Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Schneller Wohnen

Noch sind wir von verdichtetem Wohnen wie in Singapur weit entfernt - aber bleibt es auch dabei?

Von Robert Jakob

«Wherever I Lay My Hat That’s My Home». Der Marvin Gaye-Song lässt sich verschieden interpretieren, aber eines ist sicher: ein brauchbares Zuhause wird immer schwerer zu finden. In meinem Dorf versucht gerade jemand eine Neubauwohnung mit 126 Quadratmeter Wohnfläche zu verkaufen. Er nennt die Wohnung im untersten Stock «The Nest» und will dafür 2,98 Millionen Franken.

Ob das klappt, sei dahingestellt, denn mittlerweile fallen auch im Kanton Zug die Preise. Es gilt jetzt für einige Besitzer, noch schnell zu verkaufen, um Kasse zu machen. Zu Hilfe kommt ihnen dabei die Wohnungsnot, welche in Ländern mit hohem Mieteranteil wie der Schweiz oder Deutschland weiterhin herrscht.

«Zuhause ist, wo der Schlüssel passt», mag sich mancher sagen und froh sein, wenn er überhaupt an erschwinglichen Wohnraum rankommt oder abends reinkommt. Die Mär von der reichen Schweiz relativiert sich im internationalen Vergleich, wenn man/frau die Wohnqualität mit einkalkuliert, die man für sein Geld bekommt. Machen wir mal ein kleines Hütchenspiel…

Singapurisierung
Was es für entspanntes Wohnen braucht, ist erst einmal Platz. Wer also in grossen, dünn besiedelten Ländern wohnt, hat deutliche Vorteile. Meiner Lebenspartnerin konnte ich Kanada (brrrrr, zu kalt) leider nicht schmackhaft machen, also leben wir in der Schweiz. Hier nun verdichtet sich alles: In den letzten 33 Jahren wuchs die Schweiz von 6,75 auf knapp 8,9 Millionen Einwohner. 7,5 Millionen davon wohnen in Städten und deren Aussenbezirken.

Als ich mit einem amerikanischen Freund einmal im Zug (nicht in Zug) durchs Schweizer Mittelland von Zürich nach Bern fuhr, fragte dieser, wann wir denn endlich aus dem sich ewig hinziehenden Stadtgebiet rauskämen.

Leben in der Agglomeration hat logistische Vorteile. Die Verdichtung bringt Zeitgewinne. Sie löst aber nicht alle Platzprobleme. Der Mensch muss sich anpassen, will heissen, mit weniger Platz auskommen. Es sei denn, er ist bereit, ihn sehr teuer zu bezahlen. Man kann hier durchaus von einer «Singapurisierung» der Schweiz sprechen.

Aber selbst das Gegenteil, eine schrumpfende Bevölkerung, ist kein Garant für weniger Dichtestress. Am Beispiel China zeigt sich das exemplarisch. Die Bevölkerung nimmt dort mittlerweile ab. Aber die Megapolen wachsen. Dort locken Fortschritt und Arbeitsplätze. Doch das chinesische System funktioniert nicht. Jeder fünfte junge Mensch zwischen 16 und 24 Jahren ist in Chinas Städten ohne Job, und gleichzeitig wächst der Kopf der Alterspyramide wie ein Hydrozephalus (bitte googlen). Unterstützten zu Beginn des jetzigen Jahrzehnts im sog. Reich der Mitte fünf Beschäftigte im arbeitsfähigen Alter einen einzigen älteren Menschen über 65, werden es vermutlich 2050 nur noch anderthalb Arbeitnehmende sein. Die starke wirtschaftliche Verunsicherung treibt die jungen Chinesinnen und Chinesen nicht zum Kindererzeugen. Und so besteht der chinesische Wohntraum nicht mehr aus dem repräsentativen Mehrgenerationenhaus, sondern aus der kleinen Dreizimmer-Hochhaus-Etagenwohnung. Die kostet aber im Schnitt sagenhafte 40 Jahresgehälter. So will es die kommunistische Lebensplanung mit ihrem gigantischen Immobilien-Schneeballsystem.

Tapetenwechsel
Rudi, mein amerikanischer Onkel, war 1945 direkt nach dem Krieg mit dem Schiff aus Deutschland in die USA ausgewandert. Er lebte dort den klassischen amerikanischen Traum. Von Beruf Schlosser, konnte er in seinem Haus vieles selber machen. Er wohnte günstig mitten auf Long Island. Seine zweistöckige Liegenschaft kostete die Summe dreier Jahresbruttolöhne, denn es war ein klassisches amerikanisches Mittelklassehaus aus Holz. In Florida hätte es wahrscheinlich nicht jede Hurricane Season überlebt, aber es war recht gross, komfortabel und für den Staat New York solide genug, denn es steht heute noch. Nur mit dem Unterschied, dass sich der Preis dieses gebrauchten Objektes verändert hat. Mittlerweile muss ein amerikanischer guter Durchschnittsverdiener mehr als das Zehnfache eines Jahreslohnes für so etwas blechen. Ein Haus, zwei Kinder, drei Autos, vier Katzen und Hunde: das klassische Familienmodell der 50er und 60er Jahre ist mittlerweile nur noch einer reichen Minderheit zugänglich und das, selbst wenn das Haus nur aus Holz ist.

Tempi passati
Ähnlich sieht es so gut wie überall auf der Welt aus. In Deutschland konnte man sich viele Jahre über einen Multiplikator von Fünf freuen; so viel kostete eine grosse komfortable Wohnung oder ein kleines Einfamilienhäuschen im Schnitt in Bruttojahresgehältern. In der Schweiz lag dieser Multiplikator bei Sieben. Diese Zeiten sind vorbei, zumindest in den städtischen Regionen. Die Anbindung an das schnelllebige Stadtleben kostet. Der Hauptvorteil trotz der überrissenen Preise: Man kommt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auch ohne Auto schnell überall hin. Das ist der Hauptgrund für die hohen Immobilienpreise in Zentrumsnähe. Ich konnte beispielsweise vom Haus meines Onkels in weniger als einer Stunde in Manhattan sein, und das ohne Verkehrsstau und Parkplatzprobleme.

Hat Homeoffice und Landliebe am Run auf die Zentren etwas geändert? Oft liest man, dass die Babyboomer vermehrt ihre zu grossen Wohnungen nicht mehr zu vernünftigen Preisen loswerden, um in eine kleinere Wohnung fürs Alter zu ziehen. Da ist etwas dran. Doch im Bereich der kleinen und mittelgrossen Wohnungen bis drei, vier Zimmer wird auch die Generation Yuppies oder Z für konstanten Nachfrageüberhang sorgen. Der demographische Druck auf den Wohnungsmarkt wird vor allem in den rasanten Zuwanderungsländern wie Singapur, Schweiz, Deutschland und den USA nicht nachlassen.

Lediglich in der Bundesrepublik Deutschland könnte sich ein etwas differenzierteres Bild ergeben. Da die Deutsche Bahn einsame Spitze bei Zugausfällen und Zugverspätungen ist (die deutsche Kabarett- und Comedyszene berichtet heroisch täglich), fällt dort die gute Verbindung an den öffentlichen Verkehr als preistreibendes Argument weg.


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Das Titelbild ist eine modellierte Darstellung des Kampfes unseres Immunsystems gegen ein Virus. Immunglobuline (ypsilonförmig) und Zellsysteme attackieren den Feind.
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