St. Gallen – Die Schweizerinnen und Schweizer stehen über die bilateralen Verträge hinausgehenden Lösungen offener gegenüber als bisher angenommen. Selbst ein aufdatiertes Freizügigkeitsabkommen hat bei spezifischen Schutzmassnahmen eine grosse Chance.
Das geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Untersuchung der Universität St. Gallen im Rahmen des Chancenbarometers hervor. Dabei zeigte sich, dass der Schutz vor Arbeitslosigkeit und für Arbeitssuchende für die Zustimmung zu einem Abkommen mit der EU zentral sind.
Beim Lohnschutz zeigten sich die Befragten unabhängig von ihrer parteipolitischen Ausrichtung kompromissbereit, wie die Universität mitteilte. Für Studienleiterin Tina Freyburg zeigt das, dass die Stimmberechtigten bei einer klaren Information über die Konsequenzen der aktuellen Politik bereit sind, ihre bisherigen roten Linien zu überdenken.
Im weiteren ergab die Studie, dass pragmatische und verhältnismässige flankierende Massnahmen eine Regelung erlauben, ohne Widersprüche zu den EU-Regeln zu erzeugen. Ebenfalls lässt die Untersuchung gemäss der Universität den Schluss auf eine reale Chance einer solchen Lösung an der Urne zu.
Freyburg, Professorin für vergleichende Politikwissenschaften, empfiehlt der Politik deshalb, sich zuerst auf die Schweizer Interessen zu konzentrieren und dann erst darüber zu streiten, wie diese gegenüber der EU zu erreichen sind. Für eine informierte Entscheidung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger brauche es eine breite Aufklärung in EU-Fragen.
Grösster Handlungsbedarf beim Klimawandel
Im dritten Chancenbarometer beleuchtete die Universität auch das Veränderungspotenzial aufgrund aktueller Herausforderungen. So sahen 36 Prozent der Befragten grosse Chancen zur Bewältigung der Klimakrisen. 29 Prozent orteten Potenzial in der Digitalisierung, 23 Prozent in der Finanzierung des Gesundheitswesens und 22 Prozent in der Beziehung der EU.
Den grössten Handlungsbedarf sahen mit 49 Prozent die meisten bei der Klimakrise, gefolgt vom Gesundheitswesen mit 48 Prozent und der Altersvorsorge mit 43 Prozent. Die Möglichkeit, in der Schweiz Chancen nutzen zu können, bejahten 80 Prozent zumindest teilweise.
Lediglich 8 Prozent bezeichneten indessen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als gegeben. Auch eine konstruktive Kommunikationskultur erachteten nur 6 Prozent als voll vorhanden. Insgesamt verbesserte sich das Chancenpotenzial im Vergleich zum Vorjahr um 9 Prozent.
Für das dritte Chancenbarometer im Auftrag der Larix-Stiftung befragte die Universität vom 13. Mai bis zum 8. Juni 4349 Einwohnerinnen und Einwohner ab 16 Jahren, die deutsch, französisch oder italienisch sprechen. Die Angaben wurden für eine möglichst hohe Repräsentanz gewichtet. Der Fehlerbereich liegt bei +/-1,5 Prozentpunkten. (awp/mc/ps)