Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Kranke Kassen

Die grössten Schweizer Krankenversicherer schliessen sich zu einem neuen Verband zusammen.

Von Robert Jakob

Die Welt der Werbung ist schöner Schein. In letzter Zeit bemühen sich vor allem die Krankenkassen, den Kunden ihre Menschenliebe vorzugaukeln.

Klar doch: Versicherungen verkaufen immer nur das eine: «Peace of Mind». Die Botschaft soll heissen: Sei unbesorgt, wir kümmern uns um dich. Da heisst es schon mal «Hallo Leben» bei kleinen und grossen Wehwehchen bei der CSS. Die Zürcher Agentur SiR MaRY wollte damit für seinen Auftraggeber nicht nur kreativ wie im eigenen Namen mit Gross und Klein umgehen, sondern Krankheit als Tabu brechen und gleichzeitig die Kasse als liebevoll verständnishauchenden Partner etablieren. Ähnliche Werbebotschaften grassieren in der Branche. Was mich als ehemalige Werber dabei nervt: Wie weit klaffen doch Realität und Anspruch auseinander!

Einer befreundeten Familie (Name der Versicherung ist mir bekannt – so viel sei verraten – es war nicht die CSS) wurde die operative Entfernung eines sich vergrössernden Muttermals bei der minderjährigen Tochter als Kassenpflichtleistung abgelehnt. Mit der Begründung, es handele sich um eine «Schönheitsoperation». Ich empfahl der Mutter, zur Not das Wachstum des Muttermals zu dokumentieren und vorher, da bei Hautkrebs auch der Zeitfaktor eine grosse Rolle spielt, eine eidesstattliche Erklärung zum beobachteten Krankheitsverlauf abzugeben, um die Kasse zur Einsicht zu drängen.

Kassen zwingen Kranke in die Defensive
Achtung: Selbst, wenn der Patient nach einer Leistungsverweigerung der Krankenkasse auf eigene Kosten erst einmal vorprescht und alles aus eigener Tasche bezahlt, und es sich nachher herausstellen sollte, dass die Kasse hätte zahlen müssen, bleibt der geschädigte Kranke in der Regel dennoch auf den Kosten sitzen. So will es ein Skandalurteil des St. Galler Versicherungsgerichts (Aktenz. KV 2016/2). Denn nachträglich kann sich die Kasse immer rausreden, dass nicht alle medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um kostengünstiger zu einem wie auch immer gearteten Behandlungsziel gekommen zu sein. Daher haben Versicherungen ein Interesse, notwendige teure Behandlungen hinauszuzögern. Sehr zum Leiden der Kranken oder Verunfallten. Die haben nämlich meistens keinen so einen langen Atem.

Die abgebildete schöne Welt der patientennahen Krankenversicherer in den Werbespots hat mit der traurigen Realität nichts zu tun. Oder wie es der renommierte Professor Walter Krämer beschrieb: »…Krankenkassen vertreten in erster Linie ihre eigenen Interessen: möglichst hohe Gehälter für die Funktionäre und möglichst viele Mitglieder, die diese Gehälter zahlen.» Es genügt, sich einmal die Jahresgehälter der Krankenkassenchefs in der Schweiz anzuschauen.

Da muss natürlich bei den Leistungen gespart werden. Hohe Jahresprämien und niedrige Auszahlungen sind das Rezept. Da viele Krankenkassen wissen, dass sich die Patienten, vor allem wenn sie ohnehin schon krank sind, schlecht wehren können, werden sie durch Leistungskürzungen und -abwimmeln gepiesackt. Bis die Versicherten die Geduld verlieren und selber zahlen.

Ich selbst musste das mehrmals am eigenen malträtierten Leib erfahren. Nach einem dummen Wassersportunfall, bei dem ich mir alle Sehnen der rechten Schulter riss, kämpfte die Nationale Suisse gegen ihre volle Leistungspflicht. Ein 381-seitiges Dossier wurde eröffnet, wie ein Sesam. Zahlungen und Leistungen wurden jahrelang auch von weiteren Versicherungsträgern bestritten. In der Karenzzeit meiner langsamen Heilung wurde mir der Job gekündigt, da ich nicht rasch genug wieder richtig auf die Beine kam. Aus dem Dossier geht hervor, wie die Versicherung den ersten behandelnden Arzt und mich unter Druck setzte, obwohl meine Supraspinatussehne (und eine weitere Sehne) noch immer defekt waren und ich den Arm nicht richtig hochheben konnte. Erst eine zweite Operation bei einem anderen Chirurgen stellte mich wieder her.

Besonders traurige Berühmtheit erregt der Fall Karl Riebli-Föhn, der erst vor gut einem Jahr so richtig publik gemacht wurde. Riebli-Föhn war an Non-Hodgkin-Lymphom, einem Krebs, erkrankt. Die Krankenkasse SLKK sperrte sich gegen die Übernahme der Therapie-Kosten und ging mit dem todkranken Patienten durch alle Gerichtsinstanzen bis vors Bundesgericht – und verlor am 14. April 2021. Zu spät für Föhn. Er starb am 13. April 2021.

Namen sind Schall und Rauch
Ich lebe noch, kenne nun aber alle Tricks der Kassen, wenn es darum geht, sich der Leistungspflicht zu entziehen. Bei der National und der CSS hat man es bei mir mit Abwimmeln durch den Vertrauensarzt versucht. Beide Male erfolglos, aber ich brauchte einen Anwalt. Ohne Anwalt haben Versicherte kaum noch Chancen, zu ihrem Recht zu kommen, denn die meisten Vertrauensärzte sind willfährige Erfüllungsgehilfen ihres Zahlmeisters (der Kasse). Bei der CSS musste ich drei Gesuche für ein und dieselbe Leistung einreichen. Ein identischer Wiedererwägungsantrag wurde monatelang gar nicht erst bearbeitet. Meine Rechtsschutzversicherung Axa hatte bereits die Klage beim Verwaltungsgericht gutgeheissen, als dann doch nach fast sieben Monaten eine Kostengutsprache erteilt wurde – für eine Pflichtleistung aus der Grundversicherung wohlgemerkt. Dank der CSS habe ich über ein halbes Jahr Lebensqualität verloren. Aber immerhin, wie bereits gesagt und durch diese Zeilen bewiesen, existiere ich noch. Denn unbehandelt und ohne meine Anwälte hätte meine schwere Schlafapnoe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit langfristig zu lebensgefährlichen Folgeerkrankungen geführt. Für mich ist das Akronym der Kasse deplatziert. C kann nicht für christlich stehen und S sicher nicht für sozial.

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