Von Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank
St. Gallen – Seit der Finanzkrise sind die Zentralbanker die Helden der Finanzmärkte. Gab es irgendwo ein grösseres Problem, waren sie als Weisser Ritter zur Stelle. Mit tiefen Zinsen und viel Geld funktionierten sie als Schmiermittel für rostige Stellen. Nun bläst ihnen ein frostiger Wind entgegen.
Sie haben die inflationäre Wirkung der rasch anziehenden Nachfrage nach Corona bei einem noch stotternden Produktionsprozess unterschätzt und zu spät reagiert. Dass die grosse Mehrheit der Ökonomen und Kommentatoren im gleichen Lager war, wird von vielen Kritikern heute jedoch zur Seite geschoben. Entsprechend schnell und stark müssen die Notenbanken nun das Steuer herumreissen und ihre Leitzinsen anheben. Die Wirkung auf den Inflationsdruck ist bisher bescheiden geblieben. Das ist nicht weiter verwunderlich, da Zinserhöhungen erst mit einer Verzögerung von mehreren Quartalen die Konjunktur bremsen. Die Grenzen der Geldpolitik zur konjunkturellen Feinsteuerung werden schonungslos aufgedeckt. Während das für die Zentralbanker keine Überraschung ist, reagieren die Anlegerinnen und Anleger verwirrt und werden nervös.
Expansive Fiskalpolitik
Noch nervöser sind die Politiker, die sich um den Komfort ihrer Wählerinnen und Wähler sorgen. Nach den guten Erfahrungen während der Coronapandemie greifen sie zum gleichen Mittel des Geldverteilens. War eine expansive Fiskalpolitik in der Coronakrise ein wichtiges Mittel zur Überbrückung der Lockdowns, ist sie im aktuellen inflationären Umfeld fehl am Platz. Geldpolitik und Fiskalpolitik sollten sich gegenseitig unterstützen, damit sie eine effektive Wirkung zur Steuerung der Konjunktur haben. Was nun aber in Grossbritannien, in Deutschland und etwas weniger ausgeprägt auch in den USA und in der Schweiz passiert, ist ökonomischer Unsinn. Mit staatlichen Ausgabenprogrammen und Preisdeckelungen werden die Mechanismen von Angebot und Nachfrage ausgeschaltet und die wirtschaftlich notwendige Bremswirkung der restriktiveren Geldpolitik vermindert.
Die unmittelbare Folge davon ist, dass die Inflationsperiode länger und hartnäckiger sein wird und dass die Zentralbanken noch stärker auf die Bremse treten müssen. Sie werden auch weniger schnell mit einer Lockerung der Geldpolitik auf die bevorstehende Konjunkturabschwächung reagieren können, weil der Inflationsdruck noch zu gross ist.
Ungemütlicher Blick über die Grenze
Gefährlicher ist jedoch der Vertrauensverlust in die Institutionen, vor allem in die Unabhängigkeit der Zentralbanken. Anschauungsunterricht dafür, was das für die Stabilität der Finanzmärkte und für die eigene Währung bedeutet, kann man in der Türkei nehmen. Die faktische Übernahme der Geldpolitik durch Präsident Erdogan liess den Wert der Türkischen Lira seit 2015 um 90% einbrechen. Eine Inflation von 80% und die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung sind die Folge. Wem dieser Vergleich zu dramatisch und für ein Industrieland zu unrealistisch ist, kann nach Grossbritannien blicken. Das angekündigte Schuldenprogramm der neuen Regierung bei einem gleichzeitigen Aushebeln staatlicher Kontrollinstanzen und der Geldpolitik der Bank of England führte zu so grossen Spannungen beim Britischen Pfund und am Markt für britische Staatsanleihen, dass die Bank of England mit einem Notprogramm eingreifen musste. (SGKB/mc/ps)