Von Robert Jakob
Demokraten rieben sich nach der Europawahl die Augen. Trotz allerlei Skandalen gewannen die Parteien am rechten und am linken Aussenrands weiter Zulauf. Grüne Blase und die Banalität der Konservativen sind die Treiber.
Bezeichnend: Bei der emotionalen Rede des ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Deutschen Bundestag fehlte fast die gesamt AfD-Fraktion (bis auf vier Nasen), und Shooting Star Sahra Wagenknechts BSW liess den Auftritt mit Fraktionszwang komplett boykottieren. Rechts- und Linksaussen sind sich für einmal einig. Keine Aufmerksamkeit für den Feind Russlands: AfD und BSW würden am liebsten die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland «normalisieren».
Die mutmasslichen Verwicklungen führender AfD-Politiker wie Petr Bystrons Vergünstigungsaffären aus russischer Hand (t-online berichtete, er habe sich sogar über die zu grosse Stückelung der offerierten Geldscheine beschwert) oder Maximilian Krah (der Tiktok Star der Alternativen) entpuppen sich rasch noch nicht einmal als Appeasement-Politik, sondern als primitiver Eigennutz. Kommt hinzu, dass Olga Petersen, eine im sibirischen Omsk geborene russlanddeutsche Politikerin und ab 2020 für die AfD in der Hamburger Bürgerschaft parlamentarisch aktiv, das Wahlspektakel Putins zu Jahresbeginn nach persönlicher Beobachtung vor Ort doch tatsächlich als frei und fair bezeichnet. Die russische Nachrichtenagentur Tass rühmt sich zu wissen, dass sich Mutter Olga zusammen mit Ihren drei Kindern zum Schutz ins russische Exil abgesetzt habe.
Welle der Unzufriedenen
All das skurrile Gebaren konnte nicht verhindern, dass vor allem ostdeutsche Protestwähler ihrem Missmut über die aktuelle Europa- und Bundespolitik fleissig durch Kreuze bei der AfD oder BSW an der Urne Luft machen. «Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden», möchte man mit Rosa Luxemburg ausrufen. Die bestehende Demokratie muss dies aber nun mal aushalten. Mittlerweile geben sieben Prozent der Deutschen an, ihr Bundestagswahlkreuz bei der AfD machen zu wollen. Dabei sind die deutschen Ampelkoalitionäre selbst schuld an der Misere.
Eine Ausgabenkaskade ohne erkennbaren Nutzen hat sich über das Land ergossen. Hinzu kommt ein aufgeblähter Verwaltungsapparat. Auf der Strecke bleibt der Steuer- und Beitragszahler. So hält beispielsweise der Verband der deutschen Krankenkassenprivatversicherer PKV einen Anstieg der Sozialbeiträge auf über 50% im bestehenden System für unvermeidlich. Auch wenn Arbeitgeber Ihren Beitrag hinzuleisten müssen, bedeutet das, dass deutsche Arbeitnehmer dann weit über 50’000 Euro verdienen müssten, um sich ein Elektroauto mit einem Gegenwert von 20’000 Euro zu leisten. Denn das System frisst seine Kinder. Die Traumschlösser, und seien es nur die der Erneuerbaren, sind unerreichbar teuer geworden.
Die Kostenexplosion und die Angst um den Wohlstand werden überall in Europa für die Unzufriedenheit mit dem Establishment verantwortlich gemacht. Zwei Drittel des EU-Haushalts fliessen in zweifelhafte Strukturhilfen und Agrarsubventionen, den teure Europaabgeordnete verwalten. Das schürt auch in der Schweiz den antieuropäischen Reflex.
Diäten als Freifahrschein
Neulich stolperte ich rein zufällig über das fürs Jahr gemietete Ferienchalet von Alice Weidel im Kanton Schwyz. Das nur, weil man auf gleicher Höhe so gut mit dem Gleitschirm zu einem Flug über die Kantonshauptstadt starten kann. Die wie ein Löwe gut brüllende populistische Frontfrau der AfD bekommt als Bundestagsabgeordnete über 16’000 Euro monatlich. Allein für die darin inkludierte steuerfreie Kostenpauschale von 5051,54 Euro würde mancher Schweizer gerne arbeiten. Übrigens glänzen Weidel und Wagenknecht im Bundestag nicht durch häufige Anwesenheit. Die Diäten bekommen sie trotzdem.
Überhaupt mögen populistische Politiker aus Deutschland nicht nur die schöne Schweiz und ihr Panorama, auch viele Schweizer identifizieren sich mit den Rechts- oder Linksaussen. Die Stimme der Strasse sieht allenthalben den gesunden Menschenverstand walten. Warum sollten Ukrainer in der Schweiz besser behandelt werden als andere Flüchtlinge? So liegt mir der heimische Handwerker in den Ohren. Wobei ich nicht weiss und es mir auch egal ist, welche Partei er wählt, solange er nicht der russischen Propaganda glaubt, dass die Ukrainer alles Kokainschnupfer seien, und er deshalb von Kokainern statt Ukrainern redet. Der Populismus macht sich auch in der total verdrehten Verunglimpfung des politischen Gegners Luft. Besser und ehrlicher ist da doch die Satire (https://www.der-postillon.com/2024/06/pappaufsteller.html).
Was in der Ablehnung des Engagements für die Demokratie von Ultrarechts bis Ultralinks immer wieder auffällt, ist die Verinnerlichung des St. Florians-Prinzips: «Heiliger Sankt Florian verschon’ mein Haus, zünd’ andere an!»
Diese Haltung befördert die Aufgabe jeden Einschreitens für die Ukraine und andere vom Neoimperialismus gefährdete Staaten.
«Nichts Bessers weiss ich mir an Sonn- und Feiertagen
Goethe, Faust 1, Osterspaziergang
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus.»
Propaganda und Trolle helfen dabei, indem sie die Nationen, die sich dem Recht des vermeintlich Stärkeren widersetzen, gegeneinander ausspielen. Der Mensch neigt zur Bequemlichkeit, und so entwickeln auch in der Schweiz die Argumente Wagenknechts, Weidels und Amira Muhamed Alis ihren Charme – den Charme des bequemen Aussitzens. Dabei dienen die riesigen ungelösten Probleme der Zuwanderung und der übersteuerten unrealistischen Klimapolitik als Blitz-Ableiter. Weitere Erfüllungsgehilfen des Defätismus gibt es in den demokratischen Ländern zu Hauf von Wilders über Le Pen bis Meloni. Die Probleme der Ukraine sind erst einmal nicht unsere, das ist dabei der Hintergedanke.
Rationalisierung im Populismus
Zuhause und im globalen Dorf greifen die Menschen zum psychologischen Trick der «Rationalisierung»: Kontroverse Verhaltensweisen werden gerechtfertigt und scheinbar rational oder logisch verklärt, um die wahre Erklärung und die wahren Gefühle zu vermeiden und bewusst tolerierbar zu machen. Das kann so weit gehen, dass diese Hintergründe vollkommen unter den Tisch gekehrt werden. Bei den Populisten steckt aber oft kaltes Kalkül dahinter.
Den Gipfel einer populistischen Lachnummer schoss am Wochenende wieder einmal Wagenknecht ab. Betreffend des sogenannten Friedensplans Putins, welcher sogar die Aufgabe noch nicht annektierter Gebiete durch die Ukraine vorsieht, sprudelte es aus ihr heraus, die «Initiative müsse mit der notwendigen Ernsthaftigkeit aufgegriffen und als Ausgangspunkt für Verhandlungen begriffen werden» und im gleichen Atemzug: «der dauerhaft nichtnukleare Status der Ukraine und ein Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft sind nachvollziehbare Forderungen Russlands“. Dies einem friedliebenden Volk zuzumuten, das seine Nuklearraketen gegen Friedensgarantien einem Aggressor abgab, der den Friedenvertrag gleich zweimal gebrochen hat, bezeichnen Politjournalisten zu Recht als Zynismus pur. Wagenknecht, die deutlich häufiger in Talkshows statt im Bundestag in Erscheinung tritt und dafür genauso fürstlich entlohnt wird wie Weidel, fällt damit den eigentlichen Friedensbemühungen in den Rücken. Sie wird denn auch von Diplomatie-Strategen aller Richtungen in die Pfanne gehauen. Edward Christie vom Finnish Institute of Affairs etwa wundert sich. «Warum deutsche Fernsehsender Jahr für Jahr die kommunistische, durchgeknallte Agitatorin Wagenknecht gezielt unterstützen, bleibt mir ein Rätsel», schrieb er, und sieht darin einen der Hauptgründe für den Wahlerfolg des BSW. CDU-Wehrexperte Roderich Kiesewetter meint sogar, Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand würden «de facto völkerrechtswidrige militärische Grenzverschiebungen und Genozid belohnen».
Der Bürgenstock ist nicht der Zauberberg
Russische Hackergruppen versuchten durch Denial-of-Service-Attacken die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock zu stören. Dazu gehörte auch das «Russia Today»-Interview mit dem Präsidenten der Jungen SVP, Nils Fiechter. Der liess es sich nicht nehmen, die ganze Bürgenstock-Konferenz als lächerlich zu bezeichnen und die neutrale Schweiz in Frage zu stellen. Mit seinem Gefasel, dass die Schweiz ihre Neutralität aufgegeben hätte, hat er zum dämlichsten Zeitpunkt seinem Land und der Sache des Friedens geschadet und bildet sich im russischen Propagandafernsehen auch noch ein, er spräche für sein Land. Aber so sind sie halt, die Populisten von links und rechts.
Die heftigen Reaktionen Russlands gegen die Konferenz und die beleidigenden Angriffe auf Bundespräsidentin Viola Amherd im russischen Staatsfernsehen zeigen deutlich, dass Russland durchaus Angst vor der Wirkung der Konferenz hatte. Da aber weder Indien, Brasilien, Südafrika noch Saudi-Arabien die vorbereitete Abschlusserklärung unterzeichnet haben, war das Meeting trotz der vielen Teilnehmer kein Erfolg.
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