St. Gallen – Jahrelang sind in der Schweiz mehr Wohnungen gebaut worden, als benötigt wurden. Doch dies dürfte sich bald ändern. Dafür sprechen die demografische Alterung und der anhaltende Trend zur Individualisierung der Bevölkerung.
Jahrelang habe die Nachfrage im Mietwohnungsmarkt mit dem Angebot nicht mitgehalten, heisst es in der am Donnerstag veröffentlichten Studie «Immobilien Schweiz 2. Quartal» von Raiffeisen Schweiz. Historisch tiefe Zinsen und der damit einhergehende Anlagenotstand hätten im letzten Jahrzehnt viel Kapital in den Mietwohnungsmarkt gespült. Die Folge waren steigende Leerstände und kontinuierlich sinkende Anfangsmieten.
Doch im vergangenen Jahr sei der Mietwohnungsmarkt in eine neue Phase getreten. Zum einen habe die Bau- und Immobilienwirtschaft wegen der davongaloppierenden Leerstände bei der Projektion neuer Objekte kräftig auf die Bremse gedrückt. Dies schlage sich nun in einer gedrosselten Wohnungsproduktion nieder. Zum anderen habe sich die Nachfrage nach Wohnungen und Wohnraum in der Schweiz in den letzten Jahren kräftig erhöht.
Demografie löst Migration ab
Dabei kamen die Nachfrageimpulse im Einwanderungsland Schweiz aber nicht von der Migration. Vielmehr hätten die demografische Alterung und der anhaltende Trend zur Individualisierung in den letzten Jahren die Zuwanderung «still und heimlich» als wichtigsten Treiber der Haushaltsbildung abgelöst. Diese Megatrends, Alterung und Individualisierung, dürften auch künftig dazu führen, dass Menschen in immer kleineren Haushalten wohnen und sich das Haushaltswachstum vom Bevölkerungswachstum entkoppele, schreibt die Bank weiter.
2021 überstieg die Zahl der neugegründeten Haushalte erstmals seit 2009 den Bauzugang an neuen Wohnungen. Daher gingen die Leerstände zurück. Und dies sei erst der Anfang. «Auch künftig wird die Wohnungsproduktion bei weitem nicht mit der Nachfrage mithalten», wird Martin Neff, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz in der Studie zitiert. Aus dem bis vor kurzem noch herrschenden Wohnungsüberangebot könnte schon bald einmal Wohnungsnot werden, heisst es weiter. Nach jahrelangem Sinkflug stiegen die Angebotsmieten wieder. Damit dürfte auch die sich seit längerem schliessende Schere zwischen den Bestands- und den Neumieten wieder öffnen.
Zusätzliche Nachfrage durch Ukrainekrieg
Dazu kommen die Folgen des Ukrainekriegs. Seit Kriegsausbruch seien bereits über 48’000 Menschen aus der Ukraine in die Schweiz geflüchtet. Die zunächst in primär in Kollektivunterkünften und Privathaushalten untergebrachten Flüchtlinge dürften sich alsbald auf dem regulären Wohnungsmarkt nach einer Bleibe umschauen. Damit könne dieser Krieg mittelfristig durchaus Folgen für unseren Wohnungsmarkt haben, so Neff.
Zudem sei wegen der gestiegenen Zinsen eine mittlerweile schon fast in Stein gemeisselte Faustregel am Schweizer Eigenheimmarkt ins Wanken geraten. «Eigentum ist aktuell nicht mehr automatisch günstiger als das Wohnen zur Miete», schreibt Raiffeisen. Doch trotz der mittlerweile sehr hohen Preise und der steigenden Zinsen bleibe Wohneigentum gefragt. Da kaum noch neue Eigentumsobjekte gebaut und bestehende nur in Ausnahmefällen verkauft würden, bleibe das Angebot ausgetrocknet. Damit dürften die Preise auch bei etwas geringerer Nachfrage einfach etwas weniger dynamisch weiter steigen. (awp/mc/ps)