Von Thomas Stucki, CIO der St.Galler Kantonalbank
Vor zwei Wochen ging die Angst vor steigenden Zinsen um und brachte die Aktienmärkte zum Zittern. Die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note näherte sich der Marke von 5%, was die schwärzesten Szenarien für die Finanzmärkte aufleuchten liess. Je eine Sitzung der EZB und der Fed später sowie ein paar neue Jobs in Amerika weniger sieht die Welt komplett anders aus. Sinkende Zinsen sind angesagt und die Aktienkurse steigen. Die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note ist fast ein halbes Prozent tiefer. Die Spekulation auf sinkende Zinsen macht auch vor der Schweiz nicht halt. Die SNB soll gemäss dem «Markt» schon im nächsten Juni den Leitzins ein erstes Mal senken. Die Swapzinsen, die für die Bestimmung der Zinssätze für die Festhypotheken relevant sind, liegen in allen Laufzeiten unter dem Leitzins der SNB, in den mittleren Laufzeiten mit 1.30% sogar deutlich. Die Kehrtwende bei den Markterwartungen in der Schweiz ist nicht nachvollziehbar.
Die Inflation liegt mit 1.7% im Zielbereich der SNB. Der Trend nach unten hat sich in den letzten Monaten aber nicht mehr fortgesetzt. Die Kernrate ist im Oktober gar von 1.3% auf 1.5% gestiegen. In den nächsten Monaten wird die Inflationsrate wieder 2% erreichen, wenn die höheren Mieten und die neuen Strompreise in die Berechnung einfliessen. Zudem geht die SNB in ihrer Inflationsprognose davon aus, dass die Inflationsrate beim aktuellen Leitzins von 1.75% in den nächsten zwei Jahren nur marginal unter 2% sinkt. Nicht überraschend warnt die SNB deshalb vor weiteren Zinserhöhungen.
Stotternde Konjunktur
Die konjunkturelle Abschwächung breitet sich auch in der Schweiz aus, ausgehend von der Exportindustrie zunehmend auch in andere Sektoren. Die höheren Preise für die Krankenkassenprämien und die höheren Mieten werden sich dämpfend auf andere Konsumausgaben auswirken. Deshalb hat die SNB im September den Leitzins nicht mehr erhöht. Von einer tiefen Rezession mit steigenden Arbeitslosenzahlen, die ein rasches Eingreifen der Geldpolitik erfordern würde, sind wir jedoch meilenweit entfernt. In verschiedenen Sektoren gibt es zudem erste Anzeichen, dass der Boden bei den Auftragseingängen erreicht ist.
Ein gewichtiges Argument der Zinsbullen ist, dass die SNB bei einer Zinssenkung der EZB nachziehen muss, damit sich der Franken nicht aufwertet. Dieses Argument hat einige Schwachstellen. Erstens ist alles andere als sicher, dass die EZB die Zinsen in der Eurozone so schnell senkt. Zwar stottert die Konjunkturlokomotive Deutschland kräftig, aber die Inflation in der Eurozone ist mit 4.3% immer noch im schmerzhaften Bereich. Zweitens hat die SNB die Zinsen weniger stark erhöht als die EZB oder die Fed. Die Zinsdifferenz zu Europa ist deutlich grösser als im historischen Mittel, was den Spielraum der SNB erhöht. Zuletzt haben Zinsen und Zinsveränderungen auf die Wechselkurse nur einen kurzfristigen Effekt.
Beschränktes Zinssenkungspotenzial
Die SNB hat keinen Grund, die Zinsen rasch zu senken, auch weil der aktuelle Leitzins mit 1.75% alles andere als hoch und konjunkturbremsend ist. Eine Zinssenkung im nächsten Jahr ist deshalb nicht angebracht. Die erste Zinssenkung der SNB sehe ich erst 2025. Auch dann ist das Zinssenkungspotenzial angesichts einer Inflationsrate, die sich im besten Fall im mittleren Bereich des SNB-Bandes bewegt, beschränkt. (SGKB/mc/ps)