Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Vučić beisst auf Jadarit
Von Robert Jakob
Die mediale Berichterstattung über Serbien ist spärlich. Auch das Abschneiden bei der Fussballeuropameisterschaft oder der Olympiade konnte daran nichts ändern. In der internationalen Politik wiederum fährt der Präsident des Landes, Aleksandar Vučić, eine unauffällige Politik, die man konstruktiven Opportunismus nennen kann.
Serbien hat zwar kein Meer, aber ist mit Grenzen zu acht Nachbarstaaten ein Handelsknotenpunkt mit einer historisch gewachsenen Industrie. Mit Russland will man es sich nicht verderben, ist man doch auf Öl und Gas angewiesen. An Bodenschätzen besitzt die ehemalige jugoslawische Teilrepublik jedoch wertvolle Metall-Lagerstätten.
Bereits vor zwanzig Jahren hatten Geologen in der Region Jadar ein grosses Vorkommen von Lithium und Bor entdeckt. Dabei handelt es sich um ein eigenständiges Mineral, das bald darauf nach dem Fundort «Jadarit» getauft wurde und chemisch betrachtet ein Natrium-Lithium-Bor-Silikat-Hydroxid der Formel Na(LiB3SiO7O(OH)) ist. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es dieses Mineral.
Umweltproteste vorprogrammiert
Alsbald begann das zweitgrösste Bergbauunternehmen der Welt, die anglo-australische Rio Tinto mit Sitz in Melbourne und London, sich für die ertragreichen Lagestätten in Serbien zu interessieren. Nach jahrelangen Probebohrungen startete 2018 ein Genehmigungsverfahren zum Abbau, das jedoch 2022 nach Protesten der einheimischen Bevölkerung unter anderem aus Umweltschutzgründen gestoppt wurde. Das 2,4 Milliarden USD schwere Projekt hätte ab 2026 pro Jahr bis zu 60.000 Tonnen Lithiumcarbonat-Äquivalente produzieren sollen sowie Bor, welches ebenfalls für die Batteriechemie eine wichtige Rolle spielt. Mit dem Gesamtausstoss über Jahrzehnte gesichert, wäre Rio Tinto mit einem Schlag zu einem der zehn grössten Lithiumproduzenten der Welt geworden.
Rio Tinto reagierte enttäuscht auf die Absage aus Belgrad und führte Aufklärungs- und Informationskampagnen durch, die sich auf bezahlte redaktionelle Beiträge im staatlich regulierten Medienwald Serbiens stützten, um, wie es hiess, «der erheblichen Desinformation über den Lithiumbergbau entgegenzuwirken».
Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić, der eine illustre Vergangenheit als Informationsminister (1998 bis 2000) unter Slobodan Milošević (†) besitzt und daraus bereits gelernt hat, wie man sich die heimische Presse unterwürfig macht, bringt Jadar wieder ins Spiel. Denn auch in Serbien gilt: Wer Erfolg in der Wirtschaft hat, dem fliegen die Herzen zu. Und so schielt der Präsident nicht nur um das eine Prozent, um das die Abbautätigkeit in Jadar das Bruttoinlandprodukt jahrzehntelang heben dürfte, sondern auch auf neue Batterie- und Autofabriken im Niedriglohnland Serbien. Das Jadar-Lithium würde reichen, um Jahr für Jahr über eine Million neue europäische Elektroautos mit Batterien zu bestücken. Eine vertikale Integration der Wertschöpfungskette, sprich wenn das Lithium im eigenen Lande weiterverarbeitet wird, lässt Serbiens Finanzminister Sinisa Mali von zehn bis 12 Milliarden Dollar pro Jahr träumen.
Rio Tinto habe Garantien gegeben, die Umweltbedenken Serbiens auszuräumen, so seit Neustem der Tenor in Serbiens Regierung. Steilvorlage lieferte dazu ein Urteil des Serbischen Verfassungsgerichts anfangs Juli. Es erklärte das von der Regierung 2022 ausgesprochene Verbot des Lithiumabbaus im Jadartal für verfassungs- und gesetzeswidrig.
Vučić fährt mit allem, was ihm nützt, seit Jahren einen Schlingerkurs. Einerseits trägt er keine Russlandsanktionen mit. Andererseits will er Serbien an die EU heranführen. Dabei dürfte er auch oder gerade auf den reich gedeckten Subventionen-Topf der europäischen Gemeinschaft zielen. EU-Zusagen für Investitionen in die serbische Autobranche wären die Krönung.
Obwohl laut serbischer Verfassung der Präsident kein weiteres Amt innehaben dürfte, setzt sich Vučić darüber hinweg, indem er gleichzeitig weiter Vorsitzender der Serbischen Fortschrittspartei bleibt. Er führt diese seit 2012. Die Serbische Fortschrittspartei (serbisch Srpska napredna stranka, SNS) ist eine rechtskonservative, nationalistische Partei. Seit acht Jahren hat sie im serbischen Parlament sogar die absolute Mehrheit. Sie betreibt einen wirtschaftsfreundlichen Kurs. Inzwischen ist die SNS in der parlamentarischen Versammlung des Europarates der Fraktion der EVP (der beispielsweise auch die deutsche CDU/CSU angehört) beigetreten und gibt sich betont pro-europäisch, manchmal sogar anti-chinesisch, aber nie anti-russisch.
Milei macht Vučić Beine
Vučić zufolge könnte nun in Jadar bereits 2028 Lithium abgebaut werden. Ausschlaggebend für den Gesinnungswandel mag die Offensive eines anderen neoliberalen Geistes werden: Javier Milei, der «Kettensägenkapitalist» und gleichzeitig Präsident Argentiniens. Der verspricht Firmen, die ab einer Grössenordnung von 200 Millionen Dollar in sein hochverschuldetes Land investieren, grosszügige Steuererleichterungen. Auch Argentinien will zum Lithium Powerhouse werden. Denn es besitzt bereits grosse Lagerstätten, schwerpunktmässig im goldenen Dreieck mit Chile und Bolivien. Argentinien ist Lithiumproduzent Nr. 4 auf der Erde. Nur Chile, China und Australien produzieren mehr.
China hat bereits mehr als einen Fuss in Argentiniens Tür. Es nimmt dem klammen Pampastaat zehn Prozent seiner Exporte ab, ist Hauptabnehmer von Soja und Rindfleisch und hat Argentiniens prekären Devisenmangel mit einem Currency Swap über schlappe 18 Milliarden Dollar kuriert. Der Einfluss der neuen asiatischen Wirtschaftsmacht ist nun auch in Südamerika verankert. Wie überall auf der Welt finanziert China auch in Argentinien teure Infrastrukturprojekte, von Eisenbahnen bis Solarfarmen und natürlich auch Lithiumbergwerke.
Langer Prozess mit sicherem Ausgang?
In Afrika wiederum haben die Chinesen gleich die ganze Hand am Monopol. Vier Fünftel des für dieses Jahrzehnt prognostizierten Lithium-Angebotes in Afrika stammt aus Projekten, die zumindest teilweise chinesischen Firmen gehören. Die ESG-Bilanz der chinesischen Bergbauaktivitäten ist verheerend. Mit einem Joint Venture zwischen australischem Bergbaugigant, EU und Serbien könnten alle profitieren. Der projektierte Abbau auf einer Fläche von mehr als 600 Hektaren würde das Jadar-Tal allerdings dauerhaft verändern. Die Region im Einzugsbereich der Flüsse Drina und Sava ist auch für die Trinkwasserversorgung von grosser Bedeutung. Für den 10. August hat die Allianz der Umweltorganisationen Serbiens (SEOS) in Belgrad zu einer Massendemonstration aufgerufen. Auch die Umweltorganisation Go Change, welche die Proteste vor rund zweieinhalb Jahren initiiert hatte, kündigte erneut Kampfeswillen an. Rio Tinto will sich umgekehrt an die strengsten europäischen Umweltstandards halten. Die Regierung wiederum lobt die 20 000 neuen Arbeitsplätze, die das Projekt schafft.
Gefährlich wäre es geworden, hätte Vučić versucht, Chinesen und Australier gegeneinander auszuspielen, um den Preis zu treiben, denn im Kampf um Rohstoffe sind die beiden Länder Feinde. Vučić spekuliert jedoch klar auf die Agenda Brüssels, das rohstoffreiche Serbien in den Einflussbereich der EU zu bringen, bevor das Land von China und Russland vereinnahmt wird und will sich durchbeissen. Der serbische Staatpräsident will verhindern, dass sich sein Land die Chancen als EU-Beitrittskandidat verdirbt. Der Höflichkeitsbesuch von Bundeskanzler Olaf Schulz im Juli zur Unterzeichnung einer strategischen Rohstoffpartnerschaft Serbiens mit der EU war daher ein grosser Erfolg für ihn. Für ganz Europa ist das «Onshoring» strategischer Rohstoffquellen in einer Welt voller Schurkenstaaten überlebensnotwendig.
Trotz heftigen Protesten der lokalen Bevölkerung und administrativen Hürden wie Umweltverträglichkeitsprüfungen, Genehmigungsverfahren, Unternehmensbewertungen und allerlei öffentliche Anhörungen dürfte Jadar zwei Jahre verspätet, sicher kommen.
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