Von Thomas Stucki, CIO der St.Galler Kantonalbank
St. Gallen – Der US-Dollar hat in den letzten Wochen einen wahren Höhenflug hingelegt. Ende März kostete ein Dollar noch 0.92 Franken, aktuell sind es 0.99 Franken. Die Parität, die letztmals 2019 bestand, ist nicht mehr weit entfernt. Handelsgewichtet hat der Greenback seit Jahresbeginn 13% zugelegt. Was bei einer entsprechenden Frankenaufwertung für die Schweizer Wirtschaft eine harte Belastung wäre, ist für die US-Wirtschaft kein Thema. Dafür ist der Anteil des Aussenhandels in den USA im Vergleich zur Binnenwirtschaft zu gering. Zudem werden die amerikanischen Exporte und Importe grösstenteils in US-Dollar abgewickelt.
Der Dollar profitiert von den raschen Zinserhöhungen der Fed und der dadurch steigenden Zinsdifferenz zur Eurozone und zu Japan. Dadurch fliesst viel Kapital zurück in die USA, üblicherweise auch und vor allem aus den Schwellenländern. Eine ähnliche Bewegung gab es 2016, als die Fed letztmals einen Zinserhöhungszyklus startete. Damals stieg der handelsgewichtete Kurs des Dollars innert kurzer Zeit um 10% an. Im Verlaufe des folgenden Jahres verlor er den ganzen Kursgewinn wieder, obwohl die Fed ihren Leitzins regelmässig weiter anhob. Da stellt sich die Frage, ob sich die Geschichte diesbezüglich wiederholt.
Phantasie bleibt im Moment erhalten
Solange namhafte Ökonomen wie Larry Summers oder Kenneth Rogoff noch deutlich stärkere Zinserhöhungen der Fed fordern und sich bei den Inflations- und Lohndaten keine Beruhigung zeigt, bleibt die Phantasie für den Dollar erhalten. Zudem hat Fed-Präsident Jerome Powell in den letzten Monaten seine Aussagen öfters in Richtung einer restriktiveren Haltung angepasst.
Die Wahrscheinlichkeit ist aber gross, dass sich die Inflationsrate in den nächsten Monaten stabilisiert oder sogar wieder sinken wird. Die Fed wird auch in diesem Fall die Zinsen zügig weiter erhöhen, um rasch in den Bereich von 2.50% bis 3.00% zu kommen, den sie als wirtschaftsneutral beurteilt. Danach wird sie das Tempo zügeln und schauen, welche Wirkung sie mit ihrer Politik für die
Konjunktur und die Inflation erzielt hat.
Gewöhnungseffekte
Die Finanzmärkte werden sich an die höheren Zinsen gewöhnt haben und der im Juni beginnende Abbau der Bilanz der Fed wird mehr ein Hintergrundgeräusch als ein schlagzeilenträchtiges Thema sein. Wenn die EZB wie von uns erwartet im Herbst die Zinsen in der Eurozone anhebt, wird sich die Aufmerksamkeit der Analysten und der Finanzmärkte von Washington abwenden und Frankfurt zuwenden. Sollte gleichzeitig in den USA der Druck im Arbeitsmarkt abnehmen und die Arbeitslosenrate steigen, was unausgesprochen eines der Ziele der aktuellen Fed-Politik ist, dürfte der Dollar die Gunst der kurzfristig orientierten Anlegerinnen und Anleger rasch verlieren. Eine Wiederholung von 2017 und damit ein Rückfall des Dollar-Kurses zum Franken in Richtung 0.92 ist wahrscheinlicher als ein dauerhafter Anstieg deutlich über die Parität. (SGKB/mc/ps)