Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Türkei am Rande der Pleite

Kann die Opposition die mehr als zwei Jahrzehnte währende politische Dominanz von Präsident Erdogan und seiner AKP-Partei beenden?

Wenn immer es im Inland schlecht läuft, greifen Politiker zu einem einfachen Mittel: Säbelrasseln.

Schon seit vielen Jahren verschlechtert sich die Handelsbilanz der Türkei. Das Land ist international nicht mehr wettbewerbsfähig. Der Export von Haselnüssen reicht sicher nicht aus, und die krisensicher geglaubten Einnahmen aus dem Tourismus sind zum zweiten Mal in Folge dramatisch weggebrochen. War es im 2016 der Staatsstreich gegen Präsident Erdogan und die darauf folgende Säuberungswelle, so ist in diesem Jahr SARS schuld. Die Türkei hat pro Einwohner dreimal so viele kumulierte und dreimal so viele aktive Covid-19-Fälle wie der verhasste Nachbar Griechenland.

Kleiner diplomatischer Persilschein aus Deutschland
Zwar gibt es kein Schweizer Reisewarnung für die Türkei, und Deutschland hat den Tourismusprovinzen Antalya, Izmir, Aydin und Mugla einen vorläufigen Persilschein ausgestellt. Unser Nachbar Österreich spricht jedoch für das ganze Land eine Reisewarnung aus.

Nun ruft Erdogan nachgerade nicht zur Belagerung Wiens auf, aber mit seiner Kriegsdrohung gegen Griechenland hat er bewusst eine rote Linie überschritten. Erdogans Hofschranzen verlangten sogleich die Annexion von zwölf griechischen Dodekanes-Inseln, darunter Rhodos und Kos. Das Gezetere ist Teil des eskalierenden Streits um Gebietsansprüche und Gasvorräte in der Ägäis und rund um Zypern. Griechenland beansprucht, unter Berufung auf das internationale Seerecht, Wirtschaftszonen auch und gerade für seine Inseln. Die Türkei hingegen erkennt die UN-Seerechtskonvention von 1982 nicht an und argumentiert, Inseln hätten gar keine Wirtschaftszone. Beide Seiten lassen da schon mal Kriegsschiffe in See stechen.

Erdogan weiss, dass sein politisches Schicksal von der Wirtschaft abhängt. Symbolpolitik wie die Umwandlung der Hagia Sofia in eine Moschee reichen da nicht mehr. Die Wirtschaft muss wieder Fuss fassen. Im Moment sieht es düster aus. Die Jugend verlässt das Land. Kein Wunder bei einer Arbeitslosigkeit von 25% bei den unter 25jährigen und bei einer brutalen Unterdrückung elementarer Menschenrechte. Im vergangenen Jahr haben mehr als 330’000 Bürger die Türkei verlassen, gut 40 Prozent davon waren zwischen 20 und 35 Jahre alt.

Teure „Energie“
Besonders teuer für den Staatshaushalt kommt die Energierechnung zu stehen. Jahr für Jahr muss die Türkei Erdöl und Erdgas für teures Geld einführen. Aber die Lira hat keine Kaufkraft mehr. Seit Jahresbeginn hat die Landeswährung gegenüber dem Euro ein Viertel an Wert verloren. Das geht schon eine Weile so, und darum horten Türken ausländische Scheine, sehr zum Ärger ihres Staatsoberhaupts. Um das zu unterbinden, hat es verlangt, dass die Banken drakonische Umtauschgebühren erheben. Erdogan fordert von dem von ihm direkt eingesetzten Zentralbankpräsidenten Zinssenkungen zur Unterstützung der serbelnden Wirtschaft und bekommt auch seinen tiefen Leitzins. Der liegt im Moment rund 7 Prozent unter der aktuellen Inflationsrate. In einem ein Jahr dauernden Lockerungszyklus wurde er von 24 Prozent auf 8,25 heruntergeschraubt. Die Negativzinsen bei gleichzeitig zweifelhafter Bonität locken niemanden mehr in Lira-Anleihen. Das Strohfeuer eines inländischen Konsumbooms, und die damit vorübergehende Binnenkonjunkturstütze, wurde durch eine schwindsüchtige Heimwährung erkauft. Der durch Erdogans chaotische Finanzpolitik losgetretene Teufelskreis lässt die Lira zur Schwindsuchtswährung verkommen.

Es droht ein „Squeeze-out“
«Die, die Dollar, Euros, Gold unter dem Kissen haben – geht und wechselt es in türkische Lira in unseren Banken», appelliert Erdogan an den Patriotismus, während gleichzeitig die türkische Zentralbank weiter fleissig Gold zukauft. Diese Doppelmoral vergrössert das Glaubwürdigkeitsproblem des Präsidenten.

Die Türkei könnte bald ihre Auslandschulden in Fremdwährung nicht mehr begleichen, ähnlich wie Argentinien oder Venezuela. Sieht man sich die augenblicklichen Marktrenditen an, so rentieren türkische Staatsanleihen in Dollar bei 7 Prozent und in Euro bei 4 Prozent. Das klingt verlockend, ist aber keine ausreichende Prämie für das Ausfallrisiko.

Erdöl und Gas um jeden Preis
Erdogan scheint alles auf eine Karte zu setzen. Er will so schnell wie irgend möglich zum Netto-Energieexporteur werden. Das würde die dringend benötigten harten Devisen ins Land bringen. Im Schwarzen Meer rühmt er sich, Gas im Volumen von 320 Milliarden Kubikmeter gefunden zu haben und setzt noch einen drauf: «Dieses Vorkommen ist tatsächlich Teil einer viel grösseren Quelle. So Gott will, wird es viel mehr sein», prahlt er. Die Erschliessung und Ausbeutung wird mit dem Ziel einer Produktion ab 2023 geplant. Auf dem Festland werden ebenfalls bereits Energie-Reserven ergründet, diesmal Erdöl. Erdogan will sie durch Fracking gewinnen, obwohl die Kosten im Augenblick in keinem Verhältnis zum Erlös stehen. Ob das alles reicht, um eine drohende Zahlungsunfähigkeit rechtzeitig abzuwenden, darf ernsthaft bezweifelt werden.

Wenn ich mit türkischstämmigen Mitbürgern spreche, bin ich erstaunt, mit welcher Begeisterung sie immer noch hinter Erdogan stehen. Er bedient offenbar den Wunsch nach nationaler Grösse. Dass er in seiner Not sogar einen Krieg mit Griechenland riskieren würde, um von seiner katastrophalen Wirtschaftspolitik abzulenken, macht ihn so gefährlich.


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