Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Wilhelm von Humboldt schüttelt sich
Von Robert Jakob
Ein Studium geht ins Geld, für die Kinder und vor allem deren Eltern. Aber auch für den Staat, der die Ausbildungsplätze unterhält. Sind unsere Kids daher privilegiert?
Grundsätzlich scheint die Gleichung einfach: Wer studieren darf, wird sogar vom Steuerzahler über Wasser gehalten. Abzüglich der Semestergebühr kann das schon mal gerade in den technischen Fächern einige zehntausend Franken pro Jahr ausmachen. Der leidgeprüfte Kanton Luzern führt nun eine Diskussion über eine stärkere Kostenbeteiligung der zukünftigen akademischen Jugend. Denn diese bringe nicht genug Geld. «Hochschulabsolventen verdienen gut und zahlen über die höheren Steuern die Investition in ihre Ausbildung zurück», diese Gleichung scheint nicht mehr aufzugehen. So sehen es zumindest die beiden Ökonomieprofessoren Stefan Wolter und Conny Wunsch.
Ihr Vorschlag zur Abhilfe:
Die Kosten eines Studiums sind an den Fiskus über einen Steueraufschlag zurückzubezahlen, wenn sie nicht innerhalb eines Zeitraums von rund 20 Jahren als Art «fiskalische Bildungsrendite» gedeckt seien. Der zu entrichtende Betrag ist die Differenz zwischen den gezahlten Steuern nach dem Studium abzüglich des durchschnittlichen Steuerertrags einer Erwerbsperson mit Abschluss auf Sekundarstufe.
Dieses System würde zu einer vernünftigeren Studienwahl führen, heisst es. Gleichzeitig sollte es der immer stärkeren Teilzeitarbeit – insbesondere von Frauen – entgegenwirken, die durch fehlende Ausschöpfung der Bildungsrendite zu einer Umverteilung von unten nach oben führe. Die Bildungskosten, die nicht über Bildungsrendite gedeckt sind, müssten nämlich von genau denjenigen ausgebügelt werden, die sich nicht das Privileg eines Studiums gönnen könnten.
Seit Ende Jahr, als die Ideen von Wolter und Wunsch (er aus Bern, sie aus Basel) auch in der Presse die Runde machten, gibt es vermehrt Stimmen aus der Schweizer Rektorenschaft und aus der Politik, die sich gerne mit der neuen Idee der beiden Wirtschaftsprofessoren zur akademischen Lenkungsabgabe profilieren.
Wird Luzern vorpreschen?
Der Direktor des KMU- und Gewerbeverbands Kanton Luzern, Gaudenz Zemp, gelangt mit einer Anfrage an seine Kantonsregierung und findet die Idee einer fiskalischen Bildungsrendite prüfenswert. Er sieht die zunehmende Akademisierung als Mitverursacher des Fachkräftemangels. Was die unsinnige Verdrängung der Handarbeit durch akademische Berufe betrifft, wie sie in unserem Nachbarländern Frankreich und Italien durch eine übertriebene Maturaquote von 80 Prozent vorangetrieben wird, hat er Recht. Aber von solchen Verhältnissen ist die Schweiz Lichtjahre entfernt.
Dass nun ausgerechnet Frauen Trittbrettfahrer der Bildungsrendite seien, ist wohl nicht Luxus oder Rosinenpickerei, sondern aus wirtschaftlicher Notwendigkeit geboren. Wolter und Wunsch haben ausgerechnet, dass bereits mit einem Pensum von unter 70 Prozent tertiär gebildete Personen nicht mehr genug zusätzliche Steuern generieren, um die von der Gesellschaft vorgeschossenen Ausbildungskosten zu decken.
Noch immer ist es das weibliche Geschlecht, das die Hauptlast der Friktionskosten unseres stressigen Wirtschaftssystems trägt. Dass ihnen der Spagat dank Teilzeit besser gelingt, soll jetzt durch eine Steuerstrafe erschwert werden? Noch weiter zu Ende gedacht würde die Bildungsstrafe einer sozialen Ausgrenzung gleichkommen, fällt es der reichen Tochter von der Goldküste oder vom Kastanienbaum doch leicht, die fehlende fiskalische Bildungsrendite ihres Studiums abzustottern oder dann halt ihrem ebenso reichen Gatten, der ein bequemeres Leben hat, wenn «die beste Ehefrau von allen» Haushalt und Kinder perfekt in Einklang bringt.
Bildungsfabrik Massenuniversität ist auch ein Schlaraffenland
Wer also etwa ein Kunststudium macht, geht ein finanzielles Risiko ein, dass er selber tragen müsse, findet Zemp passend zum Bild der brotlosen oder wenig gewinnbringenden Studien. Hier nun spätestens dreht sich Wilhelm von Humboldt sogar im Grabe rum. Der deutsche Universalgelehrte hatte ein ganzheitliches Menschenbild, das sich auch auf die universitäre Bildung übertrug. Für ihn waren die Studierenden reifende Staatsbürger und keine Fachidioten oder reine Investitionsgüter. Sein humanistisches geistiges Freiheitsideal gab vor rund 200 Jahren Anstoss für zahlreiche intellektuelle Glanzleistungen des deutschen Bildungswesens. Nur durch Offenheit des Geistes gibt es Innovation. Davon profitieren alle noch heute. Und auch in der Schweiz.
Studienabbrüche sind sicher nicht wünschenswert und sollten die Ausnahme und nicht die Regel sein. Insofern ist wenigstens eine «Forderung» des FDP-Politikers Zemp prüfenswert: Die Einbindung der Berufswahl als Fach (oder mindestens als Beratungsdienstleistung) in die Sekundarstufe. Das verhindert Fehlentscheidungen. Darüber hinaus ist die reine Monetarisierung der Bildungsrendite nur ein weiterer Schritt zur Amerikanisierung der tertiären Ausbildung. Dass ausgerechnet der Stand Luzern hier Vorreiter spielen könnte, ist durchaus pikant, werden doch vor Ort juristische Personen deutlich günstiger besteuert als Privatpersonen. Steuergerechtigkeit sieht wohl anders aus.
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