Zürich – Die Digitalisierung beschäftigt derzeit alle Branchen. Einige Industrien, wie etwa der Handel, haben sich hierdurch bereits stark verändert. Auch die Logistikbranche wird von diesen Veränderungen betroffen sein. In ihrer umfassenden Studie «2016 logistics study on digital business models» untersuchen die Roland Berger-Experten, welche digitalen Geschäftsmodelle in der Zukunft möglich sind und welche Massnahmen Unternehmen ergreifen sollten. Befragt wurden hierfür 300 Logistikunternehmen und -dienstleister in 19 Ländern, darunter auch die Schweiz.
Über eines sind sich fast alle Studienteilnehmer (95%) einig: Die Digitalisierung wird die Logistikbranche teilweise oder sogar massgeblich verändern. Ein Prozess, der sicherlich Vorteile, aber auch Risiken mit sich bringen wird. So glaubt rund die Hälfte, dass die Digitalisierung von Daten und Prozessen die Datensicherheit gefährden kann. «Eine grosse Sorge ist, dass in der Zusammenarbeit mit Wettbewerbern oder IT-Unternehmen sensible Daten verloren gehen könnten», sagt Matthias Hanke, Managing Partner von Roland Berger in Zürich. Darüber hinaus befürchten vor allem Spediteure, dass sie Marktanteile einbüssen könnten im Wettbewerb mit neuen ‹digital ausgerichteten Mitbewerbern›.
Wenn es um die Umsetzung von Massnahmen geht, fehlt es nach Ansicht der Befragten intern in erster Linie an fachlichem Know-how im Digitalbereich (69%) und an der Unterstützung seitens der Geschäftsführung oder der Mitarbeiter (54%). Trotz aller Befürchtungen ist die Branche aber optimistisch: Nur etwa ein Drittel der Befragten glaubt, dass ihr Geschäftsmodell komplett vom Markt verschwinden wird. Darin liegt nach Ansicht der Experten von Roland Berger aber eine Gefahr, denn in anderen Branchen zeigt sich bereits heute, dass dies durchaus passieren kann.
Vier Geschäftsmodelle prägen die Zukunft
Denn die Branche leidet unter dem starken Kostendruck ihrer Auftraggeber. Hinzu kommt, dass 70-80 Prozent des Geschäftsvolumens der Spediteure Standardgeschäft ist. «Hier liegen die Bruttomargen bei etwa 20 Prozent, worin aus Sicht der Auftraggeber ein Kostensenkungspotenzial liegt. Logistikunternehmen müssen daher selbst die Digitalisierung vorantreiben, sonst gefährden sie ihre Zukunftsfähigkeit», warnt Klaus van Marwyk, Roland Berger-Partner und Autor der Studie. Einige digitale Geschäftsmodelle in der Logistik existieren bereits, und weitere werden folgen. Nach Ansicht der Roland Berger-Experten wird es künftig voraussichtlich vier Gruppen von Marktteilnehmern geben:
- Buchungs- und Optimierungsplattformen werden das traditionelle Geschäftsmodell von Transportunternehmen stark verändern. Mit Online-Plattformen können einfache Transporte künftig viel effizienter und kostengünstiger abgewickelt werden. «Durch die direkte Vernetzung der Verlader mit den Frachtführern werden die Abwicklung und die Transportkapazität optimiert; die Frachtkosten sinken», sagt Matthias Hanke.» Um gemeinsam als neutraler Plattformanbieter agieren zu können, sollten Logistikunternehmen daher Kooperationsmodelle prüfen.
- Frachtführer und Terminalbetreiber werden weiterhin entscheidender Teil der Wertschöpfungskette sein. Sie werden zukünftig Grössenvorteile und neueste Technologien nutzen müssen, um Auslastung und Kosten zu optimieren. Sie sollten zudem spezielle Frachtpakete schnüren, um nicht nur von den Aufträgen der Buchungsplattformen abhängig zu sein. So können vor allem Firmen mit einfachen Logistikketten, z.B. im Shuttle-Verkehr, die Buchungsgebühren der Plattformen einsparen. Denkbar ist auch der Aufbau einer eigenen Online-Plattform in Kooperation mit anderen Frachtführern und Terminalbetreibern.
- Supply Chain-Spezialisten werden auch weiterhin komplexe Lieferprozesse, die ein industriespezifisches Know-how erfordern, abwickeln. Um die immer komplexeren Lieferketten effizienter und transparenter zu gestalten, müssen auch solche spezialisierten Nischenanbieter ihre Prozesse stärker automatisieren. Eine grosse Herausforderung: Denn sie müssen einerseits innovativ sein und Technologiesprünge mitgehen, andererseits müssen sie preislich wettbewerbsfähig bleiben. Kooperationen mit digitalen Service Providern könnten hier sinnvoll sein.
- Service Provider stellen Softwareprodukte und Lösungen für die Sammlung und systematische Auswertung grosser Datenmengen sowie weitere digitale Dienstleistungen zur Verfügung. Das Angebot reicht von Online-Bezahlsystemen über GPS-Trackingsysteme bis hin zu automatisierter Zollabwicklung. «Service Provider sind das Kernstück der digitalen Logistik. Mit ihren innovativen Produkten wird die digitale Abwicklung von Geschäften überhaupt erst möglich», erklärt Roland Berger-Berater Hanke.
Digitale Agenda und Massnahmen festlegen
Noch ist unklar, wer die verschiedenen Rollen künftig einnehmen wird. Die Entscheidung, als Frachtführer, Terminalbetreiber oder Supply Chain-Spezialist zu fungieren, hängt vor allem vom heutigen Geschäftsmodell und der Marktpositionierung ab. Um die Chancen des digitalen Wandels für sich zu nutzen, sollten Logistikfirmen daher schnell einen digitalen Fahrplan entwickeln. Dabei sollten sie im ersten Schritt ihren potenziellen Umsatz- und Gewinnverlust durch neue digitale Geschäftsmodelle ermitteln. Entsprechend sollten dann die künftige strategische Ausrichtung festgelegt und die passenden Massnahmen definiert werden. Darüber hinaus muss im Sinne einer digitalen Transformation ein Umdenken sowohl beim Management von IT-Projekten als auch in den Unternehmen selbst stattfinden. Besonders wichtig ist dabei, die Positionierung gegenüber den Online-Plattformen klar zu definieren und gegebenenfalls Kooperationspartner für den Aufbau einer Plattform zu suchen.
Zudem sollte vor dem Hintergrund eines potenziellen Margenverlusts ein unternehmensweites Performance-Programm in die Wege geleitet und ein solider Businessplan entwickelt werden. Finanzierungspartner sollten ebenfalls frühzeitig in den Prozess einbezogen werden. «Denn nur wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen und die Chancen der Digitalisierung begreifen, kann die digitale Transformation erfolgreich vorangetrieben werden. Dazu gehört auch, für neue Trends und Technologien, die das Geschäft beeinflussen, offen zu sein», erläutert Klaus van Marwyk. (Roland Berger/mc/ps)