So schaffen Traditionsunternehmen den Wandel

Digitalisierung - Internet der Dinge

(Bild: © Pathfinder / Fotolia)

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München – Einst stolze Marktführer kämpfen um ihren Stammplatz im digitalen Zeitalter. Scheinbar mühelos pulverisieren clevere Newcomer langjährige Kundenbeziehungen und lenken bestehendes Geschäft in ihre Richtung um. Verlässliche Margen schmelzen. Gerade bei der neuen Generation von online-affinen Konsumenten kann der Glanz bekannter Marken in kürzester Zeit verblassen. Viele traditionelle Unternehmen sind paralysiert, andere verfallen in einen Digital-Aktionismus. Eine globale Untersuchung der Managementberatung Oliver Wyman zeigt, wie sich die etablierten Anbieter mit einem strukturierten Ansatz neu erfinden können. Die Experten empfehlen branchenübergreifend, anhand einer «Digitalisierungs-Roadmap» vorzugehen und zügig in sechs Handlungsfeldern aktiv zu werden. So können auch Traditionsunternehmen ein datengestütztes Kundenerlebnis bieten, im beschleunigten Marktgeschehen selbst Geschwindigkeit aufnehmen – und mit neuer Agilität und Effizienz im Wettbewerb bestehen.

Über Jahrzehnte haben etablierte Unternehmen ihr Kerngeschäft in verlässlichem Umfeld aufgebaut und profitabel abgesichert. Ganz gleich ob Automobilhersteller, Banken oder Versicherer: Ihre gewachsenen Vorteile beruhen auf Markenstärke, Erfahrung, bewährten Prozessen, Zugang zu Kunden, Lieferanten und Liquidität. Doch die Souveränität weicht wachsender Sorge. «Die Zeit läuft – denn heute sehen sich selbst global agierende Branchenführer digitalen Angreifern gegenüber, die imstande sind, etablierte Milliardenmärkte von Grund auf zu verändern», sagt Claus Herbolzheimer, Partner im Beratungsbereich Strategic IT & Operations und Digitalexperte bei Oliver Wyman. Auf allen Gebieten erobern digitale Wettbewerber Marktanteile – schnell, effizient und für Kunden häufig unwiderstehlich attraktiv. Das Spektrum ihrer Angebote reicht von Bezahlsystemen über Video-Streaming-Plattformen bis hin neuen Sharing-Geschäftsmodellen etwa in der Hotellerie oder im Mobilitätssektor.

Der Wandel ist rasant – und verläuft typischerweise auf vier Arten. Sogenannte Transformatoren betreten den Markt mit unkonventionellen Leistungen zu extrem niedrigen Kosten. Daten-Aggregatoren bündeln grosse Mengen an Informationen. So generieren sie Wissen und treten mit passgenau berechneten Angeboten – beispielsweise neuen Versicherungstarifen – an die Stammkundschaft der Etablierten heran. Service-Aggregatoren schieben sich beispielsweise mit neuen Bezahlsystemen zwischen Banken und ihre Kunden. Und Integratoren digitalisieren gleich komplette industrielle Wertschöpfungsketten, wobei traditionelle Anbieter zwar weiter mitmischen, aber aus der lukrativen Führungsposition gedrängt werden.

Drehbuch für gelungene Digitalisierung
«Nachzügler aus der traditionellen Industrie laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren», warnt Herbolzheimer. Eine umfassende Analyse von Oliver Wyman zeigt nun, mit welchen konkreten Schritten die in ihrem Kerngeschäft attackierten Unternehmen gegenhalten können. Entstanden ist so ein Drehbuch für eine gelungene Digitalisierung von Traditionsunternehmen. In sechs identifizierten Handlungsfeldern sollten Entscheider die digitalen Fähigkeiten ihres Unternehmens überprüfen – und den Aufbruch anstossen. Diese Aufgaben stehen an:

1. Bestehende Prozesse digitalisieren
Vollautomatisierte Abläufe ohne manuelle Eingriffe führen zu enormen Effizienzgewinnen. «Once and done» lautet das Ziel. Wer seine Prozesse von den Daten her denkt, ist dabei auf dem richtigen Weg. Auch die Kunden, die bereitwillig online die Systeme füttern, erleben das als Befreiung: Eine Überweisung per Smartphone-Foto einreichen? Kein Problem. Eine Zusage für den Hypothekenkredit in weniger als einer Stunde? Natürlich, all das funktioniert.

2. Alte und neue Technologien entkoppeln
Eine siloartige IT-Struktur bremst häufig den Umstieg auf agilere und cloudgestützte Systeme. Doch ein Radikal-Umbau birgt immense Risiken. Die Lösung besteht im Aufbau einer neuen Mid-Tier-Plattform. Ein zusätzliches IT-Team hat dort die Freiheit, ausserhalb der Limitationen des Kernsystems zu agieren – dadurch erhöht sich die Veränderungsgeschwindigkeit dramatisch, dabei wird zunächst auch eine höhere Fehlertoleranz eingeräumt.

3. Kundennah Daten analysieren
Ausgefeilte konzernweite Big-Data-Lösungen sind eine verlockende Vision, doch viele Unternehmen verheben sich auf dem Weg dorthin. Wandlungsfähige Unternehmen begnügen sich kurzfristig damit, dass sie in Kundennähe kleine und dennoch leistungsstarke Lösungen zur Auswertung von Informationen aufbauen. Die Datenanalyse sollte unmittelbar auf das operative Geschäft einzahlen. So identifizieren Vermögensberater einer Bank mit einem einfachen Tool beispielsweise ohne Zeitverlust ihre attraktivsten Zielkunden. Die Zeit für Entscheidungen verkürzt sich von Tagen auf Minuten, die Umsätze pro Berater steigen spürbar.

4. Freiräume für das Digitalteam schaffen
Begehrte Digitalexperten lassen sich für einen Job in einem Traditionsunternehmen nur dann begeistern, wenn sie einen hohen Grad an Autonomie erhalten und sich der Unterstützung durch die Unternehmensleitung sicher sein können. Dazu braucht es eine neue Kultur der Offenheit. Es gilt, das häufig vorherrschende Bereichsdenken zu überwinden und Freiräume zu schaffen, damit die Digitalexperten etwas bewegen und agile Methoden nutzen können. Ein erfolgreich angeschobenes Digitalgeschäft sollte freilich nicht als Satellit um das Kerngeschäft kreisen. Die Reintegration separater digitaler Strukturen in die bestehende Organisation muss von Beginn an das Ziel sein.

5. Einen Innovationsfahrplan aufstellen
Das aktive Erkunden von Neuem muss in die DNA eines Unternehmens übergehen. Da die eigene F&E-Abteilung häufig an Grenzen stösst, erweitern fortschrittliche Unternehmen ihre kreativen Möglichkeiten durch eine Öffnung nach aussen. Investitionen in Start-ups, Kooperationen mit externen Forschungseinrichtungen und strategische Partnerschaften mit Technologieanbietern der nächsten Generation sind Mittel der Wahl. Einige Traditionsunternehmen machen gute Erfahrungen mit eigenen «Labs», also Innovationszentren, in denen sie Ressourcen in einer Einheit bündeln und innovative Konzepte wie Co-Creatorship oder Crowdsourcing anwenden.

6. Digitale Geschäftsmodelle aufbauen
Als die ersten Automobilhersteller damit begannen, Car-Sharing-Dienste auf den Markt zu bringen, wirkte es fast widersinnig: Fahrzeugproduzenten verstehen sich plötzlich als Mobilitätsdienstleister? Es war eine kluge Entscheidung, dieses Wachstumssegment früh zu erschliessen und hier eine Kundenbasis aufzubauen. Heute boomt der Sharing-Gedanke, das Automobil verliert an Bedeutung als Besitztum und Statussymbol. In Zukunft wird das autonome Fahren weitere Veränderungen bringen. Wer als Fahrzeughersteller an die Märkte der Zukunft denkt, muss angesichts der neuen Mobilitätsbedürfnisse teils sinkende Stückzahlen antizipieren und globale Flottenbetreiber in den Fokus nehmen. Digitale Ansätze können so das Stammgeschäft stützen.

Häufig fehlt die Vision
Das Problem, das viele Traditionsunternehmen teilen: Sie haben häufig noch kein klares Ziel und sie brauchen zu lange, um Entscheidungen zu fällen. Ihre stabilen Prozesse verkehren sich zum Nachteil, sofern sie behäbig und auf maximale Sicherheit getrimmt sind. Dagegen gelten als Erfolgsfaktoren reiner Digitalanbieter: Agilität, datengestützte Kundenkenntnis, Mut zur Lücke und Effizienz. «Noch zu wenige etablierte Unternehmen schaffen es derzeit, die für das digitale Zeitalter typischen hochpersonalisierten und kundenorientierten Produkte und Erlebnisse zu bieten», sagt Matthias Klinger, Principal im Beratungsbereich Strategic IT & Operations und Digitalexperte bei Oliver Wyman. Er differenziert zwischen Vorreitern und Nachzüglern – und macht die Unterschiede an Zahlen fest: «Das Beispiel Produkteinführungen zeigt: Nachzügler brauchen dafür oft ein halbes Jahr oder länger, während Vorreiter in monatlichem Takt den rein digitalen Anbietern schon näher kommen. Internetkonzerne wie Google können zum Beispiel täglich einen neuen Release freischalten, wenn sie wollen», so Klinger.

Auch die Komplexität sinkt mit dem Grad der digitalen Durchdringung von Prozessen im Unternehmen. Während die Newcomer kaum noch händisch intervenieren müssen, fast nur «Digital Natives» im Team haben und ihren Verkaufskanal zu 100 Prozent ins Internet verlegt haben, liegt der Anteil des Online-Vertriebs selbst bei fortschrittlichen Traditionsunternehmen in der Regel bei höchstens 40 Prozent. Nachzügler kommen nicht einmal auf zehn Prozent. «Die Kluft zwischen Vorreitern und Nachzüglern vergrössert sich zunehmend», sagt Herbolzheimer. «Schon bald könnte es unmöglich werden, zu den digitalen Branchenführern aufzuschliessen. Auch der Versuch, als ‹Fast Follower› frische Erfolgsmodelle zu kopieren, ist oftmals zum Scheitern verurteilt. Man hinkt häufig hinterher, und nur die ersten ein, zwei Anbieter setzen sich durch. Es ist als Strategie für Traditionsunternehmen nicht geeignet.»

Ein ungestümer Aufbruch ist die falsche Antwort. Das zeigen einige Beispiele von etablierten Unternehmen, denen es vor allem an einem mangelt: der klaren Vision, wie das Geschäftsmodell in der digitalen Welt aussehen soll. «Nur wenige Traditionsunternehmen haben eine genaue Vorstellung, welche Themen sie vorrangig vorantreiben sollten. Sie investieren erhebliche Summen mit Blick auf den zunehmenden Wettbewerb – und schaffen doch nur wenig von bleibendem Wert», so Klinger und ergänzt: «Wer ein Zielbild festlegt und dann intern für die Fähigkeiten zur Verwirklichung der Digitalpläne sorgt, der kann auch mit einem traditionsreichen Unternehmen die Chancen der neuen Zeit nutzen.»

Über die Untersuchung
Für die Untersuchung «Traditionelle Unternehmen in der Digitalen Welt – Nachzügler haben das Nachsehen» haben Experten von Oliver Wyman aus Paris, New York und Berlin anhand von Unternehmensbeispielen branchenübergreifend die Fallstricke und To-Do-Listen der digitalen Transformation beleuchtet. Best-Practice-Beispiele aus der Unternehmenswelt illustrieren, wie Vorreiter die existenzielle Herausforderung meistern können. (Oliver Wyman/mc/ps)

Über Oliver Wyman
Oliver Wyman ist eine international führende Managementberatung mit weltweit 4.000 Mitarbeitern in mehr als 50 Büros in 26 Ländern. Das Unternehmen verbindet ausgeprägte Branchenspezialisierung mit hoher Methodenkompetenz bei Strategieentwicklung, Prozessdesign, Risikomanagement und Organisationsberatung. Gemeinsam mit Kunden entwirft und realisiert Oliver Wyman nachhaltige Wachstumsstrategien. Wir unterstützen Unternehmen dabei, ihre Geschäftsmodelle, Prozesse, IT, Risikostrukturen und Organisationen zu verbessern, Abläufe zu beschleunigen und Marktchancen optimal zu nutzen. Oliver Wyman ist eine hundertprozentige Tochter von Marsh & McLennan Companies (NYSE: MMC). Weitere Informationen finden Sie unter www.oliverwyman.de.

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