Basel – Ben Engel will die Solarkraftwerke des Lebens verstehen. Mit Hightech-Mikroskopen ergründet er die Tricks der CO2-Fixierung.
Von Christian Heuss, Universität Basel
Jedes Experiment sei wie eine Entdeckungsreise in unbekanntes Terrain, erzählt Ben Engel. Sein Blick schweift dabei durch die Fensterfront seines Eckbüros im Biozentrum über die weiten Hügel ins Badische. Wissenschaftlich fokussiert er seinen Blick ins Allerkleinste. Mit der sogenannten Kryo-Elektronentomografie erforscht der Strukturbiologe die Sonnenkraftwerke des Lebens: die Chloroplasten.
«Ich bin ein sehr visueller Mensch», sagt der 43-jährige Kalifornier, der mit seiner Forschungsgruppe 2022 ins Biozentrum eingezogen ist. Als Student in San Francisco und Berkeley seien ihm die Methoden der Biochemie immer etwas zu abstrakt gewesen. Mikrospope, die ihm erlauben, Zellen bei der Arbeit zuzusehen, zogen ihn aber magisch an. «Seeing is believing», sagt Engel mit seinem kalifornischen Akzent und einem breiten Grinsen. Am besten versteht er, was er mit eigenen Augen gesehen hat.
Dieses Prinzip führte Ben Engel vor über zehn Jahren ans Max-Planck-Institut für Biochemie in München. Denn dort hat Wolfgang Baumeister die Kryo-Elektronentomografie entwickelt, die derzeit die moderne Zellbiologie revolutioniert. Forschende können damit zelluläre Vorgänge bis auf die Ebene der Eiweissbestandteile sehen und verfolgen.
Solarpanels der Natur
Ben Engels wissenschaftliches Interesse gilt einem der wichtigsten biologischen Prozesse auf unserem Planeten: der Fotosynthese. Mit der Energie des Sonnenlichts stellen Pflanzen, Algen und Cyanobakterien aus CO2 und Wasser Zuckermoleküle her. Bei dieser CO2-Fixierung entsteht Sauerstoff als Abfallprodukt, eine der Voraussetzungen für das Leben auf unserem Planeten.
Wir beginnen den Rundgang durch sein Labor im Algenraum. Dort stehen Dutzende Glasgefässe mit grünen, roten und leicht bräunlichen Flüssigkeiten auf langsam kreisenden Platten. Jedes Gefäss trägt den Namen der Algenart auf einem handbeschriebenen Klebestreifen.
Algen sind nicht nur praktische Untersuchungsobjekte, weil sie sich einfach sammeln und züchten lassen. Sie leisten auch ein Viertel der weltweiten CO2-Fixierung über die Fotosynthese. Viele einzelne Bestandteile dieses Prozesses sind bereits gut verstanden, sagt Ben Engel. Aber es gäbe offene Fragen rund um den Aufbau und die genaue Anordnung der beteiligten Komponenten. «Wir studieren quasi die Solarpanels der Natur.»
Und dabei beobachtet er tatsächlich strukturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Algenarten. Auch vermutet er geografische Anpassungen. Im Rahmen eines europäischen Projekts vergleicht er derzeit den Aufbau der «Solarpanels» in Algen, die an unterschiedlichen Meeresküsten ganz Europas gesammelt wurden.
Die Zeit anhalten
Eine Türe weiter trägt gerade ein Mitarbeiter mit einer Pipette einen Tropfen Algenzellen auf ein winziges Kupfernetz von nur drei Millimetern Durchmesser auf. Eine Maschine kühlt dann die Algen in flüssigem Ethan schockartig auf unter – 182° C ab. Der Gefriervorgang erfolgt so schnell, dass sich keine Wasserkristalle bilden können. Das Wasser in und um die Algenzelle erstarrt zu einem glasähnlichen Zustand. «Es ist, als ob die Zeit plötzlich stehen bleibt», sagt Engel.
«Als ich vor über zehn Jahren den Detailreichtum zum ersten Mal gesehen habe, war das wie eine Offenbarung für mich.»
Ben Engel
Bevor die Forschenden das Innere der Algenzellen untersuchen können, müsse nun ein Fenster ins Innere der Zelle geöffnet werden, erklärt Ben Engel, als wir einen leicht abgedunkelten Raum betreten. Das Werkzeug dazu ist ein Kryo-Scanning-Elektronenmikroskop, das zusätzlich mit einem fokussierten Ionenstrahl ausgerüstet ist. Auf einem Bildschirm ist das vergrösserte Kupfernetz sichtbar, auf dem die zuvor schockgefrorenen Algenzellen sitzen.
Eine Doktorandin bearbeitet mit dem Ionenstrahl vorsichtig die gefrorene Algenzelle wie mit einem Skalpell. «Schicht für Schicht trägt sie die gefrorene Oberfläche ab und formt so eine hauchdünne Lamelle», erklärt Ben Engel.
Damit ist die dünn geschliffene Zelle bereit für die eigentliche Mikroskopie: Ein sogenanntes Transmissions-Elektronenmikroskop visualisiert einzelne Organelle, Membran- und Eiweissstrukturen. Indem sie das Algenzellpräparat schrittweise rotieren lassen, erhalten die Forschenden einen dreidimensionalen Blick in die feinsten Details der Zelle.
«Als ich vor über zehn Jahren den Detailreichtum zum ersten Mal gesehen habe, war das wie eine Offenbarung für mich», sagt Engel. «Ich konnte endlich die molekulare Zusammensetzung von Zellen mit eigenen Augen sehen.» Seither hat ihn die Entdeckungslust nicht mehr losgelassen.
CO2-Fixierung gegen die Klimakrise
Ben Engels Begeisterung für sein Forschungsgebiet ist ansteckend. Aber hat diese aufwendige Grundlagenforschung auch einen Wert für die Gesellschaft? «Unbedingt», sagt er, ohne zu zögern. Es ist nicht möglich, Wissen anzuwenden, bevor wir es gefunden haben.
Wissen über den Fotosynthese-Apparat könne beispielsweise in der gegenwärtigen Klimakrise zu einem wichtigen Puzzleteil werden. Es gäbe Anwendungen beispielsweise zur Züchtung von Pflanzen, die noch effektiver CO2 fixieren können oder sich besser den Klimabedingungen anpassen.
Und noch etwas ist ihm enorm wichtig: Als Wissenschaftler wolle er verstehen, wie die Welt funktioniere. Genauso wichtig sei es aber auch, diese Erkenntnisse verständlich der Gesellschaft weiterzugeben. «Wenn wir es nicht machen, wer sonst?» (Universität Basel/mc/ps)
Ben Engel, geboren 1981 im Norden von Kalifornien, ist seit 2022 Assistenzprofessor am Biozentrum der Universität Basel. Nachdem er sich für seine Doktorarbeit an der University of California, San Francisco (USA) mit zellulären Transportvorgängen beschäftigte, widmete er ab 2011 seine Forschung am MPI für Biochemie in München der inneren Struktur von Chloroplasten. Seit 2019 führt er seine eigene Forschungsgruppe und ist ein EMBO Young Investigator. Für seine innovativen Projekte in Basel hat er 2022 den prestigeträchtigen «Consolidator Grant» des europäischen Forschungsrats (ERC) und Finanzierung vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) erhalten. Ben Engel ist verheiratet mit einer Chemikerin und hat drei Kinder.
Forschungsgruppe Ben Engel
Universität Basel
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