Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Wertschöpfung oder Wertschröpfung?
Von Robert Jakob
Ich gebe zu: Ich bin ein kleiner Anarchist. Dann nämlich, wenn es um Abzocke geht.
Die touristische Überlaufblase im Sommer treibt die skurrilsten Blüten. Wer im überfüllten Venedig auf die Idee kommen sollte, mal kurz in einen der Kanäle zu springen – in diesem sich abzeichnenden Hitzesommer ein verständlicher Ausrutscher – wird mit 350 Euro gebüsst, sei er oder sie auch noch so sittsam angezogen. Als ob das Leben und das bisschen Vergnügen nicht schon teuer genug wären!
Bereits auf einer Kroatien-Rundreise vor einigen Jahren bekam ich das Gefühl, mein schönes Ferienziel hätte mehr Parkometer als Einwohner. Und wo die alle so stehen! Manchmal weit ausserhalb an einer Landstrasse. Hätte ich sie alle benutzt, wäre ein Fünftel meiner Reisekasse draufgegangen.
Selbstverständlich kosteten die Top-Nationalparks Krka-Wasserfälle und Plitvicer Seen neben Eintritt (heutzutage 40 Euro p.P. in der Hauptreisezeit) auch noch Parkplatzgebühren. Bei den Wasserfällen steht sogar ein Schild «P FREE 120m», und dennoch werden dem gutgläubigen Touristen Parkiergebühren abgeluchst (der grosse offizielle Parkplatz etwas ausserhalb ist jedoch kostenlos).
Bis 2021 war es wenigstens erlaubt, unterhalb der letzten Kaskade zu schwimmen. Das entschädigt für die hohen Preise. Bei den Plitvicer Seen ist schon länger alles verboten (und der teure Parkplatz unvermeidbar). Als die kroatischen Radiosender am Tag der Besichtigung wieder einmal zum Schutz der Tourismusindustrie die Mär von angenehmen 30 Grad Lufttemperatur verbreiteten, die Wahrheit aber bei 36 Grad im Schatten lag, nahm auch ich es mit der Wahrheit nicht so genau und nutzte eine unbeobachtete Minute für ein eiskaltes Bad mit meinen Freunden den Fischen im kristallklaren hellblauen Wasser. Danach fühlte ich mich nicht nur erfrischt, sondern weniger ausgenommen.
Teure Ticketpreise nicht nur wegen Natur- und Artenschutz
Wer in US-Nationalparks will, muss nicht nur teuren Eintritt zahlen, sondern auch horrendere Parkgebühren als in Kroatien. Gut, dass ich vor vielen Jahren einige Parks besucht hatte, als alles noch gratis war.
In Costa Rica heisst es bei Nationalparkeintritten immer öfter »ausverkauft», weil Schwarzmarkthändler die kontingentierten Eintrittskarten aufkaufen. Sie verticken sie dann an die Touristen bis zu zehnmal teurer. Das können schon mal 400 Franken sein. Mit einer Schutzgebühr für die Natur hat das nichts mehr zu tun.
50 Cent für 500 Dollar
Was die «Bauernfängerei» betrifft, steht die Konzertbranche in der ersten Reihe. Hier ist der Schwarzmarkt offiziell legitimiert. Unter der Handelsmarke FanProtect™ können auf einer Sekundärhandelsplattform bereits gekaufte Tickets zu beliebigen Preisen weitervertickt werden. In der Schweiz kostet dadurch der Eintritt zum Rapper 50 Cent schon mal über 500 Dollar. Für Taylor Swift, die gerade seit Juli in den USA tourt, geht es erst ab 783 Dollar für den Stehplatz los. Angeheizt wird der Hype um Swift auch über ein Vorab-Reservierungssystem ohne Garantiezuteilung, das auch noch zusätzlich Geld kostet. Das treibt die Preise im Sekundärmarkt in die Höhe (zurzeit bis zu 3000 Dollar). In Deutschland beispielsweise erdreistet sich der Veranstaltungsmarktführer eventim zusätzlich zum Ticketpreis noch eine Kaskade Zusatzgebühren (wie Vorverkaufsgebühren, Systemgebühr, Online-Buchungsgebühr, etc.) zu erheben und diese auch noch bei Rückerstattungen (beispielsweise bei ausgefallenen oder verlegten Konzerten) nie mehr zurückzuzahlen. Im fanSALE profitiert eventim dann erneut über Gebühren für den offizielle Ticketverkauf im Sekundärmarkt (böse Zungen sprechen vom «geregelten Schwarzmarkt» oder «Graumarkt», wohl wegen der grausamen Preise).
Wobei wir wieder mal beim BIP-Bashing sind: Auch Ticketpreise (Parkieren, Fliegen, Eintritte) leisten mit ihrer «hohen Wertschöpfung» einen Beitrag zum Bruttosozialprodukt. In die Berechnung geht aber nicht der reale Gegenwert ein, sondern der bezahlte Preis, egal um wieviel er gepusht wurde. Vorbei sind die schönen Zeiten als ich in der Berliner Waldbühne Bob Dylan, Joan Baez und Carlos Santana zusammen mit Band (keine Vorverkaufsgebühr und wirklich freier Parkplatz) 1984 live erleben konnte. Der Eintrittspreis entsprach dem damaligen Gegenwert von drei Gläsern Bier in meiner Musik-Stammkneipe.
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One thought on “Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Wertschöpfung oder Wertschröpfung?”
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Ja, Herr Jakob, so können Sie im Fall der Musik-Events für einmal „die guten alten Zeiten“ besingen. Aber wenn Santana, Clapton, die Stones usw. – halt die aus den „guten alten Zeiten“ einmal nicht mehr auftreten bzw. tot sind, ist es egal, was die Tickets kosten, weil eh nichts mehr geboten wird wie die erwähnten. Madonna oder Swift würde ich mir jedenfalls nicht antun, selbst wenn ich nichts bezahlen müsste.
Und was Sie ansonsten beklagen, ist doch genau das, was all die oberschlauen Uni-Ökonomen immer lehren: Preise zeigen den Grad an Knappheit an, und sie steigen so lange, bis die Nachfrage zurückgeht.