Bern – Vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Forschende haben Genmutationen entdeckt, die Infektionen der Atemwege bei Kindern schwerer verlaufen lassen. In ihrer Studie zeigen sie, wie dies funktioniert.
Im Allgemeinen verlaufen nicht grippebedingte Erkältungen harmlos. Virusinfektionen erfordern jedoch bei zwei Prozent der Kinder jeder einzelnen Generation einen Spitalaufenthalt. «Zwanzig Prozent der weltweiten Todesfälle bei Kindern gehen auf Atemwegsprobleme dieser Art zurück», betont Jacques Fellay, seit 2011 Inhaber einer Förderungsprofessur des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) an der EPFL. «Es handelt sich um eine stille Epidemie.» In einer internationalen Forschungszusammenarbeit unter seiner Leitung konnten Forschende nun einen Grund solcher Komplikationen finden: Mutationen in einem Gen, das für die Erkennung bestimmter Erkältungsviren verantwortlich ist.
«Wir konnten bestätigen, dass ein Gen mit dem Namen IFIH1 bei der körpereigenen Abwehr gegen die wichtigsten Erkältungsviren eine massgebliche Rolle spielt. Diese Viren verursachen Atemwegsinfektionen bei Kindern», erklärt Fellay. «Im Normalfall ermöglicht dieses Gen die Erkennung der viralen RNA (einer der DNA ähnlichen genetischen Information – die Red.). Es ist uns gelungen, die Mechanismen zu identifizieren, die bei Kindern mit einer IFIH1-Mutation dazu führen, dass ihre Immunabwehr Virusinfektionen nicht effizient greift.»
Spitäler in der Schweiz und in Australien
In Zusammenarbeit mit verschiedenen Spitälern in der Schweiz und in Australien haben die Forschenden sich mit Kindern befasst, die nach einer schwerwiegenden viralen Infektion der Atemwege (Bronchiolitis oder Lungenentzündung) intensivmedizinische Betreuung benötigten. Frühgeborene und Kinder mit chronischen Erkrankungen waren nicht Teil der Studienpopulation. Der Schwerpunkt der Forschungsarbeiten lag somit auf den genetischen Ursachen. Es zeigte sich, dass 8 der 120 Kinder aus der Studienpopulation Mutationen des Gens IFIH1 aufwiesen.
«Dieses Gen kodiert ein Protein, das die Anwesenheit von bestimmten Erregern von Erkältungskrankheiten wie Respiratorischer-Synzytial-Viren (RSV) oder Rhinoviren erkennt», erklärt Samira Asgari, Forscherin an der EPFL und zuständig für die Entwicklung der Experimente. «Das betreffende Protein heftet sich an die RNA des Keims. Dort löst es eine Reihe von molekularen Signalen und somit eine effiziente Reaktion des Immunsystems aus.» Der Forscherin ist der Nachweis gelungen, dass drei verschiedene Mutationen des IFIH1-Gens das Protein an der Erkennung der Viren hindern und damit die körpereigene Abwehr der Infektionen blockieren.
Jacques Fellay hatte schon im Jahr 2015 das Genom von über 2000 Patientinnen und Patienten untersucht, um auf statistischem Weg zu belegen, welche genetischen Veränderungen unsere Abwehrkräfte gegen die üblichen Virusinfektionen beeinflussen. «Diese beiden Ansätze ergänzen sich gegenseitig», erklärt Fellay. «Eine Studie mit einer grossen Studienpopulation ermöglicht die Identifikation der beteiligten Gene auf Populationsebene, doch für Einzelpersonen sind diese Variationen weniger wichtig. Eine gezielte Studie, die sich auf sorgfältig ausgewählte Patientinnen und Patienten beschränkt, bietet dagegen die Möglichkeit, seltenere, für die Teilnehmenden aber entscheidendere Mutationen zu erforschen und die massgeblichen Mechanismen aufzuzeigen.»
Vorbeugen und heilen
Die Ergebnisse der Studie könnten sich bei der Erarbeitung neuer therapeutischer Ziele sowie in der Prävention als nützlich erweisen: «Auf Wunsch einiger Eltern haben wir auch die Geschwister von Kindern getestet, die eine Genmutation aufwiesen. So lässt sich zeigen, ob diese Kinder ebenfalls anfälliger für Infektionen sind. Im Fall einer Epidemie haben die Eltern nun stichhaltige Gründe, ihre Kinder zu Hause zu behalten. Im Fall einer Erkältung wissen sie, dass sie rasch das Spital aufsuchen sollten.»
Für Fellay sind die genannten Arbeiten Musterbeispiele für die Methoden und Zielsetzungen der personalisierten Medizin, auch Präzisionsmedizin genannt: «Die Abwehrkräfte unseres Körpers unterscheiden sich von einer Person zur anderen beträchtlich. Wenn wir die genetischen Mechanismen entschlüsseln, die für diese Unterschiede verantwortlich sind, können wir gezieltere Behandlungs- und Präventionsmassnahmen ergreifen. So könnte man beispielsweise mit einem genetischen Screening bei den üblichen Blutuntersuchungen kurz nach der Geburt auch die Infektionsanfälligkeit bestimmen. Zugleich muss aber in einem gesellschaftlichen Diskurs festgelegt werden, welche Arten von Gentests erwünscht sind und welche nicht.» (SNF/mc/pg)