Sehbehinderte sollen durch Elektrostimulationen besser sehen

Sehbehinderte sollen durch Elektrostimulationen besser sehen
Das Forscherteam will eine Neuroprothese für Blinde mit Tausenden von Elektroden konstruieren. (Bild: Chen & Roelfsema, KNAW)

Zürich – Im Rahmen von Horizon 2020 untersuchen Forschende aus sieben europäischen Institutionen, wie sich das Sehvermögen von Blinden durch elektrische Gehirnstimulationen aktivieren lässt. Das Projekt wird von Universität Zürich koordiniert und mit 4 Millionen Euro von der Europäischen Union unterstützt.

Nur Projekte mit wissenschaftlicher Exzellenz, die disziplinübergreifend innovative und vielversprechende Forschungsfelder umfassen, neue industrielle Impulse liefern und gesellschaftlich relevant sind, erhalten Gelder aus dem Forschungstopf der Europäischen Union. All diese Kriterien erfüllt das internationale Projekt «Neural Active Visual Prosthetics for Restoring Function», das einen EU-Forschungsrahmenkredit über 4 Millionen Euro für vier Jahre erhält. Es wird von Prof. Shih-Chii Liu vom Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich koordiniert und startet am 1. September 2020.

Das Team von Forschenden möchte zusammen mit Spezialistinnen und Spezialisten für Computer-, System- und klinische Neurowissenschaften, Werkstofftechnik, Mikrosystemdesign und Deep Learning aus sieben europäischen Universitäten und Institutionen neue Technologien entwickeln, um die visuelle Wahrnehmung von Blinden mithilfe von elektrischen Gehirnstimulationen zu verbessern.

Enge interdisziplinäre Zusammenarbeit
Ziel ist es, eine Neuroprothese für Blinde mit Tausenden von Elektroden zu konstruieren. Dazu werden adaptive maschinelle Lernalgorithmen für die Stimulation mit einer Gehirn-Computer-Schnittstellentechnologie entwickelt. «Diese neuartige Hirn-Neuroprothese soll leicht, robust und gut tragbar sein und über Jahrzehnte hinweg effizient arbeiten», erklärt Shih-Chii Liu. Bisherige Systeme hätten nur wenige Neuronen im Gehirn stimuliert und seien nur einige Monate aktiv gewesen.

Liu ist überzeugt, dass diese Zielsetzung gelingen wird: «Alle Partner verfügen über langjährige Erfahrung, das erforderliche Hintergrundwissen ist bereits vorhanden. Durch unsere Forschungen und den ständigen Austausch untereinander wird es zu vielen Neuerungen kommen.» Die Herausforderung wird jedoch sein, die technologischen Innovationen verschiedener Disziplinen aufeinander abzustimmen.

Mit Innovationen ist zu rechnen
So sollen neue Ansätze für die Stimulation der Gehirnzellen im visuellen Kortex und eine Schnittstelle mit hoher Elektrodenanzahl entwickelt werden. Dazu braucht es dünne, flexible Sonden sowie neue, stabile Elektrodenbeschichtungen und neuartige Mikrochip-Methoden. Zudem müssen die Stimulationsströme an tausenden Elektroden kanalisiert und die neuronale Aktivität in den verschiedenen Gehirnschichten beobachtet werden.

Innovationen sind ebenfalls zu erwarten bei künstlichen neuronalen Netzwerken, die durch mehrschichtiges Lernen (Deep Learning) trainiert werden: Die Netzwerke sollen nur die wichtigen visuellen Informationen extrahieren, die durch die Kamera generiert werden. So können die Blinden Objekte und Gesichtsausdrücke besser erkennen und sich auch im ungewohnten Umfeld zurechtfinden. Dabei müssen die Aufnahmen der Prothesenkamera in Stimulationsmuster umgewandelt werden, welche die Neuronen so stimulieren, dass sie für die Testpersonen verständlich sind. Nur so können Neuronen die Signale verarbeiten und weitergeben. Gleichzeitig soll durch Eyetracking rückgemeldet werden, welche Bilder noch nicht exakt genug umgewandelt wurden.

Algorithmus übersetzt Stimulationsmuster
Die Universität Zürich trägt neben der Koordination auch ihr technisches Knowhow bei: Das Neuroinformatik-Team um Shih-Chii Liu und Tobi Delbruck entwickelt zusammen mit Partnern aus dem Konsortium eine neuromorphe Hardware und die passenden Algorithmen. Das in der Hardware integrierte Netzwerk übersetzt den Input der Kamera in Stimulationsmuster zur Erregung der Elektroden.

«Dieses Forschungsprojekt ist wichtig, weil es bahnbrechende Arbeiten für die Konstruktion einer neuen Hirn-Neuroprothese leistet und auch andere Neuroprothesenforschung beeinflussen wird», sagt Liu. Zudem hoffen alle Beteiligten, die noch relativ geringe Sichtbarkeit Europas auf diesem Forschungsgebiet zu erhöhen. (Universität Zürich/mc/ps)

Die sieben Partner des Projekts
An dem internationalen Projekt «Neural Active Visual Prosthetics for Restoring Function» – kurz: «NeuraViPeR» – arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenshaftler der Universität Zürich, der «Albert-Ludwigs-Universität Freiburg», des «Nederlands Herseninstituut – KNAW» und der «Stichting Katholieke Universiteit» sowie der spanischen «Universidad Miguel Hernandez de Elche». Ebenfalls beteiligt sind das flämische Forschungsinstitut IMEC/ IMINDS sowie das holländische Unternehmen Phosphoenix. Das Gesamtbudget beträgt 3’999’681 Millionen Euro.

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