Rückblick 2015: Die vergessene Krise in Griechenland
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (Bild: © Bundesministerium der Finanzen, Ilja C. Hendel)
Berlin – In «normalen» Zeiten wäre die Aufregung gross gewesen. Aber als Wolfgang Schäuble im November vor der Freigabe weiterer Hilfsmilliarden an Griechenland wieder einmal auf die Bremse trat und weitere Zusagen anmahnte, ging das in der Öffentlichkeit weitgehend unter. So, wie die Griechenland-Krise angesichts von Flüchtlingen, Terroranschlägen und Syrien-Konflikt beinahe aus der öffentlichen Debatte verschwunden ist. Obwohl im Hellas-Drama alles andere als der Schlussakt eingeläutet wurde. Das Gefeilsche um Hilfen der Geldgeber und Reformen der Athener Regierung hat kaum nachgelassen. Dabei bleibt sich der deutsche Finanzminister treu – und der grosse Skeptiker.
Wie schon im Sommer. Als Schäuble im Gegensatz zu Kanzlerin Angela Merkel einen zeitweisen Ausstieg der Griechen aus der Währungsunion («Grexit») für die bessere Alternative hielt. Und dieses Szenario weiterhin für eine Option hält. Auch wenn das dritte Hilfspaket von 86 Milliarden Euro beschlossen ist, die Athener Regierung zuletzt geliefert hat und sich bei den Reformauflagen anstrengt. Immerhin: Nach dem Abgang von Ex-Finanzminister und Dampfplauderer Gianis Varoufakis scheint Schäuble zu seinem neuen griechischen Amtskollegen Euklid Tsakalotos einen besseren Draht zu haben.
Krisentreffen ohne Ende
2015 dürfte das Jahr mit den meisten Krisentreffen und EU-Gipfeln zu Griechenland gewesen sein – vorerst. Der Monate lang drohende Euro-Austritt und das Pokerspiel zwischen der Links-Rechts-Regierung in Athen und den anderen 18 Euro-Partnern war bis zum Sommer das alles beherrschende Thema – tonangebend war Schäuble. Das Dauer-Duell zwischen «Dr. Schäuble» (Varoufakis über Schäuble) und dem «berühmten Ökonomen» (Schäuble über Varoufakis) sorgte für reichlich Nachrichtenstoff, Irritationen und hitzige Debatte.
«Am 28., 24.00 Uhr, isch over.»
Von Schäubles Warnungen dürfte folgender Satz – ein Mischmasch aus Deutsch und Englisch in breitestem Badisch – hängen geblieben sein: «Am 28., 24.00 Uhr, isch over.» Der deutsche Finanzminister hatte im Februar auf seine Art die Deadline bekräftigt, bis zu der aus Sicht der Euro-Gruppe eine Lösung stehen sollte. Die gab es nicht wirklich. Das zweite, 2012 beschlossene Rettungspaket wurde um vier Monate bis Ende Juni verlängert. 32 Abgeordnete stimmten dann im Bundestag dagegen – davon allein 29 von CDU und CSU. Im Sommer waren es dann noch mehr, die Kanzlerin Merkel nicht mehr folgten.
Schäuble im Kreuzfeuer der Kritik
In Deutschland schaffte es Schäuble mit seinem unnachgiebigen Kurs gegenüber Athen zum beliebtesten Politiker – was für einen Finanzminister selten ist. In Griechenland aber war er eine Zeit lang verhasst wie kein Zweiter. Es gab abstossende Karikaturen, in denen Schäuble in Naziuniform mit Lust an der Vernichtung dargestellt wurde. Schäubles Solo für ein «Grexit» auf Zeit sorgte für hohe Wellen und brachte nicht nur die SPD gegen ihn auf.
Im Konflikt mit der Kanzlerin
Der 73-jährige Politprofi eckte damit auch bei Kanzlerin Merkel an und kokettierte im Sommer sogar mit dem Rücktritt. Niemand könne auch einen Minister zwingen, gegen seine Überzeugungen zu handeln: «Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten», sagte Schäuble. Stellte seinerzeit aber auch klar, dass er nicht über einen Rücktritt nachdenke. Merkel meinte nur spitz: «Bei mir war niemand und hat um irgendeine Entlassung gebeten.» Mehr wolle sie dazu nicht sagen.
Letztlich, so heisst es jedenfalls, soll Schäubles harte Haltung gegenüber Griechenland Merkel bei der Abstimmung über ein drittes Hilfspaket die Mehrheit in der Unionsfraktion gesichert haben. Es gibt auch Stimmen, die das nicht so sehen. Der Konflikt zwischen Finanzminister und Kanzlerin wurde aber nicht wirklich beigelegt. Auch in den nächsten Monaten wird Schäuble an seiner Grundhaltung und an seinen Zweifeln bei der Griechenland-Rettung festhalten. (awp/mc/pg)