Schweizer Immobilienmarkt: Der Grundriss macht den Unterschied
Zürich – Solange Negativzinsen vorherrschen, wird weiter gebaut. Der Schweizer Immobilienmarkt muss sich daher auf noch höhere Mietwohnungsleerstände einstellen. Sie zwingen die Vermieter zu einer Rückbesinnung auf die Qualität ihrer Produkte, das heisst die Wohnungsqualität. Neben den Aspekten der Lage bestimmen vor allem die Grundrisse, welchen Nutzen die Mieter aus der gemieteten Anzahl Quadratmeter ziehen können. Neue Technologien erlauben es, Grundrissqualitäten quantitativ zu erfassen und damit gute von schlechten Grundrissen objektiv zu unterscheiden.
Die heute publizierte Studie zum Schweizer Immobilienmarkt 2019 der Credit Suisse widmet sich der Qualität von Grundrissen. Die Ökonomen der Credit Suisse haben sich dabei mit dem Schweizer Startup Archilyse zusammengetan und die Qualitätsaspekte der Grundrisse analysiert. Mittels Algorithmen sind heute einzelne Grundrissaspekte wie z.B. Helligkeit oder Möblierbarkeit quantitativ bestimmbar und damit auch vergleichbar, was für die Qualität förderlich ist. Die Mieter dürften über Kurz oder Lang neben einer grösseren Auswahl und günstigeren Mieten auch von besseren Grundrissen profitieren. Demgegenüber kann sich der Wohneigentümer über die Fortsetzung der Tiefzinsära freuen. Kaufen dürfte noch auf Jahre hinaus günstiger bleiben als Mieten. Gemäss den Ökonomen der Credit Suisse beläuft sich der Eigentumsrabatt im Schweizer Durchschnitt auf 18% im Vergleich zur Mietwohnung.
Der vernachlässigte Stellenwert des Grundrisses
Die Qualität der Grundrisse fristete lange Zeit ein stiefmütterliches Dasein und war in der Immobilien¬wirtschaft erstaunlicherweise nie wirklich ein Thema. Und dies, obwohl Wohnungssuchende den Grundriss nach Mietpreis, Grösse und Helligkeit an vierter Stelle der wichtigsten Beurteilungskriterien nennen. Die Vernachlässigung der Thematik mag daran liegen, dass seit Ende der 1990er-Jahre auf dem Schweizer Wohnungsmarkt während langer Zeit ein Vermietermarkt herrschte, auf dem sich die Anbieter um den Absatz der Wohnungen nicht sorgen mussten. Erschwerend kam hinzu, dass die Grundrissqualität bis vor kurzem nur schwierig zu messen war.
Algorithmen machen Grundrisseigenschaften messbar
Mit dem Aufkommen digitaler Technologien lässt sich heute beispielsweise der Lichteinfall für jedes Zimmer einer Wohnung rechnerisch ermitteln, sodass die Helligkeit der Wohnung quantifiziert werden kann. «Grundrisseigenschaften werden so besser miteinander vergleichbar, und Interessenten verfügen über Kennzahlen, ohne die Wohnung besichtigen zu müssen», erklärt Matthias Standfest, CEO von Archilyse. Zusammen mit dem innovativen Startup, das diese digitalen Technologien beherrscht, wollen die Ökonomen der Credit Suisse dem Grundriss die Bedeutung zukommen lassen, die er eigentlich verdient. Gut durchdachte Grundrisse verbessern den Nutzwert einer Wohnung erheblich und tragen damit nicht zuletzt auch massgeblich zur Senkung des Leerstandrisikos der Vermieter bei. Folglich muss das alte Credo zu den werttreibenden Faktoren im Wohnungsmarkt – «die Lage, die Lage und nochmals die Lage» – auch durch die Frage nach der Qualität der Grundrisse ergänzt werden.
Wohneigentum: Kaufen schlägt Mieten noch auf Jahre hinaus
Wohneigentum bleibt trotz hoher Immobilienpreise fast überall in der Schweiz die günstigere Wohnform. Bei einer Vollkostenrechnung schneidet die Eigentumswohnung im Mittel um 18% günstiger ab als eine vergleichbare Mietwohnung. Werden nur die liquiditätswirksamen Kosten berücksichtigt, fällt das Resultat noch deutlicher zugunsten des Wohneigentums aus. Zu verdanken ist dies den anhaltend tiefen Hypothe¬karzinsen, die in Verbindung mit dem günstigen Wirtschaftsumfeld und der guten Arbeitsmarktlage eigentlich die Nachfrage beflügeln müssten. Dass dem nicht so ist, dafür sorgen die von der Regulierung auferlegten hohen Finanzierungshürden, die die Nachfrage nach Wohneigentum ausbremsen.
Das Preiswachstum dürfte daher 2019 verhalten bleiben und die Marke von 2% nicht überschreiten, prognostizieren die Ökonomen der Credit Suisse. Dass die Preise überhaupt steigen, ist der schwachen Bautätigkeit zuzuschreiben. Weil sich die Entwickler auf den Bau von Mietwohnungen konzentrieren, die ihnen von den Investoren buchstäblich aus den Händen gerissen werden, nimmt die Produktion von Wohneigentum immer mehr ab. Dies führt stellenweise zu Knappheitserscheinungen, die sich in höheren Preisen manifestieren. Als Folge der regulatorisch gedrosselten Nachfrage und des vernachlässigten Baus von Wohneigentum dürfte die Eigentumsquote, die bei rund 39% liegt, 2019 gemäss der Analyse der Credit Suisse Ökonomen erstmals seit Langem wieder sinken.
Mietwohnungen: Qualität schützt vor Leerstand
Der Rückgang der Zuwanderung ist dank der wirtschaftlichen Erholung gestoppt worden. 2019 dürfte die Nettozuwanderung wieder um rund 10% zunehmen. Die Mietwohnungsnachfrage dürfte sich folglich weiter erholen, auch wenn die Konjunkturdynamik nachlässt. Davon wird primär die Deutschschweiz profitieren, denn die Trendwende bei der Zuwanderung hat in der Westschweiz noch nicht eingesetzt. Ein Röstigraben tut sich auf, der mit der erhöhten Rückwanderung von portugiesischen Staatsangehörigen zusammenhängt, die in der Westschweiz grösste Ausländergruppe.
Weil die Bautätigkeit kaum nachlässt, werden 2019 abermals zahlreiche neue Mietwohnungen auf den vielerorts bereits übersättigten Markt kommen. Gebaut wird hauptsächlich in den Agglomerationsgemeinden, während die Bautätigkeit in den Grosszentren massiv hinter derjenigen in anderen Gemeindetypen zurückbleibt. Die Wohnungsknappheit in den Grosszentren ist daher hausgemacht. Die Bautätigkeit bleibt insgesamt zu hoch, was eine direkte Folge des tiefen Zinsniveau ist, und sie erfolgt am falschen Ort, weil zu wenig verdichtet wird.
Das Auseinanderklaffen von Nachfrage und Angebot ausserhalb der Grosszentren wird die Leerstände auf dem Mietwohnungsmarkt 2019 zum zehnten Mal in Folge erhöhen, wenn auch mit leicht verlangsamten Tempo im Vergleich zum Vorjahr. Derweil erwarten die Ökonomen der Credit Suisse, dass sich die Angebots¬mieten stärker negativ entwickeln und um 1% bis 2% fallen. Die Lagequalität wird daher wichtiger denn je im Wettbewerb um die Mieter. Die Topografie der Leerstände (siehe Abbildung) macht deutlich, dass eine gute Erreichbarkeit des Standorts bzw. die Nähe zu den Zentren ein Hauptfaktor für ein geringes Leerstandrisiko ist.
Büronachfrage im Wandel
Auf dem Markt für Büroflächen ist mehr in Bewegung, als man aufgrund der einigermassen intakten Marktdaten vermuten würde. Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Digitalisierung und Automatisierung verändern Arbeitstätigkeiten. Atypische Arbeitsverhältnisse, wozu etwa Teilzeitarbeit, befristete Anstellungen, Freelance-Tätigkeiten, Job Sharing, Arbeit auf Abruf oder Praktika zählen, nehmen zu. Flexible Arbeitszeitmodelle sind ebenfalls auf dem Vormarsch. Sie entsprechen einem grossen Bedürfnis der Arbeitnehmenden. Die Hürden für den ortsunabhängigen Arbeitsplatz sind dank mobiler Computer, leistungsfähiger Breitbandverbindungen und Cloud-Lösungen gefallen. Trotzdem haben über 80% der Erwerbstätigen nach wie vor einen festen Arbeitsort, weil dem spontanen Informationfluss im Betrieb eine hohe Bedeutung zukommt. Nichtsdestotrotz nutzen die Erwerbstätigen die technischen Möglichkeiten und arbeiten immer öfter auch von unterwegs oder im Home Office.
Für die Arbeitgeber resultieren daraus Anreize, von einem ortsgebundenen Arbeitsplatzmodell zu einem aktivitätsbasierten Modell überzugehen, bei dem die jeweilige Aufgabe über den Arbeitsplatz entscheidet. Entsprechend müssen sich Büroanbieter auf neue Anforderungen bezüglich Flexibilität und Layout ihrer Flächen einstellen. Gefragt sind offene, flexible und intelligente Bürolayouts. Starre Raumstrukturen lösen sich auf, was nur mit hochgradig mobilem Mobiliar und den entsprechenden baulichen Voraussetzungen möglich ist. Kommunikation wird zum Schlüsselfaktor und bedingt unkonventionelle Räume. Ausserdem wird auch bei den Mietkonditionen zunehmend Flexibilität gefordert, etwa in Bezug auf die Länge der Mietdauer.
Quelle: Bundesamt für Statistik, Navteq, Geostat, Credit Suisse
Die vollständige Studie «Schweizer Immobilienmarkt 2019 – Lage, Lage, Grundriss» ist im Internet in Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch verfügbar unter:
www.credit-suisse.com/immobilienstudie