Shell-Zukunftsszenarien: «Zone der Ungewissheit» vor uns

Peter Voser

Shell-CEO Peter Voser.

London – Shell hat Signals and Signposts veröffentlicht- einen Bericht zu den Energieszenarien der Zukunft, der vertiefte Einsichten über die globalen Entwicklungen bei der Versorgung der Welt mit Energie, ihrer Nutzung und dem Bedarf bietet. Die Einsichten helfen uns bei wichtigen Entscheidungen in unsicheren Zeiten, in denen wir uns schwieriger Energie- und Umweltprobleme ausgesetzt sehen.

Signals and Signposts — bringt Ihr Wissen auf den neuesten Stand, da auch die Auswirkungen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise berücksichtigt werden. In den kommenden Jahrzehnten wird das Energiesystem der Welt tief greifenden Veränderungen ausgesetzt sein. Eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen der Zivilgesellschaft und den öffentlichen und privaten Sektoren ist notwendig, wenn wir die Herausforderungen annehmen wollen, die Wirtschaft, Energie und Umwelt an uns stellen. Partnerschaften müssen in der wirtschaftlichen Realität wurzeln. Aber die Entwicklungen bei Energie und Umweltschutz müssen beschleunigt in die richtige Richtung gehen. Wir müssen die Debatte über Branchen- und geografische Grenzen hinaus ausdehnen und vertiefen.

1. Wir sind der Auffassung, dass die Welt auf eine Zeit unstabiler Übergangsphasen und stärker ausgeprägter konjunktureller Zyklen zusteuert. Durch die Rezession wurde der starke Anstieg der Öl- und Rohstoffpreise unterbrochen, aber er kann wiederkommen. Schwellenländer wie China und Indien machen eine Phase intensiver Entwicklungen durch. Ein enger zusammenrückender Markt wird weiterhin Druck auf Preise ausüben und zu Unstabilitäten führen. Verbesserungen bei der Politikgestaltung und hohe Produktivitätssteigerungen unterstützten die Wirtschaftsräume während der letzten zwanzig Jahre bei einem Wachstum ohne Inflation. Wir glauben nicht, dass der mässigende Effekt dieser Kombination aus guter Politik, guter Praxis und einer Portion Glück sich in die Zukunft fortsetzen wird.

2. Wir bemerken derzeit eine grundlegende Veränderung bei der Nutzung von Energie. Schwellenländer, zu denen auch China und Indien mit ihrer riesigen Bevölkerung gehören, geraten in die energieaufwändigste Phase ihres Wirtschaftswachstums, in der sie die Industrialisierung, den Städtebau, den Ausbau der Infrastruktur und die Nutzung von Transportmitteln vorantreiben. Der Nachfragedruck wird eine alternative Energieversorgung und eine höhere Effizienz bei der Energienutzung fördern. Dies wird allerdings wahrscheinlich nicht ausreichen, um die wachsenden Spannungen zwischen Angebot und Nachfrage vollständig auszugleichen. Sofern die Schwellenländer den Entwicklungsmustern folgen, die aus der Geschichte bekannt sind, könnte der Grundbedarf an Energie bis 2050 auf das Dreifache des Wertes von 2000 steigen.

3. Grob gesagt, könnten der technische Fortschritt und der Wettbewerb zu Steigerungen der Energieeffizienz führen, die den Grundbedarf im Laufe dieses Zeitraums um 20 % senken. Die üblichen Steigerungsraten bei der Versorgung — unter Berücksichtigung der Realitäten technologischer, geologischer, den Wettbewerb betreffender, finanzieller und politischer Art — könnten zu einer Steigerung der Energieproduktion um 50 % führen. Dennoch verbleibt eine Kluft zwischen der Fortschreibung der herkömmlichen Energieproduktion und der Fortschreibung der herkömmlichen Energienachfrage. Sie beträgt ca. 400 EJ/Jahr – die Grössenordnung der gesamten Branche im Jahr 2000. Diese Kluft – der Bereich der Ungewissheit – muss durch eine Kombination einer ausserordentlichen Mässigung der Nachfrage und einer aussergewöhnlichen Steigerung der Produktion geschlossen werden.

4. Die Versorger werden alles tun, um mit der Nachfrage Schritt zu halten. Bis Ende des nächsten Jahrzehnts wird die Förderung von leicht zugänglichem Öl und Gas nicht mehr die prognostizierte Steigerung der Nachfrage abdecken können. Obwohl in vielen Teilen der Welt reiche Kohlevorkommen vorhanden sind, setzen Probleme des Transports und der Umweltbeeinträchtigung dem Wachstum eine endgültige Grenze. Alternative Energiequellen wie Biokraftstoffe können nach derzeitiger Einschätzung einen deutlich höheren Anteil am Energie-Mix einnehmen. Es gibt jedoch keine Zauberformel für die Auflösung der Spannungen zwischen Angebot und Nachfrage.

5. Intelligente Stadtentwicklung, anhaltende politische Unterstützung sowie wirtschaftliche und technologische Innovationen können zu einer Nachfragedämpfung führen. Dasselbe kann durch Preisschocks, reflexartig agierende Politik und enttäuschte Hoffnungen geschehen. Die Zeitskalen sind ein Schlüsselfaktor. Gebäude, Infrastruktur und Kraftwerke haben eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten. Ein Fahrzeugpark hat eine Lebensdauer von bis zu zwanzig Jahren. Neue Energietechnologien müssen sich in einer industriellen Grössenordnung bewähren. Ein anhaltendes Wachstum über dreissig Jahre im zweistelligen Bereich ist erforderlich, um eine industrielle Kapazität zu erzeugen und in einem Umfang zu wachsen, dass sie in einer Grössenordnung von 1-2 % auf das Energiesystem wirken. Die Regelungen, die in den nächsten fünf Jahren gelten, strukturieren die Investitionen für die nächsten zehn Jahre. Und diese wirken sich zu einem grossen Teil auf die Struktur der globalen Energielage bis 2050 aus.

6. Die globale Wirtschaftskrise ging einher mit einer geopolitischen und wirtschaftlichen Machtverschiebung von Westen nach Osten. Diese entscheidende Änderung hat Auswirkungen auf das globale wirtschaftliche und politische System. Die Änderungen sind gradueller Art. Ihre Konsequenzen hingegen reichen weit. Die Wirtschaftskrise im Westen kann diesen Trend beschleunigen. Es ist möglich, dass künftige Generationen das Jahr 2008 als einen Wendepunkt betrachten. Die Welt steht vor einer Zeit globaler politischer Unsicherheit. Strategische Konfliktlinien zeichnen sich ab. Aufstrebende Mächte machen zunehmend und zuversichtlich das geltend, was sie als ihre nationalen Interessen ansehen. Dieser Prozess unterhöhlt die globalen Mechanismen der kollektiven Sicherheit.

7. Die Umweltbelastungen steigen. Selbst wenn es möglich wäre, den Anteil fossiler Brennstoffe am Energie-Mix beizubehalten und die steigende Nachfrage zu befriedigen, würden sich die CO2-Emissionen in einer Weise entwickeln, die eine ernsthafte Gefahr für das Wohlergehen der Menschheit wäre. Sogar mit einer Dämpfung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und einem effektiven CO2-Management hält die Zukunft ausgesprochen grosse Herausforderungen bereit. Das Beibehalten der gewünschten CO2-Konzentration in der Atmosphäre wird zunehmend schwieriger. (shell/mc/ss)

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