Martin Schadt, Erfinder von Flüssigkristallen. (Copyright: Europäisches Patentamt)
München – Der Schweizer Erfinder Martin Schadt ist vom Europäischen Patentamt (EPA) für den Europäischen Erfinderpreis 2013 nominiert worden. Er ist einer von drei Finalisten in der Kategorie Lebenswerk. Europas wichtigste Auszeichnung für Innovation wird vom Europäischen Patentamt am 28. Mai in Amsterdam an einer Gala vor internationalem Publikum im Beisein von Prinzessin Beatrix der Niederlanden verliehen.
Flüssigkristallanzeigen und -bildschirme, auch Liquid Crystal Displays, kurz: LCDs genannt, sind heute Teil unseres Alltags, immer mehr Geräte nutzen sie, immer häufiger kommen sie zum Einsatz: als Fernseher, im Notebook, als Touchscreen im Smartphone oder Fotoapparat, zur Steuerung der Waschmaschine oder beim Geldabheben am Automaten. Grossen Anteil daran hat Martin Schadt. Die Arbeiten des gebürtigen Liestalers haben den Weg für den Einsatz von Flüssigkristallen in Bildschirmen und Anzeigen geebnet. Er hat als Erster herausgefunden, welches Potenzial in den organischen Verbindungen steckt, die sowohl die Eigenschaften von Flüssigkeiten als auch jene von Festkörpern haben.
Die Grundidee: Wird elektrische Spannung an Flüssigkristalle angelegt, ändert sich ihre Durchlässigkeit für Licht. Diese Eigenschaft wird für den Bildschirm genutzt: Für ein LCD werden wie bei einem Sandwich Flüssigkristalle zwischen zwei Scheiben in ein Raster mit vielen kleinen Segmenten gepresst. Die Segmente, oder Bildelemente, auch Pixel genannt, können unabhängig voneinander angesteuert werden. Mittels elektrischer Spannung werden die Ausrichtung der Flüssigkristalle und damit die Lichtdurchlässigkeit in jedem Segment beeinflusst. So entstehen helle und dunkle Flächen, über die sich Zahlen und Formen darstellen lassen.
«Exotische» Erfindung
«In den 70ern hat sich in der Elektronik keiner für organische Verbindungen wie Flüssigkristalle interessiert. Man hielt es für exotisch und ungeeignet für irgendwelche Anwendungen», so der Erfinder Schadt heute. Aber Schadt hat daran geglaubt und weiter geforscht. Die Möglichkeiten dazu hatte er bei Roche in Basel (damals noch F. Hoffmann-La Roche). Zusammen mit dem Kollegen Wolfgang Helfrich entdeckte er, dass sich die spiralförmig gedrehte Struktur von Flüssigkristallen unter elektrischer Spannung «aufdrehte» und den Kristall lichtundurchlässig werden liess. Man spricht in diesem Zusammenhang deshalb auch von der Schadt-Helfrich-Zelle, benannt nach ihren Entwicklern.
Jährlich werden 40 Millionen LCD-Fernseher verkauft
Diese Entdeckung sollte die Elektronikindustrie in den folgenden Jahrzehnten beflügeln und immer neue Anwendungen möglich machen. Heute werden jedes Jahr allein 40 Millionen LCD-Fernseher verkauft. Der gesamte LCD-Markt ist mittlerweile 100 Milliarden Dollar schwer und ein Ende des Wachstums nicht abzusehen. «Die Erfindung von Martin Schadt unterstreicht Europas Kapazität, Spitzentechnologien zu entwickeln. Seine Erfindung ist Ausdruck der technischen Leistungsfähigkeit und damit der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit sind zukunftsgerichtete Erfindungen wie die LCD-Technologie unverzichtbar», so EPA-Präsident Benoît Battistelli bei der Bekanntgabe der Nominierungen für den Erfinderpreis.
Patentschutz entscheidend
Die Vorteile von immer besseren LCDs hat Schadt, mittlerweile 74 Jahre alt, gerade selbst erfahren. «Ich kann leider immer schlechter sehen und stand vor der Wahl: stärkere Brille oder besserer Bildschirm, ich habe mich für den hochauflösenden Bildschirm entschieden -wunderbar», so Schadt. Aber so bahnbrechend wie die Entwicklung im Labor auch gewesen ist, so entscheidend war ihr Schutz über ein Patent. Am 4. Dezember 1970 meldeten Martin Schadt und Wolfgang Helfrich das erste Patent über die «nematische Drehzelle» in der Schweiz an. Das Patent wurde in 21 Ländern erteilt. Sie lagen damit anderen gegenüber entscheidend im Vorteil, die nur Monate später Produkte oder Anwendungen auf Basis der neuen Erkenntnis schützen lassen wollten.
Schadt als Berater immer noch gefragt
Der rechtzeitige Patentschutz ebnete dem Arbeitgeber von Schadt und Helfrich, Hoffmann-La Roche, den Aufstieg zum weltweit führenden Anbieter von Flüssigkristallen und erlaubte millionenschwere Investitionen in die Weiterentwicklung, bis sich Roche 1994 entschied, das Geschäft in eine eigene Firma abzuspalten und sich schliesslich davon zu trennen. Schadt, Inhaber von mittlerweile 110 Patenten und als Berater immer noch gefragt, wurde jetzt von einer internationalen Jury für den Europäischen Erfinderpreise als einer von drei Finalisten in der Kategorie «Lebenswerk» nominiert. (pte/mc/ps)
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist der wichtigste Preis für Innovation in Europa. Er wird seit 2006 jährlich vom Europäischen Patentamt (EPA) verliehen. 2013 wird die Preisverleihung am 28. Mai in Amsterdam stattfinden. Dabei wird zum ersten Mal auch ein Publikumspreis vergeben.
Der Preis würdigt einzelne Erfinder oder Teams, die dazu beitragen, technische Antworten auf die wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Ausserdem prüft eine international hochkarätig besetzte Jury, inwieweit diese Erfinder zum sozialen Fortschritt, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zum Wohlstand beigetragen haben.
Über das EPA
Das Europäische Patentamt (EPA) ist mit rund 7 000 Mitarbeitern eine der grössten europäischen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes. Der Hauptsitz ist in München; Niederlassungen gibt es in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien. Das EPA wurde gegründet, um die Zusammenarbeit europäischer Staaten im Patentwesen zu fördern. Über das zentrale Erteilungsvefahren beim EPA können Erfinder Patentschutz in einigen oder allen 38 EPA-Mitgliedsstaaten erlangen. Das EPA ist überdies die weltweit bedeutendste Behörde für Patentrecherchen und Patentinformation.