Wachstumsstory immer mehr Risse zu bekommen. Die dort zuerst erschienene, angebliche Enthüllungsstudie liess die Wirecard-Aktie binnen eines Vormittags um rund ein Drittel einbrechen. Und auch die Nachschläge von McCrum kosteten zweistellige Abschläge. Letztmals am 15. Oktober 2019 mit 23% Prozent im Verlauf und rund 13% zum Schluss.

Die Folge des Dauerbeschusses: Zwischen dem Mittelwert der Analystenschätzungen und dem realen Aktienkurs liegt mittlerweile ein Abstand von rund dem Doppelten. Dutzende von Analysten schätzen den fairen Wert der Wirecard-Aktie in der Spitze auf 271 Euro und am unteren Ende immerhin noch auf 120 Euro, was immer noch mehr als der jetzige Marktkurs ist.

Nicht zum ersten Mal steht im Falle Wirecard die Verbuchung von Einnahmen und Ausgaben in der Schusslinie, wie bereits im Frühjahr 2016 von einer selbsternannten Research-Boutique namens Zatarra moniert. Auch damals knickte die Aktie kurzfristig ein, erholte sich aber rasch wieder. Erst seit die grosse FT die Muskeln spielen lässt, geht es nachhaltiger südwärts. Anleger sollten ruhig Blut bewahren. Bilanzmanipulationen wären die Höchststrafe, könnten sie nachgewiesen werden. Aber gross ist die Wahrscheinlichkeit nicht.

Bilanz als Buch mit sieben Siegeln
Wirecards Bilanz ist für die meisten Analysten eine Blackbox. Das liegt am Geschäftsmodell. Die Firma nimmt als Finanzdienstleister die Zwischenstellung zwischen Kreditkartenfirma und Händler ein, bekommt dafür wie ein Zwischenhändler Marge. Die ist zwar sehr klein, aber das Volumen der abgewickelten Zahlungen ist sehr gross. Gleichzeitig fallen die Zahlungsströme zeitlich versetzt und unregelmässig an und zwar in den unterschiedlichsten Ländern und unter den verschiedensten rechtlichen Vorgaben. Dadurch ist es für Aussenstehende fast unmöglich, die Qualität und Struktur der einzelnen geldwerten Forderungen zu beurteilen. Das ist selbst für die Buchprüfer schwierig. Die KPMG-Sonderprüfung dürfte daher dauern. Viele der Forderungen und Verpflichtungen von Wirecard haben durchlaufenden Charakter und könnten nach Gutdünken verschoben werden, so offenbar die Befürchtungen der Kritiker.

Zahlungen können ausfallen. Dieses Risiko trägt Wirecard. Jedoch ist die Ausfallrate kleiner als die Gewinnmarge.

Weltberühmte Ankeraktionäre
Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass die nun bereits seit fast zwei Jahrzehnten existierende Firma ein gross aufgelegtes Betrugssystem aufgebaut hat. Mit Blackrock und der Citigroup halten zwei weltberühmte Ankeraktionäre dem Unternehmen (noch) die Treue. Sollte der verantwortliche FT-Journalist vor der Veröffentlichung seines Artikels herumgequatscht haben, hätte er sich ausserdem selbst desavouiert und eines Insiderdeliktes schuldig gemacht, weil von der Panik Leerverkäufer profitieren konnten.

Allerdings legt Wirecard schon seit Längerem das Augenmerk hauptsächlich auf sein EBITDA-Wachstum: 2012 waren es 109,3 Millionen Euro, 2015 227,3 Millionen Euro und für 2019 wurden zu Jahresbeginn einmal 740 bis 800 Millionen Euro projiziert. Wirecard hebt laufend Prognosen an. Für 2025 rechnet die Firma neu mit 3,8 Milliarden Euro EBITDA. Diese Kennzahl sagt aber wenig über den Reingewinn unterm Strich aus. Der Aktienkurs war diesem schon kräftig davongelaufen. Wirecard hat gerade in den letzten Jahren einige sehr teure Übernahmen, zum Teil in Schwellenländern, getätigt, deren Werthaltigkeit mit Fragezeichen zu versehen ist. Das ist bedenklicher als die angeblich zweifelhaften Forderungen und Verbindlichkeiten.

Seit 2010 sinkt die Eigenkapitalquote mit Ausnahme von 2014. Die Kennzahl liegt zwar immer noch im grünen Bereich, ein heftiger Goodwill-Abschreiber könnte das aber schnell ändern. Bei einem Kurs/Gewinn-Verhältnis, das schon mal des Öfteren mit der 50er-Marke und einem Kurs/Buchwert-Verhältnis, das häufig mit der 10er-Marke flirtete, sollte jeder Anleger wissen, dass ein Techtelmechtel mit Wirecard gewaltige Risiken hat. Vor diesem Hintergrund ist der neuerliche Kursrutsch auf ein KGVe 2020 von unter 20 fast schon eine Beruhigungspille.


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Zum Autor:
Robert Jakob ist promovierter Naturwissenschaftler und Buchautor und arbeitete sowohl in der Grundlagenforschung als auch für Verlage, Versicherungen und Banken. Seit Jahrzehnten ist der Wissenschaftler und Kommunikationsspezialist ein ausgewiesener Kenner der Finanzszene. Er leitete nicht nur die Redaktion des Swiss Equity Magazins (einem Tochterunternehmen der NZZ), sondern dortselbst auch das Team der Aktienanalysten.

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