Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Südafrika – Ein Staat hinter Drahtverhau
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Von Robert Jakob
Das Land am Kap ist eines der grössten und schönsten der Welt, doch die Probleme nehmen zu. Symptomatisch dafür steht Stilfontein: Hinter der schönen Lautmalerei steckt eine totgelegte Mine im armen Nordwesten, wo viertausend illegale Bergarbeiter ihr Glück in bis zu 2500 Meter Tiefe suchten. Über Hundert von ihnen mussten das gerade mit ihrem Leben bezahlen.
Die Nachrichten vom Gruben-Desaster gingen um die Welt, und alle Gutmenschen schrien auf. Sie machten die Regierung für mangelnde Vorsorge verantwortlich. Sie hätte doch die Mine Squatters, oder «Zama Zamas», so der Spitzname in der Sprache der Zulus, schützen müssen. Über 30.000 illegale Goldgräber und Schürfer anderer teurer Mineralien gibt es im südlichen Afrika. Die Regierung geht jetzt entschieden gegen sie vor, mit über 3000 Soldaten und vielen Polizisten. Die Politik sieht in den Diggern eher Gangster statt Minenarbeiter auf der verzweifelten Suche nach ein wenig Glück. Viele der lebensmüde anmutenden Hasardeure sind in der Tat illegale Einwanderer, noch ärmere Nachbarn aus Mozambik, Lesoto oder Botswana auf der Suche nach irgendeinem Broterwerb.
Schon seit Jahren hat sich eine Parallelwelt zum regulären Bergbau gebildet. Sie soll mittlerweile rund zehn Prozent der südafrikanischen Goldförderung ausmachen. Produktiv ist das nicht. Die Massen müssen unter schlimmsten Bedingungen schuften und werden von mittlerweile mafiahaften Organisationen versorgt, aber auch in Schach(t) gehalten. Raub und Vergewaltigung sind an der Tagesordnung.
Not macht verzweifelt
Der Regierung kann man vorhalten, zu spät (erst 2023) reagiert zu haben. Längst war illegaler Bergbau in Mode gekommen. Dass die wenigsten der Zama Zamas echte Bergarbeiter mit Erfahrung sind, verschlimmert die Situation noch. Viele von ihnen kommen beim Ein- und Ausstieg in den Schächten ums Leben oder sterben bei Unfällen oder an Erschöpfung unter Tage.
Grosse Not macht nicht erfinderisch, sondern verzweifelt. Darum tun Behörden und Polizei gut daran, die Zugänge zu den stillgelegten Minen zu versperren. Nur ist das bei rund 6000 Schächten gar nicht so einfach, wie es aussieht. Einzäunen reicht nicht. Oft erfolgt der Zustieg klammheimlich unter Abräumung aller Hindernisse. Die Regierung kann nicht Zehntausende von Polizisten abstellen, um die Minen zu sichern. Von Gesetz her müssen die Minenunternehmen stillgelegte Minen ohnehin verschliessen. Was dazu ausreicht, darüber streiten sich die Geister, und manche alte Mine ist nur noch Altlast, weil der Betreiber längst wirtschaftlich das Zeitliche gesegnet hat, wie beispielsweise Stilfontein.
Der Kapitalismus ist also auch nicht schuld am Desaster, und ohne Fabriken und Minen würde Südafrika noch schlechter dastehen. Die Bergbauindustrie macht nach jahrzehntelanger Stagnation nur noch dreieinhalb Prozent der Wertschöpfung aus. Das ist aber immer noch fast das Doppelte im Vergleich zur Landwirtschaft. Dank der hohen Berge hat es immer noch genügend Wasser, um Viehzucht und Pflanzenanbau zu betreiben. Kluge Bewässerung und die Sonne sorgen für die hohen Obsterträge in Grossbetrieben.
Südafrika hat (gleich wie Ägypten) das höchste Bruttoinlandsprodukt Afrikas, ist aber mit gut 6000 US-Dollar pro Kopf von abgrundtiefer Armut geprägt. Auf einer knapp dreiwöchigen Reise quer durch die Region Western Cape konnte ich die herzzerreissenden Schilderungen meiner Tochter, die dort ein Gastsemester verbrachte, hautnah nachvollziehen. Obwohl das Land im Einzugsgebiet Kapstadts der reichste Teil Südafrikas ist, nächtigten in unmittelbarer Nähe ihrer von zwei verstärkten Zugangstüren und hohen Mauern gesicherten Studenten-Wohngemeinschaft zahllose Obdachlose unter freiem Himmel. Wer sein Auto parkieren will, wird von herbeieilenden Arbeitslosen um Autoschutzgeld gebeten. Kommt man der «Bitte» nicht nach, kann es sein, dass plötzlich ein Rückspiegel geknickt ist. Gibt man um Nahrung bettelnden Kindern Brot, folgt so gleich die recht giftig vorgetragene Forderung nach Geld.
Ist das noch ein Land oder schon ein Gefängnis?
Ab Einbruch der Dunkelheit ist der frei zugängliche öffentlich Raum zu meiden. Die Kriminalstatistik spricht eine klare Sprache. Ausserhalb der Kriminalitäts-Hotspots Mittel- und Südamerikas hat Südafrika die höchste Homizidrate weltweit, mit zwanzigtausend Morden (ein Drittel davon betrifft Frauen und Kinder) pro Jahr – genauso viele wie die USA. Nur hat das Land ein Fünftel der Einwohnerzahl. Über 5000 Frauen mussten 2023 ihr Leben lassen. Zum Vergleich: In Italien, mit der gleichen Bevölkerungszahl wie das Land am Kap, betrug die Femizidrate 118. Selbst in Nigeria und Zentralafrika kommt es verhältnismässig zu weniger Tötungsdelikten als in der Republik Südafrika.
Dort ballt sich die Gewalt in den Townships, in welche die freie südafrikanische Gesellschaft ihre Problemkinder abgeschoben hat. Statistisch gesehen muss jede zweite Frau in Südafrika damit rechnen, einmal in ihrem Leben vergewaltigt zu werden. Seit dem Ende der Apartheid in den 90er-Jahren wurden laut der südafrikanischen Polizei fast eine halbe Million Menschen getötet. Zwar finden die meisten Gewalttaten in den Townships statt – aber nicht nur. Deshalb schützen sich alle, von der unteren Mittelklasse bis zu den wenigen wirklich Reichen, durch Schutzmauern, meist mit Elektro- oder Stacheldraht. Ist das noch ein Land oder schon ein Gefängnis, mag manch einer sinnieren. Was auf den ersten Blick befremdlich erscheint, erweist sich leider als Notwendigkeit. Nur so kommt es nicht zur Anarchie.
Cape Flats als Königreich der Gangs
Währenddessen leben 2,5 Millionen Bewohner Kapstadts südöstlich der Hang- und Hafenviertel in den Blechhütten der Townships, auch Cape Flats genannt. Dort herrscht eine strenge Gang-Kultur. Die ältesten sind hundert Jahre alt. Mit dem Ende der Apartheid und dank der Abgeschlossenheit der Flats hat sich Kapstadt zur internationalen Drogendrehscheibe gewandelt. Bei der Automiete wurde mir ein A4-grosses Dokument in die Hand gedrückt, das ausdrücklich davor warnte, meinen Wagen durch die Kapstädter Townships zu bewegen.
In den untersten Schichten trägt der Konsum von harten Drogen und Alkoholkonsum massgeblich zur Delinquenz bei, aber auch zu horrenden Verkehrsunfällen. Über die Weihnachts- und Neujahrstage 24/25 kam es allein in der Kap-Region zu weit über hundert tödlichen Unfällen. Gesamthaft sterben auf Südafrikas Strassen pro Jahr über 10’000 Menschen, Tendenz weiter steigend.
Für die vielen Probleme Südafrikas hat die Regierung wenig Lösungen zur Hand. Hinzu kommt die auf dem ganzen afrikanischen Kontinent grassierende Korruption. Black-out-Perioden, um Strom zu sparen, schädigen die Investitionsbereitschaft ausländischer Firmen.
Mit der Hälfte der Einwohner unter der Armutsgrenze muss Südafrika versuchen, einen Staat zu machen. Umverteilung von oben nach unten wird nicht helfen, denn bereits jetzt ist das Land durch allerlei hausgemachte Probleme ineffizient. Die Minengesellschaften verlassen sich hauptsächlich auf ihre ausländischen Assets, die leichter aus- und abzubauen sind. Die hohe Kriminalität macht «gated communities» leider unvermeidbar. Die Apartheit erhält so nur eine andere Farbe, die schwarze Mittelschicht und schwarze Oberschicht zählt jetzt zu den Privilegierten. Die fragile Sicherheit in einem der schönsten Länder der Welt kann aber jederzeit kippen. Jede dritte Person ist arbeitslos, unter den 15- bis 24-Jährigen sogar jede zweite. Denn die Einkünfte aus Bergbau, Weinbau oder Tourismus reichen bei 60 Millionen Einwohnern hinten und vorne nicht aus.
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