St. Gallen – Die Inflationsraten sind in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Dennoch sind die Zinsen gefallen. Sowohl im kurzfristigen Geldmarkt als auch bei den länger laufenden Obligationen liegen die Zinsen deutlich unter der Inflationsrate, was eine negative Realrendite zur Folge hat. Das heisst, dass auf sicheren Anlagen weniger verdient wird als die Inflation an Kaufkraft wegfrisst. Das trifft die Sparer, die über die Zeit kaufkraftbereinigt weniger Geld zur Verfügung haben werden. In der Schweiz beträgt die negative Differenz zwischen Inflation und Sparzins 0.7%. Das ist im internationalen Vergleich wenig und auch kein neuer Zustand. Bereits zwischen 2016 und 2019 befand sich die Realrendite in der Schweiz im negativen Bereich.
Negative Realrenditen gab es in der Schweiz in der Vergangenheit immer wieder, wenn auch nicht über eine so lange Dauer wie jetzt. Neu ist hingegen der Zustand der negativen Realrenditen für unsere Nachbarn in Deutschland. Bis 2016 haben sie mit einer Bundesanleihe immer eine höhere Rendite erzielt als die Inflationsrate beträgt. Diese ist mittlerweile auf 3.8% gestiegen. Wenn die Inflation auf diesem Niveau bleibt, verlieren die Sparer in einem Jahr real 4% an Vermögen, was erheblich und auch spürbar ist. In den USA verlieren die Sparer aktuell gar mehr als 5% an Kaufkraft.
Keine gute Situation
Negative Realrenditen machen das Sparen unattraktiv. Kurzfristig kann das zwar positiv und auch gewünscht sein, insbesondere in Rezessionsphasen. Langfristig überwiegen jedoch die Nachteile. Die Spargelder ihrer Kunden sind für die Banken eine wichtige Grundlage für die Vergabe von Krediten und ermöglichen damit Investitionen, die die Wirtschaft produktiver machen und wesentlich zu einem gesunden Wirt-schaftswachstum beitragen. Wenn die Leute sparen, erhöht das auch die Stabilität in der Wirtschaft. Zyklisch bedingte Wirtschaftsabschwünge, die regelmässig vorkommen, können so besser überbrückt werden. Der private Konsum kann in wirtschaftlich schlechteren Zeiten seine stabilisierende Wirkung entfalten.
In Volkswirtschaften wie den USA, in denen viele Leute sich von Zahltag zu Zahltag hangeln und nicht in der Lage sind, Reserven anzusparen, sind die zyklisch bedingten Ausschläge beim Wirtschaftswachstum viel stärker als in Ländern mit einer hohen Sparquote wie der Schweiz oder Deutschland. Wenn mit dem sicheren Sparen die reale Kaufkraft nicht mehr erhalten werden kann, weichen die Anlegerinnen und Anleger auf riskantere Anlageformen aus, vorzugsweise Aktien oder Immobilien. Sie gehen dabei bis an die Grenze ihrer persönlichen Risikofähigkeit oder oft auch darüber hinaus. Wenn die Gunst der Finanzmärkte sich gegen sie wendet, trennen sie sich dann überhastet wieder von diesen Anlagen. Grössere und auch erratischere Schwankungen an den Finanzmärkten sind die Folge.
Sparen muss sich wieder lohnen
Ansonsten wird eine der Grundregeln der Volkswirtschaft ausgehebelt. Der aktuelle Anstieg der Inflationsraten ist zum grossen Teil ein vorübergehender Effekt, der auf den raschen Anstieg der Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen zurückzuführen ist. Die Angebotsseite wird sich in den nächsten Monaten an die höhere Nachfrage anpassen und der Nachholeffekt nach dem Ende der Corona-Einschränkungen wird auch auslaufen. Die Inflationsraten werden aber nicht auf die Niveaus vor Corona zurückfallen, solange die wirtschaftliche Erholung anhält. Deshalb müssen die Zentralbanken ihre Geldpolitik restriktiver gestalten und die Zinsen anheben, sobald die Wirtschaftsentwicklung wieder stabil ist. Es ist zu hoffen, dass sie diesmal weniger lang warten als nach der Finanzkrise und etwas offensiver vorgehen. (SGKB/mc/ps)