St. Gallen – Der Franken hat in den letzten Wochen sowohl gegenüber dem Dollar als auch gegenüber dem Euro zugelegt. Diese Bewegung hat sich noch verstärkt, nachdem die USA die Schweiz wieder auf die Liste der möglichen Währungsmanipulatoren aufgenommen hat. Die Erwartung, dass die SNB nun nicht mehr in der bisher gewohnten oder je nach Standpunkt gefürchteten Art im Devisenmarkt intervenieren kann, hat zu einer kleinen Spekulationswelle für den Franken geführt. Die kurzfristige Aufwertung des Frankens ist aber übertrieben. Zudem gehe ich davon aus, dass die SNB bei Bedarf weiterhin punktuell gegen den Franken intervenieren wird. Dennoch stellt sich die Frage, wie teuer der Franken wirklich ist.
Die Frage, ob eine Währung über- oder unterbewertet ist, ist nicht einfach zu beantworten. Die SNB beurteilt den Franken als hoch bewertet. Sie bezieht sich dabei auf den realen Aussenwert des Frankens, der die unterschiedlichen Inflationsraten in den verschiedenen Ländern berücksichtigt. Ähnlich aufgebaut sind die Bewertungsmodelle, die auf der Kaufkraftparitätentheorie basieren. All diesen Bewertungen ist gemeinsam, dass die Ergebnisse bezüglich Über- oder Unterbewertung einer Währung stark vom Anfangszeitpunkt abhängen. Sie gehen davon aus, dass der Franken zu diesem Zeitpunkt richtig bewertet war, was hinterfragt werden kann. Ob der Franken als teuer empfunden wird, hat deshalb viel damit zu tun, mit welchem Zeitpunkt der aktuelle Wert verglichen wird.
Stabile Phasen
Von 2000 bis zur Finanzkrise war der handelsgewichtete Wert des Frankens aussergewöhnlich stabil. Der Euro wurde als Alternative zum Dollar bejubelt und pendelte zum Franken zwischen 1.55 und 1.65. Für die Schweizer Wirtschaft war es eine angenehme Zeit, die mit dem Ausbruch der Finanzkrise abrupt endete. Die Finanzkrise und der Ausbruch der Schuldenkrise in der Eurozone ab 2010 wirkte für den Franken wie ein Erdbeben. Der Euro sank trotz wiederholten Interventionen der SNB von 1.70 auf 1.05. Der handelsgewichtete Wert des Frankens stieg um fast 60%, bevor die SNB die Notbremse zog und den Euromindestkurs von 1.20 einführte. Verglichen mit der Zeit vor der Finanzkrise ist der Franken daher heute tatsächlich sehr hoch bewertet.
Aufgabe des Mindestkurses
In den folgenden Jahren blieb der Aussenwert des Frankens stabil, bevor die Aufhebung des Mindestkurses vor fünf Jahren die Franken-Tektonik erneut verschob. Die Verteuerung des Frankens um etwas mehr als 10% war im Vergleich zum vorherigen Franken-Erdbeben jedoch gering und korrigierte nicht viel mehr als der aufgestaute Inflationsvorteil für die Schweizer Wirtschaft während der Zeit des Mindestkurses. Verglichen mit dieser Zeit ist der Franken heute nicht billig, aber auch nicht unbedingt als teuer zu bezeichnen. Seit der Aufhebung des Mindestkurses ist der handelsgewichtete Wert des Frankens nicht mehr gestiegen. In den letzten Jahren hat er sich gar abgeschwächt. Die Aufwertung gegenüber dem Euro seit Mitte 2018 von 1.20 auf 1.07 ist nicht mehr als eine Korrektur dieser «Schwächephase». Unter Berücksichtigung der im Vergleich zur Eurozone und den USA tieferen Inflation in der Schweiz ist der Franken heute immer noch günstiger als vor fünf Jahren.
Regelmässige Aufwertung des Frankens in Zukunft
Neben der wirtschaftlichen und politischen Stabilität der Schweiz ist die tiefe Inflation der Haupttreiber dieser Bewegung. Deshalb ist eine durchschnittliche Aufwertung des Frankens um 1.5% bis 2.0% pro Jahr verkraftbar. Es wird immer wieder Phasen geben, während denen der Franken kurzfristig mehr zulegt. Dafür sorgt der ungebrochene Ruf des Frankens als sicherer Hafen. Gleichzeitig ist der Franken ein dankbares Objekt für die Währungsspekulation, da er trotz seiner Bedeutung eine «kleine» Währung ist und mit vergleichsweise geringen Handelsvolumen ein starker Preiseffekt erzielt werden kann. Die SNB wird auch in Zukunft gezielt am Devisenmarkt intervenieren und die Spekulation auf einen starken Franken zu einem riskanten Geschäft machen. Sie wird aber zurecht eine Aufwertung des Frankens zum Euro von zwei bis drei Rappen pro Jahr zulassen. (SGKB/mc/ps)