Von Robert Jakob
Eigentlich sollten wir uns ja freuen. Durch die Nullzinspolitik der Notenbanken wird die Konjunktur gestützt und unsere Schulden werden endlich wieder tragbar. Der Offenbarungseid rückt in weite Ferne. Doch das bringt ungeahnte Kollateralschäden.
284 ml. So viel Volumen braucht es, um auf den britischen Inseln Menschen glücklich zu machen. Denn das ist das Raummass eines halben Pints, und so viel Bier bestellen die meisten Frauen und Männer in ihren Pubs zum geselligen Feierabend. 0,284 (in der Regel fast schaumlose) Liter sind etwas weniger als die Schweizer Stange. Und so gönnen sich viele auch ein richtiges Pint (so die englische Schreibweise) von 568 ml, also mehr als einen halben Liter auf einmal, was aber einen echten Biertrinker nicht weiter stört. Stören tut ihn hingegen mittlerweile der Preis der edlen Gerstenkaltschale, denn in Londons Pubs liegt er bei knapp 6 British pounds per pint (sprich’s paunspörpaint), und das ist ungeheuerlich. Selbst einige nicht zu den Nobelherbergen zählende Kneipen wagen bereits 8 britische Pfund zu verlangen.
Schuld ist nicht einmal jene fiese Unterabteilung der gemeinen Teuerung, die auch «Bierflation» genannt wird, sondern es sind die hohen Fixkosten. Wegen der schwindelerregenden Mieten müsste das Pint eigentlich satte 10 Pfund kosten, wollte deren Ausschank den Hausherren oder die Hausherrin halbwegs mehr als nur flüssig ernähren. Und so geht schon seit Jahren ein Gespenst um im Vereinten Königreich: das Kneipen-Sterben. Eine nach der anderen muss schliessen, und meistens scheint es die Beste zu treffen.
Lediglich anonyme austauschbare Pubs im Einheitslook grosser Ketten können gut überleben. Sie optimieren die Kosten. Und wenn nicht einmal eine Spur von EBITDA übrigbleiben sollte, wird halt die Immobilie zu Geld gemacht. Was für den Kunden und Kneipengänger auf dem Freizeitmarkt übrigbleibt, ist gähnende Monokultur.
Was am Schluss zählt, ist nicht die Kneipe, sondern die reine Gebäudehülle. Raum ist knapp und teuer, und selbst auf dem Lande lohnt es sich, die Schänken in Wohnraum umzunutzen, ein Phänomen, das auch in vielen anderen Ländern aufpoppt.
In der Schweiz hat sich, da im Gegensatz zu Deutschland selbst in den Aussenbezirken der Bodenpreis teuer ist, das Beizensterben beschleunigt. Wegen der hohen Grundstückskosten und deshalb teuren Mieten ist Umsatz pro Quadratmeter das entscheidende Kriterium des finanziellen Erfolgs. Mit dem Vitamin-B-Bomber Bier allein ist das unmöglich, weshalb die Besenbeiz überleben kann, der Spunten oder die Beiz kaum mehr. Die Folgen sind genau wie im Vereinigten Königreich verheerend. Wo einst sozialer Austausch in gelockerter Atmosphäre zelebriert wurde, klafft jetzt eine schmerzliche Lücke.
Der Tea-Room ist auch keine Lösung (ich muss zugeben, dass ich diese sprachliche Anbiederung an britische Verhältnisse in der Eidgenossenschaft nie ganz verstanden habe).
Bleibt den mittleren und älteren Semestern damit vielleicht nur der Weg der ewigen Jugend? Will heissen: schnell noch vor 7 rein zu Denner an die Kühltheke und 1 + 1 Kühles oder 1 + 1 + 1 Kühle mitnehmen und zusammen mit dem oder den Kollegen am Dorfbrunnen trinken?
Das mag im Sommer noch seinen Charme haben, aber ab November? Seniorentreffen ab 65 im Gemeindesaal oder dann doch lieber die Hotelbar einmal die Woche? Auch die Schweiz hat ein Kneipenproblem nach Feierabend. Schuld daran sind eindeutig die Zentralbanken und vor allem wie immer die SNB. Mit ihrer Zinsdumping-Politik haben sie es doch tatsächlich geschafft, dass sich soziale Rückzugsorte fast von selbst auf die Privatgemächer reduzieren oder zumindest auf sehr lange Wege, um irgendwie zu diesen einstigen Orten der Begegnung zu gelangen.
Die Kneipe, Insel gepflegter Zusammenkunft, zumindest für Toby Keith (RIP):
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