SGKB Investment views: Braucht die Schweiz negative Realzinsen?

Thomas Stucki, Chief Investment Officer bei der St.Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)

Von Thomas Stucki,CIO der St.Galler Kantonalbank

St. Gallen – Die Nationalbank hat den Leitzins in zwei Schritten um 0.50% auf 1.25% gesenkt. Damit ist ihre Zinspolitik aggressiver als jene der EZB, der Bank of England und der Fed, welche den Leitzins in den USA immer noch über 5% hält. Die Inflationsrate ist in der Schweiz mit 1.3% tiefer als in den erwähnten Regionen, aber höher als die aktuellen Zinsen im Geld- und Kapitalmarkt. Die 10-jährige Anleihe der Eidgenossenschaft rentiert noch 0.63%. Ende 2022 war es ein ganzes Prozent mehr. An den Finanzmärkten wird erwartet, dass die SNB die Politik der Zinssenkungen fortsetzt und bis im nächsten Juni ihren Leitzins unter 1.00% drücken wird. Die Frage ist, wie sich eine solche Tiefzinspolitik der SNB ökonomisch erklären lässt.

Naheliegend ist, dass es der Schweizer Wirtschaft schlecht gehe und diese über tiefe Zinsen einen geldpolitischen Impuls braucht, damit die Kreditvergabe an die Unternehmen und Haushalte angeregt wird. Die Schweizer Wirtschaft ist im ersten Quartal real um 0.5% gewachsen, deutlich stärker als noch im letzten Jahr. Getrieben wird das Wachstum durch den Privaten Konsum während die Industrie schwächelt, was sich unter anderem in einem Rückgang der Investitionen auswirkt. Aber auch in der Industrie zeigen sich vermehrt Lichtblicke. Der vorausschauende Konjunkturindikator des KOF ist zuletzt mit 102.7 Punkten auf den höchsten Stand seit Anfang 2022 gestiegen. Die Schweizer Wirtschaft dürfte sich demnach in den nächsten Wochen weiter erholen und über ihrem historischen Durchschnitt wachsen. Das ist kein konjunkturelles Umfeld, das nach tiefen Zinsen ruft. Die Zinsen auf dem bereits jetzt tiefen Niveau spielen für die Kreditnachfrage sowieso eine untergeordnete Rolle.

Preisstabilität und der Einfluss des Frankenwechselkurses
Ein zweiter möglicher Grund wäre die Gefahr eines deflationären Umfelds. Die Inflationsrate ist in diesem Jahr stärker gesunken als erwartet, getrieben durch sinkende Preise für importierte Güter. Die Inlandteuerung hält sich dagegen hartnäckig bei 2.0% und die Privaten Dienstleistungen verteuerten sich im Juni gegenüber dem Vorjahr gar um 2.7%. Man kann anmerken, dass die Strompreise im nächsten Jahr wieder sinken werden und die höheren Mieten im nächsten Jahr aus der Rechnung herausfallen. Dennoch ist ein Absinken der Inflationsrate gegen null unwahrscheinlich. Die SNB geht in ihrer Inflationsprognose davon aus, dass die Inflationsrate in den nächsten Jahren nicht unter 1% sinkt.

Bleibt der negative Einfluss des starken Frankens, welcher über tiefere Zinsen kompensiert werden muss. Dieses Argument ist häufig stichhaltig, aber kaum im Moment. Der Franken hat seit Anfang Jahr handelsgewichtet 5% an Wert eingebüsst und ist gleich teuer wie vor einem Jahr. Der für viele Exporteure wichtige Euro ist trotz der politischen und wirtschaftlichen Probleme in den grossen Euroländern vier Rappen teurer als zu Jahresbeginn. Eine Aufwertungsspekulation für den Franken, welche eine Reaktion der SNB erfordern würde, ist im Devisenmarkt nicht zu sehen.

Kaum gute Gründe für tiefer Zinsen
Offensichtliche Argumente für die tiefen Zinsen sind demnach schwierig zu erkennen. Vielleicht hilft das eher theoretische Konstrukt des neutralen realen Zinssatzes r*. Dieser lässt sich lediglich schätzen. Einig ist man sich, dass dieser Zins in den Industrieländern in den letzten Jahren gesunken ist, vor allem aus demographischen Gründen. Thomas Jordan hat kürzlich ausgeführt, dass die SNB diesen Zins für die Schweiz bei 0% sieht. Viele Ökonomen gehen jedoch davon aus, dass der neutrale Realzins in den nächsten Jahren aufgrund der durch den Klimawandel notwendigen Investitionen wieder steigen wird.

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