Klarer Wahlsieg für Boris Johnson

Grossbritanniens Premierminister Boris Johnson.

London – Der britische Premierminister Boris Johnson hat mit seinem haushohen Sieg bei der Parlamentswahl alle Erwartungen übertroffen und wird den EU-Austritt seines Landes nun vollziehen. «Wir werden den Brexit bis zum 31. Januar vollenden, kein Wenn, kein Aber und kein Vielleicht», sagte Johnson am Freitag vor jubelnden Anhängern in London. Ein zweites Brexit-Referendum sei vom Tisch.

Er werde das Land einen, betonte Johnson. Er beendete seine Rede mit einem Wortspiel über die ähnlich klingenden Wörter Brexit und Breakfast (Frühstück): «Lasst uns den Brexit hinter uns bringen, aber lasst uns erstmal das Frühstück hinter uns bringen.» Die Briten hatten im Sommer 2016 mit knapper Mehrheit für den Brexit gestimmt.

Absolute Mehrheit für die Tories
Bis Freitagmorgen waren 649 der 650 Wahlkreise ausgezählt. 364 gingen davon an die Konservativen, die damit 47 Sitze hinzugewannen und die absolute Mehrheit erzielten. Labour verlor 59 und kam auf 203 Sitze, die SNP legte 13 Sitze auf 48 zu und die Liberaldemokraten verloren einen Sitz auf elf. Die anderen Sitze entfielen auf kleinere Parteien.

Johnson setzte sich mit seiner Botschaft, den Brexit endlich durchzuziehen, vor allem in den Labour-Hochburgen in Nord- und Mittelengland durch. In den ehemaligen Industrie- und Bergbauregionen hatten sich die Menschen beim EU-Referendum 2016 mehrheitlich für den Brexit ausgesprochen – wohl aus Frust über den wirtschaftlichen Niedergang ihrer Heimat. Nahezu trostlos wirken viele Regionen hier. Sie bescherten Johnson nun den grössten Wahlsieg seit den Zeiten der «Eisernen Lady» Margaret Thatcher.

Corbyn vergrault selbst Labour-Anhänger
Konnten sich die Sozialdemokraten dort bei der vergangenen Wahl vor zwei Jahren noch behaupten, hat die Position im Brexit-Streit nun endgültig die traditionelle Parteibindung überlagert. Warum das Land die EU dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Votum noch immer nicht verlassen hatte, war den Menschen dort nicht mehr zu vermitteln. Angelastet haben das viele Jeremy Corbyn. Von dem Labour-Chef, der sich in Sachen Brexit nie richtig festlegen wollte, mussten sich Parteiaktivisten im Wahlkampf bei ihrem Gang von Haustür zu Haustür regelrecht distanzieren, um Wähler nicht zu vergraulen.

Abstimmung noch vor Weihnacht?
Johnson wollte über das Brexit-Abkommen noch vor Weihnachten abstimmen lassen. Es wurde in London erwartet, dass dies am Samstag in einer Woche (21. Dezember) sein könnte. Einen offiziellen Termin dafür gibt es noch nicht, wie ein Unterhaussprecher der Deutschen Presse-Agentur sagte. Eine Zustimmung gilt als sicher.

Dem Austrittsabkommen zufolge soll das Land bis Ende 2020 in einer Übergangsphase bleiben. Bis dahin will Johnson einen Vertrag über die künftigen Beziehungen mit der Staatengemeinschaft aushandeln. Die Zeit dafür gilt jedoch als denkbar knapp. Eine Verlängerungsoption um bis zu zwei Jahre, die noch bis Juli 2020 möglich ist, hat der Premier ausgeschlossen. Sollte kein Anschlussabkommen zustande kommen, droht Ende kommenden Jahres wieder ein No-Deal-Szenario.

EU erhofft sich schnelle Klarheit
EU-Ratschef Charles Michel hofft im Ringen um den Brexit auf schnelle Klarheit. «Wir erwarten die Abstimmung des britischen Parlaments über das Austrittsabkommen so schnell wie möglich», sagte Michel vor dem zweiten Tag des EU-Gipfels in Brüssel.

Lange, zähe und bittere Verhandlungen stehen an
Doch den Briten droht schon bald ein böses Erwachen: Denn aus der EU austreten und den Brexit erledigen – das sind zwei verschiedene Dinge, wie Politikwissenschaftler und Handelsexperten immer wieder betonen. «Das wird kein Ende des Prozesses, es wird der Anfang von Handelsgesprächen, die versprechen, lange, zäh und bitter zu werden», erläuterte Politikprofessor Anand Menon vom Londoner King’s College kurz vor der Wahl in einem Video auf seinem Twitter-Account.

Wie weiter mit der britischen Wirtschaft?
Tatsächlich regelt der «fantastische» und «ofenfertige» Brexit-Deal, wie Johnson gerne schwärmt, nichts anderes als den geordneten Austritt Grossbritanniens und eine Übergangsphase bis Ende 2020. Sonst nichts. Wie das Land künftig mit seinen wichtigsten Partnern Handel treibt und zusammenarbeitet, ist nur in Grundzügen in einer unverbindlichen politischen Erklärung angerissen. Im Detail muss das im Laufe des kommenden Jahres geregelt werden.

Einerseits will er zoll- und abgabenfreien Handel mit der EU, auf der anderen Seite hält er nichts von einer engen Bindung an EU-Regeln, beispielsweise wenn es um Arbeitnehmerrechte, Umweltstandards und staatliche Wirtschaftsförderung geht. Beides, da sind sich Experten sicher, wird aber nicht zu haben sein.

Warum sollte Brüssel einem Handelspartner vor der eigenen Haustüre weitgehenden Zugang zum eigenen Markt geben, wenn der nicht garantiert, dass er sich an die Spielregeln eines fairen Wettbewerbs hält? Zudem entscheidet nicht Brüssel allein. Das Abkommen wird von allen 27 nationalen und womöglich auch einigen regionalen Parlamenten abgesegnet werden müssen.

Trump gratuliert
US-Präsident Donald Trump gratulierte Johnson zu einem «grossartigen Sieg». «Grossbritannien und die Vereinigten Staaten werden nun nach dem Brexit frei sein, ein riesiges Handelsabkommen zu schliessen», twitterte Trump. «Dieser Deal hat das Potenzial, weitaus grösser und lukrativer zu sein als jeder Deal, der mit der EU geschlossen werden kann», schrieb Trump weiter. «Feiert Boris!» Kritiker befürchten, dass ein solches Abkommen auch als sinnvoll erachtete Regulierungen der EU – etwa in der Landwirtschaft – beeinträchtigen wird.

Schottland will zweites Unabhängigkeits-Referendum
In Schottland räumte die Schottische Nationalpartei ab, was Spekulationen über ein möglicherweise neues Unabhängigkeitsreferendum befeuerte. SNP-Chefin Nicola Sturgeon kündigte an, für ein zweites Unabhängigkeits-Referendum zu kämpfen. «Boris Johnson hat erstens kein Recht, Schottland aus der EU zu nehmen, und zweitens kein Recht zu verhindern, dass das schottische Volk über seine eigene Zukunft bestimmt», sagte die schottische Regierungschefin.

Chefin der Liberaldemokraten tritt ab
Die Chefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson, verlor in einer für ihre Partei enttäuschenden Wahlnacht ihr Mandat und trat zurück. Das Amt der 39-jährigen übernehmen zunächst ihr Stellvertreter Ed Davey und die Parteipräsidentin Sal Brinton, wie die Partei mitteilte. Neue Wahlen zum Parteivorsitz fänden im kommenden Jahr statt. Swinson hatte ihren Sitz in Dunbartonshire East in Schottland an die Kandidatin der SNP verloren. Die Liberaldemokraten wollten die Wahl mit dem Versprechen gewinnen, den Brexit abzublasen. (awp/mc/pg)

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