Von Thomas Stucki, CIO der St.Galler Kantonalbank
An der Börse hat die Stimmung wieder einmal gedreht, diesmal von Euphorie zu Angst. Für solche Stimmungswechsel braucht es meistens nicht sehr viel. Diesmal genügten ein paar Konjunkturdaten aus den USA und eine Zinserhöhung in Japan. Ausländische Investoren verkaufen panikartig ihre japanischen Aktien und verhelfen dem Nikkei-Index zu einem Verlust von fast 15% in drei Tagen, nachdem die Bank of Japan ihren Leitzins erhöht hat. Wahrscheinlich wissen die wenigsten dieser Verkäufer, wie hoch der Leitzins in Japan überhaupt ist. Die BoJ hat die Obergrenze ihres Zielbandes von 0.10% auf 0.25% angehoben.
In den USA wurden Zinssenkungen der Fed über Monate als Heilsbringer für die Aktien gefeiert. Nachdem Jerome Powell am Mittwoch eine solche für den September angedeutet hat und eine schwächere Konjunktur als Argument verwendete, kommen die Rezessionspropheten wieder zum Vorschein. Da die Arbeitslosenrate in den USA von tiefen 4.1% auf immer noch tiefe 4.3% angestiegen ist, fühlen sie sich bestätigt und werden lauter. Darum müsse man die Tech-Aktien, die die gleichen Leute vor zwei Wochen noch als unantastbar empfohlen haben, jetzt unbedingt verkaufen. Dass an den Aktienmärkten nach einem Rallye, das neun Monate lang nur die Richtung nach oben kannte, die Kurse wieder einmal sinken müssen, ist normal und gehört zum Charakter von Aktien. Das Schöne dabei ist, dass sich dadurch neue Chancen ergeben, auf tieferen Niveaus wieder Aktien kaufen zu können.
Durchschnittliches Wachstum der Weltwirtschaft
Wer nicht als Day Trader sein Glück versucht, der muss sich bei der Frage, wie viele Aktien er halten will, an den mittelfristigen Erwartungen für die Weltwirtschaft und an seiner Fähigkeit, vorübergehende Verluste tragen zu können, orientieren. Der IWF geht in seiner Prognose davon aus, dass die Weltwirtschaft im nächsten Jahr real um 3.3% wachsen wird, leicht mehr als in diesem Jahr. Das sind nicht mehr die Wachstumsraten von 5% der Nullerjahre, als die ersten Hochhäuser in China aus dem Boden schossen, aber es ist ein solides Wachstum wie in den Jahren vor der Corona-Pandemie. In den USA und in Europa wird das Wachstum wieder zunehmen, nicht zuletzt dank den Zinssenkungen der Zentralbanken, die im nächsten Jahr ihre Wirkung entfalten werden.
Ausgehend von einer Inflationsrate von knapp 3% kann daher von einem nominalen BIP-Wachstum von 5% bis 6% in den Industrieländern und etwas mehr in der Weltwirtschaft ausgegangen werden. Da liegt eine durchschnittliche Performance für ein gut diversifiziertes Aktienportfolios inklusive Dividenden von acht Prozent in den nächsten Jahren drin. Klar gibt es Unsicherheiten bei solchen Prognosen. Eine Gefahr sind die protektionistischen Vorstellungen vieler Länder, weshalb die Erwartungen an das zukünftige Wirtschaftswachstum und damit an die Aktiengewinne etwas heruntergeschraubt werden müssen. Im Vergleich zu den meisten anderen Anlagemöglichkeiten sind die Aktien dennoch attraktiv.
Ruhe bewahren
Die Fähigkeit, Verluste an den Börsen zu tragen, ist eine individuelle Angelegenheit. Die viel zitierte finanzielle Tragbarkeit ist dabei in den meisten Fällen nicht das begrenzende Element. Bedeutender ist die Frage, wie ich mental mit Verlusten umgehe. Meine Aktienposition darf mir nicht den Schlaf rauben, sonst ist sie zu hoch. Ein Fehler ist bei Aktien unverzeihlich: aus Angst im dümmsten Moment zu verkaufen.
Wenn die Aktienkurse nun etwas stärker fallen, ist das nicht schön anzusehen. Wer sich mittelfristig positioniert hat, muss sich aber nicht grämen. Die Kurse werden wieder steigen. Zudem ergeben sich gute Möglichkeiten, die Position noch etwas zu verstärken, wenn in der Anlagestrategie noch Platz vorhanden ist. Vielleicht kann man sogar wieder zu einem vernünftigen Preis in Technologieaktien einsteigen.